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Buch:
Frank Noack: Veit Harlan
Film:
Jud
Süß. Ein Film als Verbrechen?
Eine
funktionierende Beziehung
Das
Buch zum Film, der Film zum Buch: Der Nazi-Regisseur Veit Harlan (»Jud
Süß«) soll rehabilitiert werden
Die
Leni-Riefenstahl-Exponate sind abgeräumt. Gibt’s jetzt die große
Veit-Harlan-Ausstellung in Babelsberg? Denn im Jahr 2001 passiert, was der Regisseur
von »Jud Süß« (1940) sich zu Lebzeiten sehnlich gewünscht
hatte. Er wird rehabilitiert. Jedenfalls im gerade erschienenen, knapp 500 Seiten
starken Veit Harlan-Buch des respektablen Belleville-Michael-Farin-Verlags;
Autor Frank Noack, 40, tut seinen starken Gefühlen für den »Naturburschen«
Harlan keinen Zwang an.
Auf
den letzten Seiten seiner Rehabilitationsbemühung bringt Noack KONKRET
ins Spiel. Er wehrt sich gegen mein Geunke vom Revival des Nazifilms (»Soll
›Jud Süß‹ wieder in die Kinos?«,
Heft 4/91). Noack: Dann »hätte sich auch eine Fangemeinde um Karl
Ritter, Hans Steinhoff und Gustav Ucicky bilden müssen, die einige durchaus
ansehnliche Filme zustande gebracht haben«. Meint er »Hitlerjunge
Quex« (1933)? Und wenn schon: »Inhumane Kunst ist immer auch noch
Kunst« (Noack). Für dieses Credo beruft er sich auf die Céline-Debatte
in KONKRET 10/90. Mit Zitaten von Hermann Peter Piwitt (»Es gibt große
Kunst von schlechten Menschen. Und miserable von guten«) und Matthias
Altenburg (»Ein faschistischer Schuster kann ein Meister seines Fachs
und sein kommunistischer Kollege kann ein arger Stümper sein. Wer würde
nicht die Schuhe des Faschisten vorziehen?«). Das scheint clever, ist
aber tückisch. Denn Noack unterschlägt, wie es in Altenburgs Text
weiterging, nämlich: »Und sei es auch nur, um vor ihm (dem Fascho)
weglaufen zu können«. – Ja, ja, Noack tritt in Meister Harlans Stapfen.
Er
kommt dabei gar nicht schlecht voran. Wer in der Lektüre bis zum KONKRET-Schluß
vorgedrungen ist, hat längst das Gefühl verloren, sich mit Argumenten
auseinandersetzen zu müssen. Zuvor war es stets darum gegangen, Harlan-Gegner
zu schmähen, zu beschimpfen und ihnen jede Kompetenz abzusprechen. Dazu
hatten vor allem die Linken gehört, sodann die Filmwissenschaftler insgesamt,
schließlich die Regisseure, die das Oberhausener Manifest unterschrieben
hatten, und der Neue Deutsche Film sowieso. Mit Sperrfeuer belegt unser Autor
auch »die Sieger«, nämlich das antifaschistische Ausland, soweit
es wagt, dem »Jud Süß«-Regisseur Vorwürfe zu machen.
Die haben selbst Dreck am Stecken! Die haben doch ihre eigene Faschisten! Die
haben einen Filmkritiker, der »Jud Süß« gelobt hatte,
geköpft! Und Sergej M. Eisenstein – er dient immer wieder zum Vergleich
– hat nicht sechs Millionen Juden, wohl aber zehn Millionen Kulaken auf dem
Gewissen, und das elf Jahre vor »Jud Süß« – überhaupt
dieser Eisenstein mit seinem »konsequenten Schmierentheater«.
Freund/Feind.
Harlan: gut. Eisenstein: schlecht. Oder: Während Harlan es in »Jud
Süß« »mit seinem Rechtsempfinden nicht vereinbaren konnte,
daß ein Jude willkürlich gehängt wird, nur weil er Jude ist«
(weshalb er zuvor Harlans rassereine Gattin Kristina Söderbaum schänden
muß), werden »in Hollywood Indianer dahingemetzelt, ohne daß
es dramaturgisch begründet wird«. Der Gute und die Schlechten. So
kommt Noacks Welt in Ordnung. Und sie ist es in der Tat. Gewissermaßen.
