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Django Unchained

 

 




Winnetou für Cowboys

Ein Italo-Western mit Abitur, der trotzdem nur Erwartungen erfüllt. Über Quentin Tarantinos neuen Film „Django Unchained“, den Blick auf das Werk und die Kontroverse

Ohne Kontroverse ist das filmische Werk von Quentin Tarantino nicht zu haben. Man kann das, in einer marktwirtschaftlichen Lesart, als Ausdruck avancierter PR nehmen: dass die Ereignishaftigkeit eines jeden neuen Tarantino-Films, von denen es in 20 Jahren gerade sieben gibt ("Reservoir Dogs", "Pulp Fiction", "Jackie Brown", "Kill Bill 1 & 2", "Death Proof", "Inglourious Basterds" und nun "Django Unchained"), von einer begleitenden Debatte unterstrichen wird.

In einer künstlerischen Lesart, die bei Tarantino zweifellos ihre Berechtigung hat, verdankten sich die Kontroversen um die Filme deren Qualität: dass jemand, der Kino als ein unterhaltsames und zugleich reflektiertes Klassentreffen seiner selbst versteht, zwangsläufig Leute mit konventionellen Sichtweisen irritieren muss.

Die Kontroverse, mit der Tarantinos neuer Film "Django Unchained" in dieser Woche in die deutschen Kinos kommt, geht auf den Filmemacher Spike Lee zurück. "Django Unchained" ist ein Italo-Western mit Abitur, der zwei Jahre vor Beginn des amerikanischen Bürgerkriegs den Aufstand eines Sklaven gegen die weißen Plantagenbesitzer kunstblutspritzend und erfolgreich in Szene setzt. Spike Lee hat verkündet, dass er sich den Film nicht anschauen werde – aus Respekt vor seinen Ahnen.

Einzigartigkeitswort als PR
Dass Lee anfügte, dabei nur von sich und für niemand anderen zu sprechen, ist lässlich, weil im hochgepitchten medialen Aufmerksamkeitsbetrieb der Standpunkt eines Prominenten, wie er einer ist, automatisch aufgeladen ist mit größerer moralischer Geltung, als eine persönliche Meinungsäußerung sie darstellte. Via Twitter spitzte Lee seinen Vorwurf zu: „Sklaverei in Amerika war kein Sergio-Leone-Spaghetti-Western. Es war ein Holocaust.“

Diese Feststellung führt nun vor, dass die marktwirtschaftliche Lesart bei der Lancierung neuer Tarantino-Filme durchaus angebracht ist. Mit der Anwendung eines Einzigartigkeitsbegriffs auf ein anderes Menschheitsverbrechen gibt es die Kontroverse quasi gratis. Tarantino hat bei der Berliner Premiere von "Django Unchained" das Wort vom Holocaust aufgegriffen und darunter, außer der Versklavung von Afrikanern, die Ausrottung der indigenen Amerikaner verstanden wissen wollen.

Dass darüber kein größerer Streit entbrannt ist, lässt sich auch durch eine gewisse Ermüdung an der Debatte über gewisse Begriffe erklären. Die Zeit arbeitet, nüchtern betrachtet, gegen die Hierarchisierung von Einzigartigkeitswörtern; wichtiger als die Hitlistenpflege von Menschheitsverbrechen ist in einer globalisierten Welt die Arbeit an den je spezifischen Traumata und Verantwortungen, die aus diesen Verbrechen resultieren. Das wäre der pragmatische Blick auf so etwas wie Geschichtsbewusstsein im 21. Jahrhundert: Es geht weniger darum, ob die ökonomisch motivierte Unterjochung von Afrikanern vergleichbar ist mit dem industriellen Massenmord an den deutschen Juden, sondern vielmehr um die notwendige Auseinandersetzung mit einer problematischen je eigenen Geschichte.

Verharmlosender Begriff
Deren Auswirkungen bestimmen weiterhin die Kräfteverhältnisse und Diskurslagen der Gegenwart. Das Erbe der Sklaverei in den USA ist ein Rassismus, der mit dem Ende der offenen Apartheid in der Gesellschaft nur scheinbar verschwunden ist. Zu diesem Rassismus muss sich "Django Unchained" verhalten, und weil zum dabei etablierten Diskursniveau die Frage gehört, wer für wen spricht, kann Tarantinos Position als weißer Filmemacher, der von der Emanzipation eines schwarzen Helden erzählt, nicht unschuldig sein.

Für die Debatte bedeutet das erst einmal nur, sich dessen bewusst zu sein. „Nur“ ist hier ein verharmlosender Begriff, steckt in der Wichtigkeit der Sprecherposition doch nicht allein das Privileg, Geschichte deuten zu können, sondern die viel schockierendere Frage, was aus diesem Privileg folgt. Anders gesagt: Ein Film wie "Bamboozled" (2000), in dem Spike Lee satirisch die rassistische Praxis der Minstrel-Shows als Fernsehsendung von heute bearbeitet hat, ist tausendmal kontroverser als "Django Unchained" – schon weil dem weißen Zuschauer und seinen Sehgewohnheiten die Satire nicht leicht zugänglich ist. Die globalisierten Ausgleichsbewegungen von Machtverhältnissen machen die Schwierigkeiten des weiß und westlich sozialisierten Kunstbetrachters deutlich, Differenz als solche zu erkennen: Eine wahrhaft „chinesische“ Kunst wäre folglich, und ohne putzigen Nationalklischees das Wort zu reden, dort zu suchen, wo sich der bildungsbeflissene Europäer nicht freuen kann, Mao und Coca Cola in schickem Pop-Art-Stil wiederzuerkennen.

