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Der Diktator
Die Ambivalenz verlässt das Kino
Diktator Admiral General Aladeen stellt der Öffentlichkeit
in seiner nordafrikanischen Republik die neue Atomrakete vor, die rein friedlichen
Zwecken diene, wie er vor der Kamera sagt, mühsam ein Lachen unterdrückend.
Die Uno in New York lädt ihn ein, eine Rechtfertigungsrede zu halten. 14
Stunden wird sie dauern. Im »Geburtsort von Aids« wird er jedoch
durch einen Doppelgänger ersetzt. Mit viel Glück findet er in Manhattan
eine Stelle in einem veganen Bioladen.
Der Film lebt von einem Gag-Gewitter im TV-Comedy-Stil, wobei die PC-Verstöße
austariert sind. Im Alltäglichen führt der exdiktatorische Ladenangestellte
neue alte Sitten ein. Selbstverständlich kann man einen frechen Jungen,
der Artikel aus den Regalen reißt und dem Personal den Mittelfinger zeigt,
zu Boden schlagen. Und als Geburtshelfer im Laden ein Baby aus dem Mutterloch
reißen (Großaufnahme) – es ist ein Mädchen – und nach der nächsten
Mülltonne fragen. Es gibt für Aladeen vieles zu verbessern. Strafandrohung
für Ladendiebstahl ist Waterboarding, und amerikanische Demokratie ist
vielleicht doch nicht so schlecht. Ein Prozent Reiche und 99 Prozent Arme –
kein Problem: ignore
the poor. Die Reichen feuern ihre
Angestellten. Der Diktator feuert auf seine Untergebenen. What’s the difference? Ich hab zu Haus meinen Diktator, und Texas hat sein Rechtssystem.
Noch mal: What’s
the difference? »Ist für
euch Amerikaner schwer zu verstehen.« Aber wir kommen ins Geschäft.
Ich hab jetzt so zitiert, wie ich’s in der Pressevorstellung verstanden habe.
Nicht lange vor dem Filmstart lief dort statt der deutschen Synchronfassung
die original
version – weiß der Teufel,
warum. Eine gewisse Geheimhaltung umgab den Film bisher. Im New Yorker Waldorf
Astoria wurde ebenfalls kurz vor Start eine Pressekonferenz abgehalten, auf
der, wie in der »Berliner Zeitung« zu lesen war, hundert handverlesene
Journalisten Fragen an den höchstselbst erschienenen Sacha Baron (eigentlich:Baruch)
Cohen richten durften – vorformulierte Fragen des Verleihs.
Spielen wir Journalisten jetzt in der postfilmischen Marketingoffensive mit?
Ja? Nein? Und wenn? Die Ambivalenz verlässt das Kino und wirkt nach außen.
Hallo! Wo sind die Gewissheiten? Es gibt bei Baron Cohen keine. Es ist seine
Methode, Urteile zu hintertreiben, gerne Vorurteile. Wie sieht unser Bild von
islamischen Diktatoren aus? Wir sehen Karikaturen mit schwarzem Vollbart, Comicfiguren,
Kriegsverbrecher, Böse voller Vorurteile gegen den demokratischen Westen.
Zweiter Schritt: Das Bild des Bösen verflüchtigt sich in der superaffirmativen
Aladeen-Darstellung. Er wird lächerlich, absurd und komisch. Zu fürchten
sind radikalkonservative Fundamentalisten in den USA, einer wie Sweeney, den
der Film namentlich nennt, auf einem Level mit den Diktatoren. Da sie sich nicht
unterscheiden, gibt’s kein Hindernis fürs große Ölgeschäft.