Denn der emotionale Überschuß im Harlan-Buch, der sich manifestierende
Verfolgungswahn, die paranoiden Entgleisungen und das hysterische Abkippen gewinnen
bei fortschreitender Lektüre an Unterhaltungswert. Da schreibt sich einer
um Kopf und Kragen. Von Klaus Mann werden »Opfer des Faschismus verhöhnt«,
und der historische Jud Süß, der seinem Herzog Mädchen »zwecks
sexueller Verwendung« aussucht, nimmt »die Selektionen … an KZ-Häftlingen«
vorweg.
Wenn
ein Lektor tätig geworden wäre und rausgeschmissen hätte, was
die Harlan-Rehabilitation lediglich auf die Diffamierung aller anderen gründet
– also mindestens die Hälfte des Buchs – , wären Noacks Thesen möglicherweise
diskutabel gewesen, wenn auch deutlich minder aufregend. Doch ein Lektor stand
wohl nicht zur Verfügung. Oder er durfte nur den Text auf dem hinteren
Buchdeckel schreiben, der freilich dem Buchinhalt entgegensteht. Aber wer hat
Noacks zickigste Ausfälle in Klammern gesetzt? Das liest sich so, wie ›Nun-mal-sachte-junger-Freund‹.
Und das trifft den Punkt. In Veit Harlan schreibt einer, der auf seinen älteren
Freund nichts kommen läßt. Wir sind drin, in einer funktionierenden
Beziehung. Wir lesen einen erotischen Text, der aus der Subebene aufgestiegen
ist. Und wenn wir das tun, sind wir nicht mehr inkompetent und links, sondern
ganz auf dem Level, auf dem Noack seinen Harlan verstanden haben will, denn
die Faszination sexueller Subtexte erkennt ein SS-Gruppenführer und Generalleutnant
der Polizei »besser als spätere Harlan-Gegner aus dem linken Lager«.
Noack
also wird auf uncoole Art persönlich. Unser aufgeregter Bodyguard hat den
Harlan-Schutz übernommen und inszeniert sich selbst. In der Diktion. In
der Gebärde. Das liest sich aufregender als jede ikonographisch-semiotisch
fundierte Werkanalyse. Wenn das Buch aufbraust, hat es wahrhaft opernhafte Konnotationen.
Ja, Noacks Veit Harlan ist das Print-Melodram zum Filmgenre des Melodrams, wie
es von Harlan bedient wird. In dieser Beleuchtung ist das, was Noack auf die
Bühne bringt, gut inszeniert. Der Autor ist Filmwissenschaftler, der sich
in der Filmmusik der dreißiger Jahre auskennt. Für Cinegraph, das
Loseblatt-Filmlexikon, hat er in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre
die Komponisten Hans Otto-Borgmann (»Unsere Fahne flattert uns voran«),
Herbert Windt (»Triumph des Willens«) und Wolfgang Zeller (»Jud
Süß«, 1940; »Ehe im Schatten«, 1947) enzyklopädisiert.
Und sein achtzig Seiten langer Register-Anhang zu Veit Harlan zeugt von professioneller
Akribie.
Aber
was machen wir, wenn der legitimatorische Furor durchknallt? Wenn »Jud
Süß« in Harlans Schwulensalon (»Anders als du und ich«,
1957) integriert wird? »›Anders als du und ich‹ ist auch ein homosexuelles
Remake von ›Jud Süß‹«; beide, der Jude wie der Schwule, werden
von ›anständigen Mitbürgern‹ angegriffen »und begehen aus der
Defensive heraus ihre Gemeinheiten.«
Es
fehlt die Coda. Musikalisch gesehen: Ist Noack nicht ein fanatischer Harlan-Rapper,
Inkorrektheiten inklusive? Und hat er sich nicht, ohne zu zögern, zum Sündenbock
für alle gemacht, die Harlan rehabilitieren? Tragisch! Noack ist sein eigenes
Melodram. Wieso 1945 zur Kenntnis nehmen, wenn es um Kunst geht?! – Die letzten
Sätze stammen fast wörtlich aus meinem Statement für Horst Königsteins
Dokudrama »Jud Süß. Ein Film als Verbrechen?«, das im
Frühherbst in der ARD läuft. Bloß beziehen sie sich nicht auf
Noack, sondern auf Harlan. Wenn aber die Namen austauschbar sind, dann haben
wir nicht nur einen Fall von Überidentifikation, sondern einen dramaturgisch
genialen Zugang zum Dauerphänomen Harlan. Dank Noack.
