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Deep End
"Endlich gibt es den Film auf DVD! Ich wollte ihn schon so lange sehen!", hab ich mir gedacht, als ich den Film in einer Saturn-Filiale entdeckt habe. Deswegen hab ich ihn mir sofort geschnappt und gekauft. Hab wegen „Deep End“ sogar auf Koen Mortier‘s „Ex Drummer“ verzichtet, weil ich mir nur einen Film leisten konnte! Zu Hause hab ich den Film dann natürlich direkt in den Player geworfen.
John Moulder-Brown spielt Mike, einen 15-jährigen Jungen, der grade die
Schule beendet hat und sich einen Job in einem Schwimmbad sucht. Dort trifft
er auf Susan, gespielt von Jane Asher, die einige Jahre älter ist als Mike
und ihn anfangs ein wenig in seinen neuen Job einweisen soll. Mit der Zeit verliebt
sich Mike in Susan, die aber merklich kein Interesse an ihm hat. Das und Mikes
Eifersucht verursachen bei dem Jungen ein regelrechtes Gefühlschaos, das
noch dadurch verstärkt wird, dass Susan immer wieder provokativ mit anderen
Männern flirtet, unter anderem mit einem Typen aus der gehobenen Gesellschaft
und einem Ex-Lehrer von Mike. Immer wieder versucht Mike die Rendezvous‘ von
Susan zu sabotieren. Einmal folgt er ihr und ihrem Typen in ein Pornokino, setzt
sich hinter die zwei und betatscht von hinten ihren Busen, ein anderes Mal stellt
er sich mit seinem Fahrrad vor den Wagen seines Ex-Lehrers und hindert ihn so,
mit Susan wegzufahren. Sein innerer Schmerz wird noch vergrößert,
weil Susan demnächst einen ihrer Typen zum Gemahl nehmen soll. Mikes Eifersucht
bzw. Besessenheit ähnelt schon der des Phantoms aus "Phantom der Oper".
Mikes Sehnsucht wird deutlich, als Mike eine lebensgroße Pappfigur von Susan findet, auf der sie völlig nackt zu sehen ist. Diese stiehlt er und nimmt sie mit ins Schwimmbad, wo er seine sexuellen Phantasien mit ihr auslebt. Eine wunderschöne Szene folgt, in der Mike nackt im Schwimmbecken den Pappständer liebkost, in seinen Gedanken aber seine geliebte Susan. Als der junge Mike erfährt, dass Susan jetzt doch verlobt ist, sticht er die Reifen des Wagens von Susans Macker platt und freut sich auch noch darüber. Als Susan Mike erblickt, ist sie furchtbar wütend auf ihn und wird handgreiflich. Während des Streits löst sich der Diamant von Susans Verlobungsring. Mike kommt auf die Idee, den umherliegenden Schnee, in welchen der Diamant gefallen ist, in Mülltüten zu packen, ins Schwimmbad zu bringen und ihn dort zu schmelzen (coole Idee, Skolimowski!). Dazu steigen sie in ein leeres Schwimmbecken und benutzen da einen Wasserkocher um den Schnee zu schmelzen.
Nach einer gewissen Zeit findet Mike den Diamanten und glaubt, dass er jetzt eine Chance bei Susan habe. Deshalb zieht er sich aus und legt sich den Diamanten auf die Zunge. Als Susan ihn da liegen sieht, hat sie wahrscheinlich Mitleid mit ihm. Deswegen zieht auch sie sich aus und die beiden lieben sich. Es folgt eine echt erotische, zärtliche und arthouse-taugliche Liebesszene. Mike muss sehr glücklich sein, da er endlich mit seiner Geliebten fickt. Die beiden merken aber nicht, dass sich das Becken mit Wasser füllt. Als Susan anfängt, sich anzuziehen und zu ihrem Verlobten zurückkehren will, versucht Mike, sie zu überreden, bei ihm zu bleiben. Sie lässt sich aber nicht überreden und will schon aus dem Becken steigen, als Mike aus Ratlosigkeit, Eifersucht, Liebe und Verzweiflung eine Deckenlampe gegen ihren Schädel schleudert. Susan taumelt zurück ins Becken und fällt ins Wasser. Sie ertrinkt.
Das erste Positive, das mir aufgefallen ist, war der geniale Soundtrack von
Cat Stevens und Can. Und Can ist sowieso eine fantastische Band, die mit ihrem
avantgardistischen Sound perfekt zu solchen Filmen passt (das gleiche gilt für
Cans Soundtrack zu Roland Klicks „Deadlock“). Auch
die Kameraführung ist an vielen Stellen wirklich gelungen und so entstehen
des Öfteren echt coole Screenshots, zum Beispiel als Mike von den Rüpeln
ins Schwimmbecken geworfen wird und unter Wasser eine nackte Frau an ihm vorbeischwimmt.
