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Der
Dorflehrer
Um Homosexualität, Schneckenhäuser
und Melancholie geht es in Bohdan Slamas Film "Der Dorflehrer".
"Sehr traurig", sagt die Bäuerin,
eine Frau mittleren Alters und alleinerziehende Mutter, als sie die Kopfhörer
des jungen Mannes, der da in ihrem Heu liegt, aufsetzt und in seine Musik rein
hört. Ein Trauergesang ist zu hören, eine Elegie, der es als einziger
vorbehalten ist, "Der Dorflehrer" musikalisch zu untermalen. Immer
wieder, an genau bestimmten Stellen, fließt sie als Score in den Film
ein und gibt sich dann doch meist als Musik zu erkennen, die Teil der Filmwelt
ist, die sie umspielt und einwattiert. "Der Dorflehrer"- ein melancholischer
Film.
Der da im Heu liegt und Musik hört
ist Peter (Pavel Liska), ein von Prag aufs Land geflohener Lehrer, der seiner
Umwelt so fremd bleibt, dass er, wenn er sich zu Beginn seiner Klasse vorstellt,
so verschüchtert wie ein neuer Mitschüler wirkt, der unbeholfen um
Einlass in die Gemeinschaft bittet. Was ihn aufs Land zog, was im Innersten
des verschlossenen Mannes vor sich geht, bleibt solange unklar, bis es ihm,
vor seiner Mutter, die ob solcher Plötzlichkeit ebenso erstaunt ist wie
der Zuschauer, herausplatzt: "Ich bin homosexuell."
In einem Winkel bei der Bäuerin Marie
(Zuzana Bydzovska), untergekommen, macht er bald Bekanntschaft mit deren Sohn,
Lada (Ladislav Sedivy), der mit typischer Spätpubertät beschäftigt
ist: Erstes Knutschen mit der Freundin, erste Unsicherheiten, Eifersucht, Trennungsschmerz
und profundes Desinteresse an allem Schulischen. Dass Peter dem Heranwachsenden
unter die Arme greift, ist nicht allein pädagogische Verpflichtung: Sein
trauriger Blick verrät die heimliche Zuneigung, die seine Hände in
einer alkoholisierten Nacht die Grenzen um die entscheidenden Zentimeter überschreiten
lassen.
Viel mehr als um menschliche Katastrophen
und tragische Exzesse geht es Regisseur Bohdan Slama um eine melancholische
Grundhaltung, eine Art milder, die eigene Traurigkeit kultivierenden Blick auf
das Leben, dem eine hoffnungsvolle Note zuweilen nicht abgeht. Ob es sich bei
Peters Fehlgriff um eine Vergewaltigung handelt, interessiert ihn im Grunde
ebenso wenig wie die Beschädigungen, die Lada, der im Anschluss an die
Nacht den Hof verlässt und auf der Suche nach seiner Freundin durchs Land
streift, mutmaßlich mit sich trägt. Sein Film ist behutsam, Schritt
für Schritt erzählt, in langen, seine Welt sorgsam abtastenden, fast
abwartenden Einstellungen, die den sich bemerkenswert frei bewegenden Figuren
folgen, sei’s in die Höhe, sei’s in die Tiefe oder in einer Drehung der
Kamera um sich selbst. Schnitte, die das Geschehen dramatisieren, finden sich
selten und fast ausschließlich nur dann, um einen Ortswechsel zu markieren."Der
Dorflehrer" ist eine Beobachtung, oder besser noch: Eine Übung in
Entschleunigung, die Dinge zunächst geschehen lässt.
Wenn man, was selten, fast nie, der Fall
ist, Peter beim Klassenunterricht sieht, spricht der Biologielehrer meist über
Schneckenhäuser. Wie man an ihnen ablesen kann, was deren einstige Bewohner
in ihrem Leben durchgemacht haben. Hier die Windung, da wurde die Schnecke das
entscheidende Gran älter, jene Narbe, da mag ein Stein das Gehäuse
gesplittert haben, doch die Stelle wuchs wieder zu. Jeder Schwung eine Episode
im Leben, mit Spuren und Verwerfungen. Dieser Logik der wehmütigen Beschaulichkeit
eines fließenden, sich windenden Lebens ordnet auch Slama die Ereignisse
im "Dorflehrer" unter: Menschen, denen im einzelnen
ein Stein auf die Schale drückt. Am Ende des Films wird ein Kalb geboren,
es wird, wie Peter, Marie und Lada, Dinge erlebt haben, auf die sich zurückblicken
lässt, im Guten wie im Schlechten.
Thomas Groh
Dieser Text ist zuerst erschienen
am 19.08.2009 in: www.perlentaucher.de
Der
Dorflehrer
Zuzana Bydžovská, Pavel LiškaTschechien / Frankreich / Deutschland 2008 – Originaltitel: Venkovský ucitel – Regie: Bohdan Sláma – Darsteller: Pavel Liška, Zuzana Bydžovská, Ladislav Šedivý, Tereza Voríšková, Miloš Cernoušek, Zuzana Kronerová – FSK: ab 12 – Länge: 120 min. – Start: 27.8.2009
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