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Dope
Rick Famuyiwas "Dope" erkundet South Central Los Angeles als einen komplexen Möglichkeitsraum.
Malcolm (Shameik Moore) trägt eine blockförmige Retro-Frisur und bunte Hemden, in der Schule hat er in allen Fächern die besten Noten und träumt von einem Harvard-Studium, in seiner Freizeit beschäftigt er sich obsessiv mit der Hip-Hop-Szene der 1990er. Kurz: Malcolm ist ein geek. Wie man das aus amerikanischen Highschool-Filmen kennt, muss Malcolm mit seinen (leider etwas allzu sidekicky angelegten) geek-Freunden Jib und Diggy auf dem Weg vom Klassenzimmer zum Schließfach stets ängstlich nach den tumben, breitschultrigen jocks Ausschau halten, die sich einen Spaß daraus machen, die drei zu verprügeln. Was man aus amerikanischen Highschool-Filmen eher nicht so kennt: Sowohl die jocks als auch die geeks sind schwarz – wobei: Jib zum Beispiel nur zu 14 Prozent… und auf solche Feinheiten kommt es durchaus an in dem Abenteuerspielplatz der Identitäten, als den Rick Famuyiwas "Dope" die USA der Gegenwart darstellt.
Oder jedenfalls das South Central Los Angeles der Gegenwart (die Breite der Cinemascope-Leinwand passt wieder einmal perfekt zu Südkaliornien und den weitläufigen, flächigen Straßenzügen, in denen der Film zu weiten Teilen spielt). An dessen Mythologie hatte sich zuletzt das N.W.A.-Biopic "Straight Outta Compton" abgearbeitet; Famuyiwa, selbst als Sohn nigerianischer Einwanderer in Inglewood aufgewachsen, versucht sich an einer Aktualisierung, die gleichzeitig eine Hybridisierung ist: "Dope" zeigt das schwarze, oder besser das nicht/kaum-weiße Los Angeles nicht als anarchisch-atavistisches Gangland, sondern als einen komplexen Möglichkeitsraum. In den sich vielleicht sogar noch einmal der american dream eintragen lässt, und zwar nicht nur in seiner "Life ain’t nothing but bitches and money"-Schwundstufe, sondern vollumfänglich, als ein Versprechen auf ein besseres Leben, in dem auch die Idee einer besseren Gesellschaft inbegriffen ist. Freilich kann es in diesem (sicherlich, wenn man denn unbedingt will, auch lediglich als Ausdruck neoliberaler Ideologie lesbaren) Möglichkeitsraum South Central immer noch lebensgefährlich sein, wenn man zum falschen Zeitpunkt die Straßenseite wechselt. Jedenfalls setzt sich der Spießrutenlauf, dem sich Malcolm, Jib und Diggy im Schulkorridor unterziehen müssen, auf dem Heimweg nahtlos fort. Links dreht eine Gang ein Musikvideo, rechts wollen Dealer ihre Fahrräder stehlen. "A daily navigation between bad, and worse joices".
Aber eben, wie gesagt, auch ein Möglichkeitsraum – der nicht zuletzt dazu angetan ist, filmische Formen zu verflüssigen. Schon nach zehn Minuten lässt Famuyiwa die angedeutete High-School-Comedy wieder fallen und schwenkt in Richtung einer Ghetto-Romanze ab: Malcolm wartet einmal zu lang an einer Kreuzung und wird prompt von einem der Dealer angesprochen; der sich freilich ebenfalls als Hip-Hop-Nerd herausstellt und ihn mit seiner Freundin Nakia (Zoë Kravitz) bekannt macht. Nakia wiederum hat, merkt man schnell, an cleveren Strebern womöglich mehr Interesse als an harten Jungs. Auch das ist eine Finte. Denn nur wenige Filmminuten und eine wüste Schießerei später findet sich Malcolm im Besitz eines bis obenhin mit Drogenpaketen gefüllten Rucksacks wieder. Eine Pistole liegt praktischerweise auch noch obendrauf. Im Folgenden entfaltet sich "Dope" als eine überdrehte, knallbunte Gangsterkomödie, in der derangierte Kiffer im dark net Millionen scheffeln und chronisch leichtbekleidete, zugekokste Societygirls den Straßenverkehr unsicher machen. Leider ist das nicht unbedingt die interessanteste Abzweigung, die dieser zunächst und im Kleinen auch später noch erfreulich eigensinnige Film hätte nehmen können.
In seinen schwächsten Momenten erinnert "Dope" an Untiefen der Postmoderne, wie sie das Kino vor allem in den 1990ern durchschritten hatte: Hauptsache Tempo, jeder auch noch so doofen Idee muss nachgegeben werden, wenn sie nur hinreichend laut und grell daher kommt. Dass das zur zur Nineties-Begeisterung der Hauptpersonen und auch zum Soundtrack passt, macht die Sache nur sehr bedingt besser. Nötig hat "Dope" den Unfug sowieso nicht. Der Hauptdarsteller Shameik Moore zum Beispiel ist großartig und bleibt stets die Ruhe selbst. Oft ist schwer zu entscheiden, ob sich hinter seiner Coolness Schüchternheit oder Arroganz verbirgt, aber immer, wenn Moore im Bild ist, stabilisiert sich der frame. Ganz allgemein funktioniert "Dope" immer dann wunderbar, wenn Famuyiwa leisere, oder auch spielerische Töne anschlägt, wenn er seine Welt nicht mit schlecht verarbeiteten Genrekinoversatzstücken und MTV-Ästhetik vergangener Dekaden vollstellt, sondern sie mit den neugierigen Augen eines ehrgeizigen geek erkundet.
Lukas Foerster
Dieser Text ist zuerst erschienen in: www.perlentaucher.de
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Dope
USA 2015 – 103 Min. – Kinostart(D): 28.01.2016 – FSK: ab 16 Jahre – Regie: Rick
Famuyiwa – Drehbuch: Rick Famuyiwa – Produktion: Nina Yang Bongiovi, Forest
Whitaker – Kamera: Rachel Morrison – Schnitt: Lee Haugen – Musik: Germaine Franco
– Darsteller: Rakim Mayers, Blake Anderson, Bruce Beatty, De’aundre Bonds, Julian
Brand, Quincy Brown, Kiersey Clemons, Kimberly Elise, Rick Fox, Christopher
Glenn, Amin Joseph, Ricky Harris, Chanel Iman, Wyking Jones, Kapg – Verleih:
Sony Pictures Germany
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