Außerdem können die Schauspieler überzeugen, die fast immer
coole Dialoge raushauen (Jane Asher ist göttlich). Jedoch empfehle ich,
den Film im originalen Englischton zu genießen, da die deutsche Synchronisation
nicht gerade das Gelbe vom Ei ist. Die Darstellung Londons der 60er ist ebenfalls
interessant. Kultivierte Leute, Prunk und Glamour werden nicht gezeigt, sondern
Pornokinos, Stripclubs und schmierige Männer, samt Prostituierten. Ältere,
stämmige Frauen machen sich an junge Männer im Schwimmbad ran und
diese sollen das über sich ergehen lassen, um ein gutes Trinkgeld zu bekommen.
Ist nichts mit High Society, it’s filthy.
Ein Pole beschreibt England, aus seiner Sicht zumindest. Womöglich ist Skolimowskis Eindruck einfach von Polen geprägt, das bestimmt ein starker Kontrast zu England ist/war. Oder auch nicht … Das Ende des Films ist grandios. Meiner Meinung nach eines der besten Enden in der Filmgeschichte. Mikes Gefühlschaos hat seinen aussichtslosen Höhepunkt in einem großen, sich füllenden Schwimmbecken, dass nur sperrig von einer einzigen Deckenlampe beleuchtet wird. Seine Geliebte versinkt in seiner Liebe nach dem Koitus. Der Film und Mikes Liebe hat ein „Deep End“.
Also, es ist ein Arthouse-Film. Jedenfalls ist es kein purer Unterhaltungsspielfilm,
bei dem man sein Hirn abschalten kann. Es ist ein kontroverser Film. Erotisch
auch noch. Sollte also ein Film ganz nach meinem Geschmack sein. Aber leider
bin ich dennoch enttäuscht. Den ganzen Film über wartete ich auf was
Rohes, was Provokatives, was Kontroverses. Ich behaupte nicht, dass nichts von
dem da war, aber es war zu schwach für meinen Geschmack. Ich hab einen
pessimistischen, makabren Film erwartet, tiefstes massenunkompatibles Arthouse
eben. Leider musste ich bis zum Ende warten, bis ich einigermaßen befriedigt
wurde. Ich hab wahrscheinlich zu viel über den Film gelesen und mir somit
eine Meinung gebildet, ohne ihn überhaupt gesehen zu haben. Außerdem
dachte ich mir, dass der Film surreal wird, da ich vor einigen Monaten Skolimowskis
„Bariera“ von 1966 gesehen hab und dieser wirklich cool war. Geliebt experimentell
mit schönen, wirklich schönen surrealen Situationen. So hab ich mir
gedacht, dass dieser Film auch so ist. Leider nicht. Ich möchte den Film
nicht schlecht machen, da ich erkenne, dass es ein wirklich guter Film ist.
Eben subtil, womöglich zu subtil für mich. Ich erkenne die Kontroversen,
sie sind mir aber zu schwach. Ich frag mich immer noch, ob ich mir lieber „Ex
Drummer“ hätte kaufen sollen … Ich wurde einfach zu stark von fremden
Beurteilungen beeinflusst.
Fazit: Guter Film, tolle Schauspieler, toller Regisseur, tolle Musik, tolle
Story, tolle Einfälle, sehr tolles, stimmiges Ende.
Super Portrait eines pubertierenden Jungen, der mit Liebe, Eifersucht, Sexualität
und Zurückweisung nicht umgehen kann und unter dem Ballast zusammenbricht.
Endlich hab ich den Film gesehen, der essentiell für die polnische Regisseurarbeit
und die 70er steht. Außerdem coole Extras für jeden Filminteressierten
(zum Beispiel 70minütiges Making Of).
Punkte: 6.5 von 10
Sebastian Grodzinski
Dieser Text ist zuerst erschienen in: www.facebook.de
Deep End
Polen / Großbritannien / Deutschland 1971 – 90 Minuten – Altersfreigabe: FSK 16 – Regie: Jerzy Skolimowski – Drehbuch: Jerzy Gruza, Jerzy Skolimowski, Boleslaw Sulik – Produktion: Helmut Jedele – Musik: Can, Cat Stevens – Kamera: Charly Steinberger – Schnitt: Barrie Vince – Besetzung: Jane Asher, John Moulder-Brown, Sean Barry-Weske, Karl-Michael Vogler, Erica Beer, Will Danin, Diana Dors
DVD von Koch Media
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