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Django Unchained
In Quentin Tarantinos "Django Unchained"
kommen zwei Schmierenkomödianten einem antirassistischen Rachewestern in
die Quere.
Django, das war einmal: ein unrasierter, den Hut tief ins Gesicht gezogener Franco Nero, der eine Minigun, ein unsportliche, räudige und deshalb ungemein italowesternaffine Automatikwaffe, zur Hand nimmt und seine maskierten Widersacher gleich reihenweise niedermäht. Diese Szene aus Sergio Corbuccis Genreklassiker "Django" (1966) taucht in Perry Henzells legendärem jamaicanischen Polit-Gangsterfilm "The Harder They Come" aus dem Jahr 1972 auf: Da sitzt die von Jimmy Cliff gespielte Hauptfigur mit ihren jubelnden Kumpels im Kino und holt sich vom hinterlistigen Nero Mut fürs eigene Aufbegehren. Noch einmal vierzig Jahre später nimmt sich Quentin Tarantinos Film/Geschichtsumschreibungsprojekt den Italowestern vor – und die Sklaverei. "Django" ist endgültig zur Chiffre stilbewusster, antirassistischer (und anders als bei Henzell: durch und durch erfolgreicher) Selbstermächtigung geworden.
Doch bevor es soweit kommt, setzt es erst einmal eine Überdosis Christoph Waltz. Als dampfplaudernder, snobistischer, arroganter SS-Hauptmann Hans Landa hatte der Österreicher es zu einer der zentralen Attraktionen in Tarantinos "Inglourious Basterds" gebracht. Im Nachfolgefilm führt Waltz, was Auftreten und Sprechweise angeht, diese Rolle eins zu eins fort, und das, obwohl er, als Dr. King Schultz, diesmal auf der richtigen Seite steht; auf der des ehemaligen Sklaven Django, den er zu Filmbeginn befreit und gleich wieder in ein halbes Abhängigkeitsverhältnis zwingt: als Waltz’ Gehilfe zieht Jamie Foxx hinfort gegen tumbe Ku-Klux-Klan-Schergen und zweitklassige Desperados zu Felde. Denn Dr. King Schulz gibt sich zwar als Zahnarzt aus – der auf seinem Planwagen auf und ab wippende Zahn gehört zu den schönsten Ausstattungseinfällen des Films -, eigentlich verdient er sein Auskommen als Kopfgeldjäger, nistet sich also an der Grenze zwischen dem Gesetz und dessen Außen ein.
Rabiater popkultureller Geschichtsrevisionismus also, eine durchaus ähnliche Konstruktion wie im Vorgängerfilm. Weniger riskant, zugleich auch weniger problematisch als "Inglourious Basterds" ist "Django Unchained" vielleicht auch, weil Tarantino diesmal nicht nur an Henzells antikoloniale Relektüre des Italowestern, sondern daneben an eine lange, reichhaltige Traditionslinie innerhalb der schwarzen, amerikanischen Popkultur anschließen kann, an eine quicklebendige Gegengeschichtsschreibung von unten; an eine musikalische Tradition natürlich zuallererst, an den Soul der Siebziger Jahre und den Hip Hop der Gegenwart, beides gut vertreten auf dem ansonsten natürlich Morricone-nahen Soundtrack.
Überhaupt die Tonspur: Ein dichter Klangteppich ist das, dem es nicht genügt, irgend etwas zu evozieren, sondern der direkt "sprechen" möchte, seinen Teil beitragen will zur unermüdlichen, ununterbrochenen Zeichen- und Zeichenkettenproduktion. Eine maximal kommunikative Soundspur in einem maximal kommunikativen Film. Mehr noch als andere, insbesondere als die frühen Tarantino-Filme legt "Django Unchained" sein eigenes metanarratives Skelett und damit sein Funktionsprinzip offen; die Inszenierung hat stets etwas Bühnenartiges, die Figuren einen Hang zum Deklamierenden. Später bekommt vor allem Leonardo di Caprio viel Zeit und viel Raum für seinen ehrenwerten, aber vergeblichen Versuch, Waltz auszumanirieren und an die Wand zu gestikulieren. Er gibt den Sklavenhalter Calvin Candie, der sich an einander massakrierenden schwarzen Schaukämpfern ergötzt und sich eine deutschsprechende schwarze Zofe namens Broomhilde hält.
Man mag sich zunächst fragen, wozu Tarantino diese beiden weißen Schmierenkomödianten benötigt in einem Rachewestern, der doch eigentlich davon erzählen möchte, wie sich Jamie Foxx’ Django seiner Unfreiheit, die ihm direkt in die Haut eingebrannt worden ist, entledigt. Was er natürlich durchaus tut, mit einigem Effekt, aber alles in allem eher so nebenbei und hinten an die Waltz/di Caprio-Show angepappt. Andererseits: als Rachefantasie oder überhaupt nur als Western funktioniert der Film ohnehin überhaupt nicht. Vermutlich war das auch nie das Ziel; keine Hommage ans, sondern einen fußnotenintensiven Kommentar zum Genrekino hat Tarantino im Sinn. Die beiden konkurrierenden Referenzhuber Waltz und di Caprio sind eben deshalb die zwangsläufigen Protagonisten: weil sie keine Genrekinofiguren sind (da fehlt ihnen der Sinn fürs Ökonomische), sondern das Handeln ist ihnen weniger wichtig als die 1000 Referenzsysteme, die ständig nebenbei mitlaufen, das Handeln immer gleich eintragen in diverse metatextuelle Register.
Eintragen und Interpretieren. Denn das Zitieren ist nicht Selbstzweck, sondern längst selbst thematisch geworden im Tarantino-Kino. Der Referenzraum ist breit und tief, beschränkt sich nicht auf die Genrefilmgeschichte, hat sich literarisiert, reicht zurück bis zur Nibelungensaga, die mithilfe einiger eleganter Verschiebungen umgeschrieben wird. Es gibt aber auch eine Ethik, eine richtige und eine falsche Art des Zitierens. Wenn der Dumas-Fan Calvin Candie einen seiner Sklaven D’Artagnan nennt, so ist das ein grundfalsches Zitieren. Nicht zuletzt, erklärt ihm Schultz, weil der französische Schriftsteller selbst afrikanische Vorfahren hatte. "Zitat und Kontext" muss beachten, wer sich aufs weite Feld der Intertextualität begibt, würde der Deutschlehrer an einer solchen Stelle anmahnen – an den erinnert Tarantino, ein Regisseur, der bei aller Smartness die affektiven Qualitäten des Bewegungskinos nicht aus den Augen verliert, nur sehr selten, im mitunter allzu geschwätzigen und eher eine ganze als eine halbe Stunde zu langen "Django Unchained" allerdings vielleicht doch ein wenig zu oft.
Lukas Foerster
Dieser Text ist zuerst erschienen im: www.perlentaucher.de
Django Unchained
USA 2012 – 165 min.
Regie: Quentin Tarantino – Drehbuch: Quentin Tarantino – Produktion: Reginald
Hudlin, Pilar Savone, Stacey Sher, Harvey Weinstein – Kamera: Robert Richardson
– Schnitt: Fred Raskin – Verleih: Sony Pictures – FSK: ab 16 Jahre – Besetzung:
Jamie Foxx, Leonardo DiCaprio, Christoph Waltz, Samuel L. Jackson, Jonah Hill,
Kerry Washington, Amber Tamblyn, Walton Goggins, Zoe Bell, James Remar, Don
Johnson, Tom Savini
Kinostart (D): 17.01.2013
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