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Diese
Nacht
Werner Schroeters Film ist ein Shakespeare-Zitat
vorangestellt: „Von allen Wundern, die ich je gehört, scheint mir das größte,
dass sich die Menschen fürchten; da sie doch sehen, der Tod, das Schicksal
aller, kommt, wann er kommen soll.“ Die Schrecken des 20. Jahrhunderts, eine
Stadt im Belagerungszustand. Die Armee zögert den Einmarsch noch hinaus.
In der Stadt marodieren die Milizen der Geheimpolizei, die Straßen liegen
voller Leichen. Alte Rechnungen werden im Angesicht des angekündigten Todes
beglichen, aber auch die ersten Jobs für die Zeit danach vergeben. Der
Arzt und Widerstandskämpfer Ossorio Vignale durchstreift die Kaschemmen,
Hotels und Folterkeller der Stadt auf der Suche nach seiner verschwundenen Geliebten
Clara. Diese arbeitete als politische Journalistin, und es steht zu befürchten,
dass sie ein Opfer der Geheimpolizei wurde. Hoffnungslos scheint Vignales Unterfangen,
sich binnen einer Nacht Klarheit über den Frontverlauf in einer Stadt im
Ausnahmezustand zu verschaffen. Alte Koalitionen sind erodiert, Freunde wurden
zu Verrätern, ständig werden die Karten neu gemischt – Gerüchte
machen die Runde, obschon die Infrastruktur in der Stadt weitgehend zusammengebrochen
ist.
Mit seiner episodischen Erzählweise
setzt Schroeter ganz auf die Situation, die Szene, nicht auf Plot, Handlung
oder Spannung. Obwohl die Nacht in Terror versinkt, kann das allgemeine Durcheinander
Vignale nichts anhaben, fast unverletzbar scheint er auf seiner Passage, die
ihn immer wieder alte Bekannte treffen lässt. Trifft er auf Unbekannte,
schützt ihn sein offenbar mythenumrankter Name. Vignale gilt vielen als
Held. Warum bleibt, wie so vieles, ungeklärt. „Diese Nacht“ scheint völlig
aus der Zeit gefallen. Dem Film liegt ein parabelhafter existenzialistischer
Roman des Südamerikaners Juan Carlos Onetti aus dem Jahr 1944 zugrunde.
Gedreht wurde er mit einem erstaunlichen Star-Ensemble (Pascal Greggory, Bruno
Todeschini, Sami Frey, Nathalie Delon, Bulle Ogier, Marc Barbe) und mit französischem
Geld in Porto, nur nachts. Die Produktionsumstände mit dem schwer kranken
Filmemacher dürften hinreichend bekannt sein. Nachdem Schroeter Onettis
Vorlage durch das Shakespeare-Zitat noch einmal abstrahiert und entpolitisiert
hat, setzt er noch einmal forciert auf ein multimediales Gesamtkunstwerk.
„Diese Nacht“ ist Film, Theater, Tableaux
vivants, Oper und Fado – ein Rausch der Farben und Gefühle, der so nur
möglich scheint in einem Moment der Aufhebung von Geschichte. Man könnte
in diesem Zusammenhang von einer dunklen Oper sprechen, wenn Schroeter radikal
ästhetisierte Bilder von Folterungen und Massenerschießungen mit
Musik von Mozart, Schubert, Rossini, Liszt, Beethoven oder Haydn auflädt
– und dabei die Künstlichkeit der magisch ausgeleuchteten nächtlichen
Dekors nochmals ins Artifizielle vorantreibt. Zugleich aber mischen sich in
diesen Diskurs des Erhabenen widerstrebende Momente der Populärkultur,
denn bestimmte Bilderwelten rund um die Vorstellungskomplexe Bürgerkrieg,
Militärjunta, Straßensperren, Nacht der langen Messer oder auch des
letzten Schiffes, das noch abfahren darf, sind hunderte Male trivialisiert und
konventionalisiert worden.
So verstörend einzigartig Schroeters
multimediale Kunst heute in der Filmlandschaft auch dasteht, bestimmte historische
Allianzen wie Pasolini, Visconti, Wertmüller oder vielleicht auch Fassbinder
kommen schon ins Gedächtnis, insbesondere in Momenten, in denen es darum
geht, dem herrschenden Terror etwas Humanes entgegen zu setzen. Das kann die
Musik selbst sein, das kann auch der höchst stilisierte Moment sein, in
dem der gestürzte Diktator seinen Selbstmord als überbordendes Kunstwerk
inszeniert.
Kurz vor Schluss begegnen sich zwei Kinder
unter der Dusche, ihr Spiel scheint erotisch und unschuldig zugleich. Übersehen
sollte man dabei nicht, wie häufig von Liebe die Rede ist. Manche Figuren
geben sich in dieser Nacht der Freude des Moments hin, andere verzehren sich
voller Sehnsucht, immer darauf hoffend, den schmerzlich vermissten Geliebten
noch einmal zu sehen. So düster und apokalyptisch Schroeters Film zu sein
scheint, letztlich singt er ein Hohelied der Liebe und der Sehnsucht, auch oder
gerade in Zeiten, in denen in jeder Hinsicht Ausnahmezustand herrscht. Inwieweit
dieses Moment nun wieder (politisch) naiv oder geradezu obszön ist, inwieweit
hier der Schrecken zur Feier der Schönheit missbraucht wird, das hängt
davon ab, wie weit man gewillt ist, Schroeters radikaler Kunst-Ideologie der
Schau- und Hör-Lust zu folgen.
Ulrich Kriest
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: film-Dienst
Diese
Nacht
Frankreich / Deutschland / Portugal 2008 – Originaltitel: Nuit de Chien – Regie: Werner Schroeter – Darsteller: Pascal Greggory, Bruno Todeschini, Amira Casar, Eric Caravaca, Nathalie Delon, Marc Barbé, Jean-François Stévenin – Länge: 118 min. – Start: 2.4.2009
Ein Interview mit dem Hauptdarsteller von "Diese Nacht", Pascal Greggory, können Sie hier lesen
DVD bei: filmgalerie 451
Extras::
12-seitiges Booklet, Interview mit Werner Schroeter, Eine Einstellung
– alle Takes, Werner Schroeter bei der Synchronisation, alternatives Ende‚ Preisverleihung
Venedig 2008, Trailer, Wendecover ohne FSK-Logo
Untertitel: Englisch, Deutsch
Sprache: Deutsch, Französisch
Ländercode: Code-free
System: PAL Farbe
Bildformat: 16:9
Tonformat: Dolby Digital 5.1 + 2.0
Veröffentlichung: 11.12.2009
FSK: Ab 16 Jahren
Die DVD mit dem Film ist für 17,90 € bei filmgalerie 451 erhältlich
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