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Dirty
Harry kommt zurück
Zum vierten Mal spielt Clint Eastwood
die Rolle des Polizisten Harry Callahan, der wegen seiner unkonventionellen,
harten Methoden bei der Verbrechensbekämpfung von der Unterwelt in San
Francisco den Spitznamen „Dirty
Harry" erhalten hat.
Er ist sichtbar älter geworden. Wie bei Sean Connery in »Sag niemals
nie« ergibt sich daraus eine zusätzliche Qualität. Beide Schauspieler
zeigen eine Entspanntheit und Gelassenheit gegenüber der Welt, als hätten
sie sich ein Jahr in einem Zen-Kloster aufgehalten. Sie wissen, daß man
die Dinge so nehmen muß, wie sie sind, und dieses Wissen umgibt sie mit
einem Hauch von Poesie. Die Geschichte – offensichtlich ist dies eine sehr moderne,
zeitgemäße Situation – erinnert an Claude Millers »Das Auge«.
Dort sind es ein Privatdetektiv und eine Mörderin, die nichts miteinander
zu tun haben, die nur eine ähnliche Wahnvorstellung verbindet. Hier ist
es ein Polizist, der, wo er auch hinkommt, das Verbrechen anzuziehen scheint.
Ein „lonely wolf", der auf seinem Weg immer wieder Leichen hinterläßt.
Sein Gegenspieler ist eine schöne, blonde Frau, Jennifer. Aber sie treffen
sich nur zwei- oder dreimal, zufällig.
Jennifer ist Malerin und vor zehn Jahren
mit ihrer Schwester auf einer Party vergewaltigt worden. Die Schwester sitzt
seitdem katatonisch gelähmt in einem Irrenhaus. Sie, Jennifer, malt schrecklich
düstere Bilder des Wahnsinns und beginnt, einen Mann nach dem anderen (von
den Männern, die sie vergewaltigt haben) zu erschießen. Mit einer
solchen Szene fängt der Film an. Zuerst ein Schwenk über das nächtliche
San Francisco. Dann ein geparktes Auto. Das Gesicht einer Frau, die von einem
Mann umarmt wird. Ihre Hand, die den Reißverschluß seiner Hose öffnet.
Dann verschwindet die Hand. Und plötzlich ist da ein silbern schimmernder,
kurzläufiger Revolver, und wir hören zwei Schüsse. Später
erfahren wir, daß die Frau immer so vorgeht. Zuerst ein Schuß in
die Genitalien, dann in den Kopf.
Ungewöhnlich ist, daß sie,
obwohl sie einen Menschen nach dem anderen tötet, dem Zuschauer sympathisch
bleibt. Es liegt daran, daß sie sich in einem der Katatonie ihrer Schwester
entsprechenden Zustand befindet. Es ist eine tiefe, fast metaphysisch zu nennende
Melancholie und Müdigkeit. Im Grunde tötet sie, wenn sie andere tötet,
sich selbst (einmal zerschlägt sie den Spiegel, in dem sie ihr Spiegelbild
sieht). Als Callahan ihr bei einem Abendspaziergang über den Weg läuft,
spürt er sofort die Seelenverwandtschaft zwischen ihnen und ist fasziniert.
Als er am Schluß des Films erkennt, daß sie die gesuchte Mörderin
ist, verschweigt er das seinen Kollegen, die schon einen anderen möglichen
Mörder (der tot ist) gefunden haben, und es könnte eine Liebesgeschichte
beginnen.
.
Clint Eastwood beweist in seinem zehnten
Film (als Regisseur), daß er mittlerweile ein ungewöhnlich gutes
Gefühl für Kino, das heißt für alles, was mit der Darstellung
von Raum und Zeit auf der Leinwand zu tun hat, entwickelt hat und immer genau
weiß, was er tut. Er ist übrigens der erste Regisseur, der Hubschrauberaufnahmen
wie Blenden einsetzt: Nicht als Höhepunkt, sondern als Überleitung
zu etwas anderem.
Rudolf
Thome
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: epd Film 2/1984
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Harry kommt zurück
SUDDEN
IMPACT
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