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The Boss of It All

Lars von Trier findet in seiner sadistischen Komödie "The Boss of It All" hinreißend hässliche Bilder für so manches, das mit Ökonomie und Gesellschaft im Argen liegt.

 

Immer wieder nur staunen kann man über den Karriereweg Lars von Triers. Es wird einem wirklich nie langweilig mit ihm, immer fällt ihm was Neues ein und bei jeder These, die er vertritt, ist die Gegenthese nicht weit. Wenn man genau hinsieht, wird ja etwa von "Dogma" nicht sehr viel mehr bleiben als Lars von Triers großartige "Idioten". Und erst im Rückblick wird klar, was von Trier der von ihm initiierten "Dogma"-Bewegung – und was also wir ihr – verdanken. Seinen entschiedensten Schritt nämlich weg von den schwülstig-überladenen Anfängen ("Element of Crime", "Europa") hin zum Hässlichen, vom überfüllten zum entleerten Bild und, das wird immer klarer, damit auch von einer auktorialen Auteurs-Position zur ständigen Reflexion ebenderselben.

 

Darum ist es beglückend zu sehen, wie hässlich "The Boss of It All" ist, wie unansehnlich, wie krumm und schief und verwaschen und wirklich gar nicht schön anzusehen! Und wie großartig, wie schlau, wie lustig, wie durchgedreht! Hässlich ist der Film, weil die Wirklichkeit des Wirtschaftsalltags, die er schildert, selbst hässlich ist. Aber wie weit das in der Ausführung von allen Realismuskonzepten entfernt bleibt, wie viele Volten es schlägt, wie wenig es vor der Gemeinheit zurückschreckt und auch vorm Sadismus!

 

Als Sadist, als der der alle Fäden zu Beginn in der Hand hat, inszeniert Lars von Trier sich am liebsten. Zum Beispiel in "The Five Obstructions", seinem möglicherweise sogar besten Film, in dem er dem Regisseurs-Kollegen Jorgen Leth fünf im Grunde fast unlösbare Regieaufgaben als Variationen auf dessen eigenes Werk stellte. Zum Beispiel auch in "Dogville", wo er sich durch eine gottgleiche Stimme aus dem Off (von John Hurt gesprochen) auf dem Set / jenseits des Sets stellvertreten lässt.

 

Und nun wieder. Die eine oder andere Meta-Ebene ist immer schon drin auch in diesem, in den deutschen Kinos mehr als zwei Jahre verspäteten Film, "The Boss of It All",der so harmlos und hässlich daherkommt. Von Zeit zu Zeit verlässt die Kamera das Büro-Gebäude, in dem der Film spielt, und zeigt von außen das Haus, die Fenster, in Distanz zum Geschehen. Dazu spricht eine Stimme, die keine andere als die Lars von Triers ist, kommentiert das Gezeigte, inszeniert den Regisseur selbst als sadistischen Autor, der nach Belieben in die Handlung eingreift und seine Figuren knufft, stupst und schlägt. Nach diesen Zwischenrufen geht es dann wieder zurück, weiter im Text, der selbst schon absurd genug ist.

 

So fängt es an: Ein Mann, der Kristoffer heißt (gespielt von Jens Albinus), wird von einem, der sich offenbar auskennt, eingewiesen in eine Rolle, die er zu spielen hat. Ist das Theater? Irgendwie nicht, obwohl Kristoffer Schauspieler ist und auch eine Schauspieltheorie hat. Aber was ist es dann? Der Schauplatz sind die Büroräume einer Firma, stellt sich heraus, deren (angeblicher) Chef nie zu sehen ist, sondern nur per e-Mail mit den Angestellten kommuniziert. Kristoffers Rolle ist es, diesen "The Boss of It All" zu spielen, den es nicht gibt, weil in Wahrheit Ravn (Peter Gantzler), der sich als bloßer höherer Angestellter ausgab, der Boss ist, es aber nie zugab. Ein fluider, abwesender, manipulativer, nicht festzunagelnder Boss war ihm bisher lieber. Nun aber soll die Firma verkauft werden, Verhandlungen finden statt mit einem isländischen Investor – als grollende, dänenhassende nordische Rachegottheit gespielt vom isländischen Regisseurskollegen Fridrik Thor Fridriksson – und da muss nun doch einer unterschreiben und mit der Unterschrift die Verantwortung unternehmen. Dass das per Alibi- und Lügen-Prokura nicht gutgehen kann, versteht sich beinahe von selbst.

