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Don’t Breathe
Vielleicht ein zukünftiger
Klassiker des klaustrophobischen Terror-Kinos: "Don’t Breathe" von
Fede Alvarez.
Die verfallenden, leergefegten Vorortsiedlungen von Detroit bleiben mit ihrem Sozialapokalypse-Chic auch weiterhin eine der reizvollsten Kulissen für das gegenwärtige Horror- und Thrillerkino der mittleren Preisstufe. Doch wo Ryan Gosling (in "Lost River") und David Robert Mitchell (in "It Follows", beide von 2014) die Tristesse dieser Gebiete vor allem als atmosphärischen Background nutzten, bilden sie für Fede Alvarez eine szenarische Grundvoraussetzung: In dieser Endmoräne urbaner Zivilsation nach ihrem Verfall hört Dich keiner schreien.
Drei Kids – Rocky (Jane Levy), Alex (Dylan Minnette) und Money (Daniel Zovatto) – lässt der uruguayische Regisseur, seit seinem geglückten Remake von Sam Raimis Splatterklassiker "Evil Dead" unter Freunden filmischer Drastik als vielversprechendes Talent gehandelt, in diesem entvölkerten Gebiet ins Elend rennen: Mit speziellem Equipment ausgestattet, das es ihnen ermöglicht, moderne Sicherheitstechnologie beim illegalen Betreten eines Hauses im Nu zu deaktivieren, bessern sie ihr Einkommen durch Einbrüche auf. Insbesondere die junge Rocky hofft so irgendwann aus ihren desolaten Lebensverhältnissen ausbrechen zu können. Ein Tipp führt die drei schließlich zu diesem einen Haus, dem letzten bewohnten in der Gegend: Darin verbarrikadiert sich ein alter Irak-Kriegsveteran (Stephen Lang) – angeblich mit einer beträchtlichen Summe Bargeld im Safe. Und blind ist er obendrein. Leichte Beute.
Doch die Abgeschiedenheit inmitten von Ruinen erweist sich als Bumerang: Das vermeintlich leichte Opfer ist nicht nur ein Meister der Innenverriegelung; sondern auch eine skrupellose Nahkampfmaschine mit bissigem Hund an der Seite. Eine Übung in Minimalismus: Nach seinem Waldhüttenfilm "Evil Dead" erweist sich Alvarez in diesem hocheffizienten, ökonomisch eleganten Film erneut als Meister der räumlichen Begrenzung. Er spielt eine drastische Situation minutiös durch und bezieht dabei aus der Dynamik zwischen Konzentration und Eskalation beträchtlichen Reiz: So weichen die weiten Panorama-Aufnahmen Detroits zu Beginn rasch einer Ästhetik begrenzter Sichtbarkeiten – schmale Schärfebereiche, nahe Einstellungen (Kamera: Pedro Luque) herrschen vor. Ist die kammerspielartige Hetzjagd erst einmal in Gang gesetzt, erzielt der Film auch durch die ständige Nähe seiner Figuren zueinander eine latent klaustrophobische, ins Paranoide spielende Atmosphäre, sodass man sich stets nach der Erlösung des nächsten, etwas mehr Übersicht stiftenden Gegenschusses sehnt.
Aus solchen Limitierungen und Beengungen bezieht der Film über lange Passagen immensen Suspense: Die Blindheit des Gegenspielers, geradezu animalisch verwildert gespielt von Stephen Lang, gestattet genüsslich ausgekostete Versteckspiele auf wenigen Quadratmetern, bei denen der Filmtitel für die Figuren zur überlebensnotwendigen Maxime wird. Zumal wenn – kein Spoiler – nach dem ersten Toten für den blinden Mann buchstäblich nicht ersichtlich ist, wie viele weitere Leute sich noch in seinem Haus befinden. Zum Glück ist Alvarez ein selbstbewusster Regisseur mit gutem Gespür für Timing und die Dynamiken einer Spannungsinszenierung: Stille Passagen hält er genauso aus, wie er in turbulenten Momenten nicht die Gäule mit sich durchgehen lässt.
Alvarez ist ein fairer Regisseur – er kommuniziert bewusst mit seinem Publikum, eine essenzielle, geradezu klassizistische Tugend zur Inszenierung von Spannung. Beim Betreten des Hauses erkundet die Kamera den Schauplatz für uns in einer tollen Plansequenz: Hier der Zwischenstock, durch den eine Person robben kann, dort einige fiese Instrumente an der Werkzeugbank und hier am Boden – autsch – ein paar Glasscherben, deren Position wir uns beiläufig merken sollten. Auf jump scares als klassisches Überraschungselement verzichtet zwar auch Alvarez nicht, aber in seiner Klaviatur der unterschiedlichen Grade von Anspannung setzt er sie bewusst ein, immer im Zusammenhang des dramaturgischen Aufbaus.
Die klaustrophobische Reise führt tief in den Keller. Dort warten noch ganz andere verstörende Geheimnisse auf die gehetzten Kids, die das ohnehin stetig wechselwarme Gefühle hevorbringende Sympathiemanagment des Films aufs neue Salti schlagen lässt. Ein Hauch von "Texas Chain Saw Massacre" liegt in der Luft. Dass "Don’t Breathe" als meisterliches Stück klaustrophobischen Terrorkinos eines Tages einen ähnlichen Klassikerstatus erreichen könnte, ist keineswegs unwahrscheinlich.
Thomas Groh
Dieser Text ist zuerst erschienen im: www.perlentaucher.de
Don’t Breathe
USA 2016 – 88 Min. – FSK: ab 16 Jahre – Kinostart(D): 08.09.2016 – Regie:
Fede Alvarez – Drehbuch: Fede Alvarez, Rodo Sayagues – Produktion: Joseph Drake,
Nathan Kahane, Sam Raimi, J.R. Young – Kamera: Pedro Luque – Schnitt: Gardner
Gould – Musik: Roque Baños – Darsteller: Jane Levy, Dylan Minnette,
Stephen Lang, Daniel Zovatto, Jane May Graves, Sergej Onopko – Verleih: Sony
Pictures Germany
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