Der
NDR produziert allerdings kein Melodram, sondern ein Dokumentarspiel, das nachstellt,
was war. Wahr! Das sind Fakten, recherchiert, abgesichert. Das Hamburger Schwurgericht
von 1949 und 1950 ist 1:1 in der Aula des Kaifu-Gymnasium nachgebaut. Es sind
Schulferien. Ich bin beeindruckt. Wir sind wenige tausend Meter vom Hamburger
Sievekingplatz entfernt. Dort sind keine Ferien. Dort ist immer noch der Gerichtssaal,
aus dem Veit Harlan, mehrfach freigesprochen, auf den Schultern jubelnder Fans
hinausgetragen wird, ganz Popstar, wenn’s das Wort damals gegeben hätte.
Der
Film kreist um etwas, was man nicht sieht. Um den Film »Jud Süß«.
Wieso kriegt man das, was so wichtig ist, daß der Sender sein letztes
Geld dafür ausgibt, warum also kriegt man den Film nicht zu sehen? Königstein
treibt alles auf diese Frage hin. Die Antwort wäre einfach. Der Film ist
seit 1955, dem Jahr der Überleitungsverträge, nicht mehr verboten.
Mit Ausnahme von Berlin; dort fiel mit der Aufhebung des Besatzungsstatuts erst
am 3. Oktober 1990 das Verbot. Das Hamburger Metropolis-Kino hatte »Jud
Süß« 1991 gezeigt, im Rahmen der Ausstellung des Bundesjustizministers
»Justiz im Nationalsozialismus«. Vor dem Vorhang war das größte
Rednerpult aufgebaut, an dem ich je gestanden habe, und ich konnte meinen Vortrag
halten, obwohl Oliver Tolmein im Publikum saß. Falls der Film wiederholt
werden würde, käme er allerdings mit seinen Leuten wieder, diesmal
mit Buttersäure, versprach er mir.
Wir
diskutierten darüber in den lehrreichen KONKRET-Nummern, auf die sich Frank
Noack zehn Jahre später berufen sollte. Es scheint, daß die Freigabe
von »Jud Süß« immer noch fraglich ist. Im Februar 2001
hat das Jüdische Museum Fürth den Film gezeigt. Wieder gab es Streit.
– Bei der FSK, die Filme für Jugendliche freigibt, hat die Bewahrpädagogik
ausgedient. Mutig wird Medienkompetenz eingeübt. Übt wer in Harlan-
und Melodram-Kompetenz ein? Wer wappnet sich gegen das Faszinosum von Subtexten?
Wer bleibt lieber gleich sauber?
Die
Funktion, die »Jud Süß« als melodramatisches Genreprodukt
für den Nationalsozialismus gehabt hat, wird erkennbar, wenn man den Film
als Werk der großen Unterhaltung zur Kenntnis nimmt und nicht nur wegen
seines expliziten Antisemitismus. Die Besichtigung des Films gibt die Chance,
die Mechanismen der Bildermacht in Harlans Melodramen zu erkennen, deren Einfluß
die Generationen der Eltern und Großeltern ausgesetzt waren. – Das läßt
sich leicht sagen, wenn der Film historisch geworden ist, ohne Appeal für
aktuelle Rezeptionskulturen. Dann wäre »Jud Süß«
Exponat geworden. Fürs zeitgeschichtliche Museum.
