zur startseite
zum archiv
The
Boss of It All
Ein überraschender Schachzug: Während
man weiterhin auf den Abschlussfilm seiner USA-Trilogie („Dogville“, „Manderlay“) wartet, überrascht Lars von Trier
mit einer kleinen Büro-Komödie, die gleichwohl ein paar tiefere Einsichten
in Mechanismen des globalisierten Kapitalismus transportiert – und das rein
zufällig mitten in der von apokalyptischen Szenarien umspielten Finanzkrise.
Ausgangspunkt ist die Sehnsucht nach Liebe und Respekt auch im Berufsalltag.
Ort der Handlung: eine IT-Firma, an deren Gründung einige der Mitarbeiter
mit Kapitaleinlagen beteiligt sind. Das ist nicht unwichtig für das Betriebsklima,
aber natürlich müssen trotzdem mitunter unangenehme Entscheidungen
getroffen werden. Deshalb braucht es einen, der als Chef fungiert. In diesem
Fall ist es Ravn, dem aber die emotionalen Konsequenzen seiner Führungsrolle
nicht behagen, weshalb er sich einen tollen Plan ausheckte: Er erfand einen
Vorgesetzten, der in den USA residiert und per E-Mail alle schmerz-konfliktträchtigen
Entscheidungen trifft, ansonsten aber nicht in Erscheinung tritt. Als bloßer
Handlanger des ominösen „Boss of it all“ konnte Ravn der Sympathie seiner
Angestellten sicher sein. Doch als er jetzt „seine“ Firma verkaufen will, verlangt
der ruppige isländische Interessent – latent gewaltbereit verkörpert
vom Regisseur Fridrik Thor Fridriksson – die persönliche Anwesenheit des
mysteriösen Bosses. Ravn engagiert in seiner Not den erfolglosen, aber
überheblichen Schauspieler Christoffer. Leider bleibt kaum Zeit, ihn seriös
auf seine Rolle vorzubereiten; es muss improvisiert werden.
Damit steht das Gerüst des Films
– und das Spiel kann beginnen! Keine leichte Aufgabe für Christoffer, der,
während er sich durch die Firma laviert, merkt, dass er sich in einem Minenfeld
offener Rechnungen, alter Verletzungen und Beleidigungen bewegt. Ravn, der die
körperliche Nähe seiner Angestellten sucht, hat andererseits die Macht
seiner objektiven Funktion resolut zu nutzen gewusst, was Christoffer jetzt
eine Tracht Prügel und reichlich aufgestaute Aversionen einträgt.
Mehrfach stellt er Ravn zur Rede, verlangt ein informatives Update, entwickelt
dann jedoch spielerisch eine gewisse Handlungsautonomie und interpretiert seine
Rolle mit einem Eigensinn, der Ravns Plänen entschieden zuwiderläuft.
Immer dann, wenn die dramatischen Konstellationen ausgereizt scheinen, taucht
als deus ex machina der böse Isländer auf, dem es nicht nur um eine
Firmenübernahme geht, sondern vielmehr um Rache für Jahrhunderte der
Unterdrückung und Ausbeutung: skandinavische Folklore, die an diesem völlig
unpassenden Ort ökonomischer Rationalität einen Schuss Anarchie injiziert!
Unter Zeitdruck spitzen sich die Dinge zu, doch verschiedene Anläufe, den
Schwarzen Peter an die richtige Person weiterzugeben, zerschellen an Ravns Raffinement.
Für die Schlusspointe hat sich Lars
von Trier eine selbstreferentielle Volte vorbehalten, die den Film als Versuchsanordnung
plötzlich leer laufen lässt und komplett in die Esoterik des Theatralischen
überführt. Mag sein, dass die Darsteller sich einen Spaß daraus
gemacht haben, hier auch über die Produktionsfirma „Zentropa“ mit ihren
beiden Bossen Trier und Peter Aalbæk Jensen zu spotten. Wichtiger scheint,
dass von Trier es wieder einmal geschafft hat, ein formales Verfahren zuzulassen,
das die teilweise aberwitzig freien Improvisationen der Darsteller vorzüglich
unterstützt. Dieses Verfahren trägt den Namen „Automavision“ und mischt
optimierte Kameraeinstellungen, Blickachsen, Brennweiten nach dem Zufallsprinzip.
Das Resultat sind fehlerhafte Einstellungen, Bildausschnitte, die an der Handlung
vorbei zielen, Stimmen ohne Träger, abrupte Sprünge. Der Zuschauer,
ohnehin damit beschäftigt, dem mit Brechtschen Verfremdungseffekten aufgeladenen
Spiel der Darsteller zu folgen, ist permanent gefordert, sich in dem unübersichtlichen
Bürokomplex zu orientieren, in dem der Film meistens spielt. Wenn von Trier
sich am Schluss auch noch bei denjenigen entschuldigt, die mehr erwartet haben
oder auch weniger, zieht er sich wieder einmal als unberechenbarer Zauberkünstler
und Schaumschläger blendend aus der Affäre.
Ulrich Kriest
Dieser Text ist zuerst erschienen in: film-Dienst
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
The
Boss of It All
Dänemark / Schweden / Island / Italien / Frankreich / Norwegen / Finnland / Deutschland 2006 – Originaltitel: Direktøren for det hele – Regie: Lars von Trier – Darsteller: Jens Albinus, Peter Gantzler, Iben Hjejle, Jean-Marc Barr – Länge: 100 min. – Start: 15.1.2009
zur startseite
zum archiv