Ist »Der Diktator« also ein politischer Film? Sagen wir: eine therapeutische
Lockerungsübung. Oder besser: eine prima Unterhaltungsshow zum zwischendurch
heftig die Lufteinziehen. Die Comedy-TV-Kultur in Amerika wird ja nicht nur
in Manhattans Bioladenmilieu gepflegt, sondern global. Sie wird weltweit verstanden,
mehr oder weniger. Es scheint angebracht, den »Diktator« von den
deutschen TV-Komikern abzugrenzen, die gern ihr Geschäft auf Kosten anderer
betreiben. Baron Cohens Komik legt sich dagegen nicht fest. Der von ihm verkörperte
Diktator wird im Laufe des Films nicht mehr vorgeführt. Er führt vor,
zum Beispiel die Politiker der Uno-Vollversammlung. Wir müssen unsere Meinung
ändern, und das, wie gesagt, in einer Show, die unterhält und sich
verhält.
Im »Diktator« erscheint die Wirklichkeit medial. Live-Übertragungen,
reale und fiktive, Moderatoren, bekannte und unbekannte – eine davon getrennte
»objektive« Realität gibt es angeblich nicht, wie nach wie
vor die Lehre ist. Baron Cohen ist also mit dem »Diktator« auf der
Höhe der Zeit. Bitte aber zu beachten, dass das Alltägliche mitläuft.
In den Straßen Manhattans liest ein Motorrollerfahrer den ausgesetzten
Diktator auf. Cohen sitzt auf und fasst ihn um die Brust. »Lass die Brüste
los«, sagt der. »Oh, the boy is a girl«, ist die Lektion.
Zum Schlusskuss des Films wird er die schöne Retterin (Anna Faris) heiraten.
Die Großaufnahme sagt es: voll melodramatisch und gar nicht komisch. Der
Diktator ist zum Küssen. Vorher hat sie ihn noch zu ihrer Entlastung in
ihm bisher entgangene Onaniemethoden eingewiesen. Wieder Großaufnahmen,
euphorisch: Delphine springen. Das Wasser spritzt. Der Diktator ist toll sexy.
Im Film dominiert die Handlung. Wir sind damit weiter weg von Baron Cohens TV-Shows
der neunziger Jahre, in denen er – im Paramount Comedy Cable Channel – die Figur
des Ali G populär gemacht hat (»Eleven O’Clock Show«). In »Ali
G in da House« hat er als Moderator durch unverschämte Fragen echte
Gäste aus Politik und Showbusiness in Verlegenheit gebracht. Im Film »Borat«
war er dann aus Kasachstan zur Feldforschung in die USA aufgebrochen – mit der
kasachischen TV-Kamera in der Hand. Wieder war er Hauptperson und brachte seine
Gesprächspartner in böse Verlegenheit. Böse, weil sie vor den
gespielt naiven Fragen ungebremst die ungeheuerlichsten Vorurteile rausließen.
Das war komisch und entlarvend zugleich. Der Staat Kasachstan hatte bekanntlich
diplomatisch gegen den Film interveniert, und bei uns fühlte sich der Verband
der Sinti und Roma durch den Film verletzt. Die Gefühle, angegriffen zu
werden, haben im »Diktator« jedoch keinen rechten Platz mehr. Der
von Baron Cohen gespielte Held ist kein Fragesteller mehr, er gibt Antworten.
Ja, die amerikanische Demokratie der Armen hat doch etwas. Man trifft ohne weiteres
auf ein schönes Mädchen, das man heiraten kann. Großes Finale:
der Schlusskuss. Voll die Medienwirklichkeit. Noch Fragen?
9 von 10 Punkten
Dietrich Kuhlbrodt
Dieser Text ist zuerst erschienen in: konkret und in der www.filmgazette.de
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Der Diktator
USA 2012 – Originaltitel: The Dictator – Regie: Larry Charles – Darsteller:
Sacha Baron Cohen, Anna Faris, Ben Kingsley, John C. Reilly, Megan Fox, Jason
Mantzoukas, J.B. Smoove, Olivia Dudley, Kevin Corrigan – FSK: ab 12 – Länge:
83 min. – Start: 17.5.2012
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