Doch
ist das mit dem Nachstellen einer Gerichtsverhandlung eine Crux. Denn dabei
geht’s darum, jemandem individuelle Schuld nachzuweisen. Aber interessiert das
wen, von Fans à la Noack abgesehen, wirklich, wenn wir die millionenfache
Wirkung des antisemitischen Paradefilms im Auge haben? Das von der Person losgelöste
Symbol »Veit Harlan« war es, das die erste Studentenbewegung im
Nachkriegsdeutschland auslöste. Daß der Name »Harlan«
im Nachkriegsdeutschland zum Symbol für die Kontinuität wurde, hatte
schon Ende 1947 begonnen. Der »Jud Süß«-Regisseur war
in Hamburg von einem Entnazifizierungsausschuß als unbelastet (Kategorie
V) eingestuft worden. Kein Wunder, daß Antifaschisten daraufhin die Justiz
bemühten. Doch Harlan wurde 1950 vom Schwurgericht vom Vorwurf des Verbrechens
gegen die Menschlichkeit (Rassismus) freigesprochen. Die Hamburger Justizbehörde
verzichtete auf Rechtsmittel. Harlan setzte eins drauf. Er nahm seinerseits
das Landgericht in Anspruch, um dem Senatsdirektor und Filmkritiker Erich Lüth
zu verbieten, das Publikum zum Boykott von Harlan-Filmen aufzurufen. Und Harlan
bekam recht. Lüth wurde gerichtlich die Meinungsäußerung verboten,
jedenfalls acht Jahre lang, bis das Bundesverfassungsgericht ihm zu seinem Grundrecht
verhalf.
In
diesen Jahren aber hatte sich Harlan zum Sündenbock gemacht, auf den alle
gewartet hatten. Zum Symbol für die uneinsichtige und unbelehrbare Vätergeneration,
die längst wieder an allen Schalthebeln saß. Das ist Harlans Verdienst,
wenn auch ein unbeabsichtigtes. Und er machte weiter. Er bekam zunächst
Applaus von der öffentlichen Meinung. Doch während Lüth zum Schweigen
verurteilt war, gärte es in den Universitäten und politischen Organisationen.
Eine für die Nachkriegszeit bis dahin unbekannte Welle von Solidarisierungen,
Protesten und militanten Aktionen erhob sich. Der Pro-Lüth/Anti-Harlan-Bewegung
der frühen fünfziger Jahre gelang es, die Öffentlichkeit zu mobilisieren.
Auf der Straße griff die Polizei zum Knüppel. Zum erstenmal standen
sich Bullen und Studierende feindselig gegenüber. Und zum erstenmal artikulierte
sich in der Öffentlichkeit politisches Bewußtsein. Bundesgenosse
des SDS wurde die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit
mit der Friedensbitte an den Staat Israel. Die Gerichte verurteilten die Demonstranten
wegen Landfriedensbruch. Die Ewiggestrigen fühlten sich in der Meinung
bestärkt, daß Antisemitismus wieder legal sei. Es kam zu antisemitischen
Ausschreitungen. Dagegen setzte die neue Studentenbewegung den Boykott der Harlan-Filme,
zu dem Erich Lüth nicht auffordern durfte, handgreiflich durch.
Der
SDS-Vorsitzende Rudi Schieler, der 1952 von einem Polizisten, nach dessen Namen
er gefragt hatte, mit den Worten »Jetzt kommst du Sozialistenschwein an
die Reihe« niedergeschlagen und schwer verletzt worden war, hat es inzwischen
zum Justizminister von Baden-Württemberg gebracht; mittlerweile nutzt er
den »blutigen Kopf von damals« zu einer »kritischen Würdigung
jedes staatlichen Gewalteinsatzes« (»Taz«, 5.3.92). – Das
wäre doch auch ein Dokumentarspiel wert, lieber Herr NDR-Kellermeier. Aber
bestimmt ist das Geld schon für Veit Harlan draufgegangen.
Dietrich
Kuhlbrodt
Dieser
Text ist zuerst erschienen in Konkret 06/2001, S. 62
Frank
Noack: Veit Harlan.
Belleville Verlag, 483 Seiten
Jud
Süß – Ein Film als Verbrechen?
Deutschland
2001, Regie: Horst Königstein, Buch: Horst Königstein und Joachim
Lang, Kamera: Udo Franz. Mit: Axel Milberg, Esther Hausmann, Florian Martens,
Johannes Silberschneider, Siegfried Kernen, Christoph Bantzer, Wolf-Dietrich
Berg, Torben Liebrecht, Alexandra Henkel, Joachim Paul Assböck.
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