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Deutschland 09

Deutschland im Ernst: Der Sammelfilm des aktuellen deutschen Filmbetriebs zur Lage der Nation ist ein gemischtes Vergnügen, außer im Bordell

 

"Gemischtes Vergnügen", nicht Omnibus-Film, sollte von Rechts wegen die Genre-Bezeichnung lauten. Hier, jetzt, als Wettbewerbsbeitrag, aber außer Konkurrenz: "Deutschland 09", Großversammlung des deutschen Filmbetriebs; dahinter als spiritus rector der große Vorsitzende Tom Tykwer. Die Idee: 13 RegisseurInnen bringen in 13 Filmen deutsche Gegenwart auf die Leinwand. Das Ergebnis fällt verdammt unterschiedlich aus. Nicht einmal so sehr in der, sagen wir es so verschnarcht, wie es denn auch ist: Grundbefindlichkeit. Gesellschaftskritik, im Zweifel von links, wird fast durchweg geübt, mal ernsthaft, mal komisch, in aller Regel aber doch: eher schlicht im Gemüt.

 

Das Hochnotpeinliche kommt in die Klammer, es soll nur kurz beim Namen genannt sein. (Nicolette Krebitz, die Sandra Hüller als Ulrike Meinhof, Jasmin Tabatabai als Susan Sontag und Helene Hegemann als Helene Hegemann völlig sinnloserweise als Unvollendete aufeinandertreffen lässt; Sylke Enders, die uns mit kitchen-sink-Blödsinn der dämlichen Art kommt; Wolfgang Becker, der sich, was schrecklich daneben geht, an Gegenwarts-Satire versucht). In die nächste Klammer kommt das eher Egale oder nur Seltsame (Fatih Akin lässt Murat Kurnaz noch einmal sprechen; Hans Steinbichler lässt Josef Bierbichler die FAZ verbrennen und die Redaktion erschießen, weil sie die Fraktur abgeschafft hat (sic!); Hans Weingartner re-inszeniert mit der üblichen Aufdringlichkeit den Fall des fälschlich des Terrorismus verdächtigten Gentrifizierungstheoretikers Andrej Holm; Isabelle Stever führt Streitschlichtung im Kindergarten vor und in Tom Tykwers virtuosem, aber eher hohlem Beitrag reist Benno Fürman als Geschäftsmann durch die Welt).

 

Der Rest darf raus aus der Klammer, weil er Interessantes versucht und weil es mehr oder minder auch gelingt. Mit Angela Schanelecs "Erster Tag" eröffnet der Film. Ein Gedicht in ruhigen Bildern, statischen Einstellungen, Berlin am Morgen, Menschen, die früh auf sind und dann, kurz sind fast aggressive Streicher zu hören, dann schweigen sie wieder, man hört Tier-Gekrächze, Natur ohne Menschen und am Ende als Schriftbild ein Text von Rolf Dieter Brinkmann übers Weitergehen der Dinge. Ein Auftakt wie ein langsames Einatmen: das ist sehr schön. Am Ende "Seance" von Christoph Hochhäusler, der sich auf die Spuren Chris Markers begibt mit einem in Bildern von Fotos und einzelnen Dingen erzählten Gedankenspiel vom Blick der Menschen zurück auf die Erde vom Mond. Hoch-modern in Musik, Ton und Herangehen, für mich allerdings trägt der Text diesen Ernst nicht so ganz. Völlig anders und als auf beknackte Weise in der Tat komischer Kontrapunkt an zweiter Stelle Dani Levy, dessen surreale Komödie sich manches von Woody Allens Kurzfilm "Oedipus Wrecks" abgeguckt hat und alles an antisemitischen und anderen deutschen Traumata so sehr auf die Spitze treibt, dass sein Sohn Joshua nicht nur wie Ozons Ricky durch die Gegend fliegt, sondern dann unter Nazis im Osten auch noch den Arm zum Hitlergruß hebt.

 

Bleibt Dominik Graf, der gemeinsam mit Matthias Gressmann einen klugen und sich immer stärker verdichtenden Essayfilm gegen den Versuch gedreht hat, Vergangenheit architektonisch vergessen zu machen. Eine Polemik gegen Fassadenarchitektur, die kaum nostalgisch gemeint ist, sondern nur gegen die Lüge ist, die in Stahl und Glas von Bauten nicht zuletzt am Potsdamer Platz steckt; gegen das Aus-dem-Blick-Drängen des Gewöhnlichen und des Schmutzigen. Dagegen stellt er in dokumentarischen Bildern ganz gewöhnliche Wohnhäuser, stellt er Brachen und Stadtlandschaften im Abseits, spürt er die politische Absicht, die hinter all dem steckt, ganz präzis auf. Den Text seines Essays, der gar nichts verrätselt, spricht er selbst. Sein Film endet mit einer Feier des Moments, den nur die Kamera und der Film festhält. Inhalt und Form finden bei Graf zu einem menschenfreundlichen Pathos, das so nur er kann – und an dem nicht das kleinste bisschen Behauptung ungedeckt bleibt.

 

Der Höhepunkt der unebenen Deutschland-Rolle ist Romuald Karmakars Film, der schlicht und ergreifend das beste ist, was im ganzen Wettbewerb überhaupt zu sehen war. Die Kamera gleitet ohne Drumrum durch Räume, die sofort als die eines Bordells zu erkennen sind. Aus dem Off eine Stimme, sie spricht Deutsch mit starkem Akzent und wohin das alles so will, erschließt sich erst nach und nach. Der Mann, den wir hören, erzählt aus seinem Leben, und zwar als Betreiber des Bordells, in dem wir und die Kamera bis fast ganz zuletzt auch verbleiben. Und, oh boy, hat er was erlebt. Er erinnert sich an ehemalige Mitarbeiterinnen und beklagt den Niedergang der Arbeitsmoral deutscher Prostituierter in den letzten Jahrzehnten.

 

Er schildert, wie geblasen, gefickt und gevögelt wurde auf jede erdenkliche Art und auch auf dem Sofa, auf dem er nun so unschuldig sitzt. Und wie er selber immer gern mitgevögelt hat hunderte Mal. Karmakar fragt immer weiter, aus dem Off, und bekommt die an diesem Ort alltäglichen Dinge zu hören, Dinge, die das sind, was die Nachtseite deutschen Alltags zu nennen absurd wäre. Unfassbar komisch ist das in der Mischung aus Nüchternheit der Schilderung und dem Grotesken der beschriebenen Vorgänge. Hinaus läuft es auf eine Hymne des Mannes, der – wie wir nun erfahren – aus dem Iran stammt und dort auch beerdigt sein möchte, auf Deutschland. Danke, Deutschland, sagt er und in dieser Affirmation eines fremden Heimatlands aus dem Mund ausgerechnet dieses Mannes liegt, steckt dann tatsächlich in nuce die ganze Wahrheit über das Land, in dem wir leben.

 

Ekkehard Knörer

 

Dieser Text ist zuerst erschienen, anlässlich der Berlinale 2009, in: www.perlentaucher.de

Zu diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere Texte

 

Deutschland 09, 13 kurze Filme zur Lage der Nation

Regie: Fatih Akin, Wolfgang Becker, Sylke Enders, Dominik Graf, Martin Gressmann, Christoph Hochhäusler, Romuald Karmakar, Nicolette Krebitz, Dani Levy, Angela Schanelec, Hans Steinbichler, Isabelle Stever, Tom Tykwer, Hans Weingartner. Deutschland 2009, 151 Minuten

 

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