 

Aber auch Kristoffer spielt nicht einfach so mit. Er leistet Widerstand, so wie es bei Lars von Trier immer vor allem auf den Widerstand ankommt. Den Widerstand, den er von außen ins Spiel bringt, als Hand oder Wort Gottes. Den Widerstand aber auch, den er ganz offensichtlich selbst braucht, um seine Geschichten und seine Ästhetik voranzubringen. Er ist der sehr komplizierte Fall eines Sadisten, der noch die Umstände, die sich seinem Kontrollzwang entziehen, selbst schaffen will. Oder anders: Er sucht immer nach einem Ausweg aus dem Auktorialen, sieht sich aber mit dem Paradox konfrontiert, dass auch diesen Ausweg er selbst für und gegen sich ebnen muss. Darum die Vervielfachung der Stimmen in vielen seiner neueren Filme, darum das Experimentieren mit dem Metafiktionalen, das Sprechen von der Seite, von oben, von draußen. Wir haben uns Lars von Trier als glücklichen Sisyphos vorzustellen, der sich mit aller Kraft und allem Einfallsreichtum, den er hat, immer wieder Steine selbst in den Weg legt.

 

Diesmal ist er auf die geniale Idee verfallen, die Kontrolle über die Auswahl der Bildausschnitte an einen Computer zu delegieren. Nicht er selbst und/oder ein Kameramann legt das hier – als "boss of it all" – fest, sondern ein Rechner, ganz nach Zufallsprinzip und Gutdünken. (Das jedenfalls behauptet von Trier. Man sollte ihm nie ganz trauen und die anzubringenden Zweifel sind hiermit angebracht.) Sonderlich auffällig oder störend ist das, stellt man staunend fest, gar nicht. Eine Irritation für den Betrachter, ein Springen der Perspektiven und Winkel, auch der Tonqualität, aber beinahe gewöhnt man sich dran. Die Hauptleidtragenden sind in die Wahrheit die Darsteller, die sich nie darauf verlassen können, auf die eine oder andere Weise im Bild zu sein. Am wenigsten schert es einen Elefanten, der bei einer der wenigen Draußenszenen des Films störrisch tut, was er sowieso will.

 

Wiederum gelingt es Lars von Trier, der als Regisseur wirklich nie ein guter Mensch ist, in die Rolle des Sadisten zu schlüpfen, der seine Autorität nicht nur durchs Überwinden selbst gesetzter Widerstände steigert, sondern diesen Triumph auch noch in Szene setzt. Sehr wohl weiß er das und reflektiert es mit. Und kostet es aus. Sich selbst sieht er darum ganz gewiss im Donnergott Fridrik Thor Fridriksson gespiegelt, nicht im feigen, harmoniesüchtigen und gerade deshalb endlos manipulativen Boss Ravn. Die böse und teils wirklich rasend lustige Komödie, die von Trier da in den Büros unserer Gegenwart spielen lässt, läuft am Ende aus dem Ruder. Nur einer gibt den Blick von draußen nicht auf und die Fäden dann eben doch nicht aus der Hand: Lars von Trier, the boss of it all.

 

Ekkehard Knörer

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in: www.perlentaucher.de 

Zu diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere Texte

 

The Boss of It All

Dänemark / Schweden / Island / Italien / Frankreich / Norwegen / Finnland / Deutschland 2006 – Originaltitel: Direktøren for det hele – Regie: Lars von Trier – Darsteller: Jens Albinus, Peter Gantzler, Iben Hjejle, Jean-Marc Barr – Länge: 100 min. – Start: 15.1.2009

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