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Democracy – Im Rausch der Daten

 


Bericht in Brüssel

David Bernets Politikbeobachtung „Democracy – Im Rausch der Daten“

Sehr nüchtern hält der Wikipedia-Eintrag zum Stichwort „EU-Datenschutzreform“ fest: „Ihr Realisierungszeitpunkt ist nicht absehbar.“ Vom heroischen Kampf, der nötig war, diesen Stand der Dinge zu erreichen, erzählt David Bernets Dokumentarfilm mit dem leider etwas doofen Titel Democracy – Im Rausch der Daten. Der Beginn der Sache liegt schon eine Weile zurück. Im Januar 2012 brachte die damalige EU-Justizkommissarin Viviane Reding ein Verfahren zur Reform des Datenschutzrechts in Europa in Gang. Zum Berichterstatter des Europäischen Parlaments wurde der junge deutsche Grünen-Abgeordnete Jan Philipp Albrecht ernannt.

Sein Job klingt einfach, ist aber alles andere als das: Er muss einen Gesetzesvorschlag erarbeiten, über den dann das Europäische Parlament abstimmen kann. Es geht neben vielem anderen um das Recht auf Vergessen, es geht um die Frage, wie sehr Europa überhaupt rechtlich auf global agierende Unternehmen zugreifen kann. Lobbyisten aller Couleur präsentieren in tausendundeinem Treffen die hinter ihnen stehenden Interessen von europäischen und nichteuropäischen Unternehmen, von Banken und anderen Institutionen, zu denen auch Datenschutzlobbyisten oder undurchsichtige Think-Tanks zählen. Jan Philipp Albrecht selbst ist der Partei und der Überzeugung nach immer ein Vorkämpfer von Bürgerrechten gewesen, zu denen die Schaffung eines möglichst starken Datenschutzes gehört.

Albrecht sieht sich jedoch mit Firmen wie Facebook und Google und natürlich Tausenden weiteren konfrontiert, in deren Geschäftsmodellen das Sammeln und Verknüpfen von Daten der User sehr buchstäblich Einnahmen produziert. Albrecht kämpft; und er wählt im Film ein maritimes Bild, um die Entscheidungsprozesse der EU zu beschreiben. Man fühle sich in Brüssel wie auf einem riesigen Tanker, den man zu steuern versuche, indem man die Besatzung auf die eine oder andere Seite lenkt. Lenkt heißt, wie man sehen kann: drängt oder argumentiert oder aussitzt oder lockt. Von diesem Führen, Lenken, Drängen, Argumentieren, Aussitzen und Locken erzählt David Bernets Film.

Knapp 4.000 Änderungsanträge am Albrecht-Vorschlag gibt es am Ende. Für alle Artikel finden sich in Ausschüssen und Treffen Kompromisse. Im Oktober 2013 sind die Verhandlungen erfolgreich abgeschlossen, es ist, so sehen es viele der Beteiligten, geradezu ein politisches Wunder. Albrecht wird gefeiert und mit einem historischen Rekordergebnis ins Parlament wiedergewählt. Nur ist damit eben, es handelt sich um die EU, noch gar nichts entschieden.

Aktuell befindet sich das Verfahren in einem Trilog genannten Prozess, einem Gezerre zwischen Parlament, Europäischem Rat und EU-Kommission. Kürzlich hat Angela Merkel vor Zeitungsverlegern gewarnt, man müsse „aufpassen, dass der Datenschutz nicht die Oberhand über die wirtschaftliche Verarbeitung der Daten“ gewinne.

Die Institutionen der Europäischen Union repräsentieren vor allem eines: eine manifeste Krise der politischen Repräsentation. Die Beteiligten in den Aushandlungsprozessen sind in ganz unterschiedlicher Weise, teils gar nicht, demokratisch legitimiert. David Bernet zeigt in seinem Film einen besonders heftig umkämpften, aber durchaus auch exemplarischen Fall. Einerseits gelingt ihm Erstaunliches: Er hat Zugang zu vielen Sitzungen hinter geschlossenen Türen; er zeichnet den Verlauf von Fronten, Linien, er porträtiert die Kämpfenden aller Seiten.

Andererseits nervt der Film aber auch. Warum ist das Ganze schwarz-weiß? Was sollen die Staubflusen im Beamerlicht? Was sagt uns die Beatles-Tasse in der Großaufnahme? Warum sind wir zwischendurch an der Alster? Weshalb die blöden Brüsseler Stadtimpressionen? Warum ist das so oft mit der aufdringlichen Musik der Kölner Electropunkband Von Spar unterlegt? Es bleibt der Eindruck, dass Bernet den inneren Spannungen seines Stoffs nicht ganz vertraut hat.

Ekkehard Knörer

Dieser Text ist zuerst erschienen in: der freitag 46/15

Zu diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere Texte

 

 

 
Democracy – Im Rausch der Daten
Deutschland 2015 – Produktionsfirma: Indi Film/Seppia/Atmosfilm/SWR/NDR – Regie: David Bernet – Produktion: Arek Gielnik, Dietmar Ratsch, Cédric Bonin, Pascaline Geoffroy, David Bernet – Buch: David Bernet – Kamera: Marcus Winterbauer, Dieter Stürmer, François Roland, Ines Thomsen – Musik: Von Spar – Schnitt:Catrin Vogt – Start(D): 12.11.2015 – 105 Min. – FSK: ab 0; f – Verleih: farbfilm

 

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