"Django Unchained" ist in diesem Sinne, um jetzt zum Film selbst zu kommen, die coole Emanzipationserzählung des Sklaven als Kinohelden (Jamie Foxx als Django Freeman), die der weiß-westliche Zuschauer ohne Weiteres verstehen kann. Der Film akzentuiert damit Tarantinos Werk neu, insofern es sich mit dem lustvollen B-Movie-Sklavenaufstand nun klarer in zwei Abschnitte scheiden lässt. Während der erste Teil ("Reservoir Dogs", "Pulp Fiction", in gewisser Weise "Jackie Brown") in einer Neuinterpretation des Gangsterfilms durch intellektuelle Trivialisierung bestand (deren Begleitkontroverse um die Darstellung von Gewalt kreiste), erscheint der zweite Teil politischer. War "Kill Bill" (2003/04) noch der akribische Rachefeldzug einer Einzelnen, schlagen seit "Death Proof" (2007) die von der Geschichte marginalisierten Gruppen zurück: zuerst die Frauen, dann die Juden in "Inglourious Basterds", nun die Afroamerikaner.

Der gesellschaftliche Aspekt von Tarantinos freudigem Heimleuchten der Geschichte lässt sich gut an den überbordenden Besetzungslisten ablesen. Die verzeichnen nicht mehr nur, wie in "Pulp Fiction" oder "Jackie Brown", kalkulierte Auftritte verschiedentlich prominenter Akteure, sondern auch ein Heer an eher weniger bekannten Gesichtern. Was überdies eine Annäherung an die begrenzten Möglichkeiten des B-Movies bedeutet: Der Unterschied zwischen den Filmen, auf die Tarantino sich bezieht, und den Filmen, mit denen er das tut, ist geringer geworden.

In "Django Unchained" gibt es dennoch große Rollen, die von eben solchen Schauspielern übernommen werden. Christoph Waltz als aus Deutschland eingewandertem Kopfgeldjäger und gewesenem Zahnarzt Dr. King Schultz merkt man dabei etwas zu stark das Wissen um das Lob an, das er für seine mit dem Oscar prämierte Darstellung des manierierten Nazis in "Inglourious Basterds" erhalten hat. Eine hübsche Pointe ist freilich, dass Waltz hier als „guter“ manierierter Deutscher zurückkehrt und die Nibelungen-Sage im Gepäck führt.

Dressurnummer als Triumph
Eindrucksvoller sind Leonardo DiCaprio als dicklich-tumber Plantagenbesitzer Calvin M. Candie und Samuel L. Jacksons gerissener Butler Stephen, der schon deshalb die interessanteste Figur abgibt, weil er – als eine Art Kapo zwischen Macht und Unterdrückung situiert – die Verführbarkeit durch Privilegien und damit den schwierigen Alltag eines repressiven Lebens sichtbar macht.

Man kann in "Django Unchained" etwas über die Sklavenhaltergesellschaft verstehen, so wie der Film kraft seiner Ereignishaftigkeit ein wenig populäres Thema überhaupt nobilitiert. Und man kann die Cleverness von Tarantino bewundern, durch den Rückgriff auf das trashige Genre der Frivolität zu entkommen, sich an Auspeitschung oder Ermordung von Sklaven zu delektieren. Dieser Voyeurismus ist der Schauwert des B-Movies, den Tarantino dosieren kann, weil die Originale ihn ausgelebt haben. Gleichzeitig streicht er alles, was dieses schmutzige, aber politische Kino unbewusst artikulierte, mit dem Edding seiner kindlichen Begeisterung für eine aufrichtige Gut-Böse-Moral dick heraus.

Leider nur kommt dem Film darüber die Kontroverse abhanden. Ein weißer Zuschauer kann in den tendenziell endlosen gut drei Stunden leicht vergessen, was die alle nur immer haben mit dieser Verantwortung und ob er mit den Filmschurken irgendetwas zu tun hat. Und sich am Ende freuen, wenn Django als lässiger Macker seine anbetungsvolle Broomhilda von Shaft (Kerry Washington) befreit hat und ihr, zur Pathosvermeidung, eine Dressurnummer zu Pferde vortanzt – das i-Tüpfelchen auf dem erwartbar besten Klassenaufsatz, den der Schüler geschrieben hat, der einmal der Nerd war.

Der Witz von Spike Lees Äußerung liegt also darin, dass just der Satz, den man ihm vorwerfen könnte, der treffendste von allen ist: Man muss "Django Unchained" nicht anschauen, um ihn gesehen zu haben.

Matthias Dell

Dieser Text ist zuerst erschienen im: Freitag

 
Django Unchained
USA 2012 – 165 min.
Regie: Quentin Tarantino – Drehbuch: Quentin Tarantino – Produktion: Reginald Hudlin, Pilar Savone, Stacey Sher, Harvey Weinstein – Kamera: Robert Richardson – Schnitt: Fred Raskin – Verleih: Sony Pictures – FSK: ab 16 Jahre – Besetzung: Jamie Foxx, Leonardo DiCaprio, Christoph Waltz, Samuel L. Jackson, Jonah Hill, Kerry Washington, Amber Tamblyn, Walton Goggins, Zoe Bell, James Remar, Don Johnson, Tom Savini
Kinostart (D): 17.01.2013

 

 

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