zur startseite

zum archiv

Day Night Day Night

Auch "Day Night Day Night" ist ein Terrorismusfilm. Nur ist es, als wäre hier, was ein Film wie "Der Baader-Meinhof-Komplex" in zehn Sekunden erledigt, herausvergrößert auf Spielfilmlänge. Man sieht eine junge Frau (Luisa Williams), in den Credits heißt sie nur "Sie". Die Kamera folgt dieser Frau, neunzig Minuten lang. Sie kommt an in New York, sie geht in ein Hotel, sie zieht die Vorhänge zu. Sie badet, sie rasiert sich die Achseln. Sie wird von Männern mit Masken instruiert. Sie ist eine Frau mit einer Mission, was man als Zuschauer nach und nach erst begreift.

 

"Day Night Day Night" beobachtet, ohne mit der Wimper zu zucken und ohne dies gleich und von Anfang an klar zu machen, eine Selbstmordattentäterin auf ihrem Weg zum Attentat am New Yorker Times Square. "Sie" ist fast immer im Bild, die Kamera verliert sie kaum je aus dem Blick. Nicht viel Spektakuläres geschieht in den ersten zwei Dritteln des Films. Nur die Vorbereitungen, nur der Blick immerzu auf die Frau, in ihr Gesicht, in dem sich sehr wenig rührt. Erklärungen sucht man fast vergeblich, in diesem Gesicht, aber auch im ganzen Film. Ziele, Motive, der ganze Tathintergrund: das bleibt unklar, auch dann, wenn man diejenigen sieht, die hier die Fäden ziehen. Zwei von ihnen unterhalten sich in Gebärdensprache, man erfährt nicht warum.

 

"Day Night Day Night" ist eine Versuchsanordnung, überaus künstlich. Eine Übung im Abschneiden und Verweigern als Rückseite einer totalen Konzentration. Einzig um Regungen geht es, im Körper, im Gesicht. Durchaus bewusst arbeitet der Film mit der Frustration der Betrachtererwartungen. (Dass sie gewollt ist, ändert nichts daran, dass sie sich in der Tat einstellt und manchmal auch nervt.) Wo "Der Baader-Meinhof-Komplex" keinen Gedanken hat, da folgt in "Day Night Day Night" alles aus dem radikal durchgehaltenen Konzept, das die Parameter setzt. Gerade darum aber gilt: Was Luisa Williams leistet als Darstellerin einer Frau, über die man nichts erfährt als das, was man sieht (ganz selten, es gibt kaum Dialoge, auch hört), das ist phänomenal.

 

Nach zweit Dritteln der Bruch, fast ein Schock. Der Ausbruch in die Realität, der Einbruch der Außenwelt. Es ist, als hätte der Film nur auf diesen Moment gewartet. Die Terroristin ist von einem Moment auf den anderen versetzt ins Zentrum der Großstadt. Das Gedränge im Port Authority Busbahnhof in Manhattan. Die 42. Straße, dann der Times Square. Der Film selbst lässt sich, wie seine Protagonistin, der er mit der Handkamera zwischen all den anderen Fußgängern folgt, von der Lebendigkeit des Urbanen geradezu überwältigen. Alles, fast alles, ist hier dokumentarisch gedreht. Die Protagonistin ist wie gelähmt vom Ansturm des Lebens, das sie auslöschen will. Für den Moment.

 

"Day Night Day Night", der erste Spielfilm der Videokünstlerin Julia Loktev, ist nicht perfekt. Man kann sich fragen, ob er nicht von einer stärkeren Öffnung auf mögliche Kontexte profitiert hätte; ob er nicht seiner selbst und seines Konzepts etwas zu gewiss ist und deshalb, bei aller Brillanz in der Ausführung, ein etwas zu klinisches Experiment bleibt. Aber immerhin hat er ein Konzept und einen sehr eigenen Blick auf die Welt und den Körper. Schon deshalb ist er mit einem aufs Aufwendigste plumpen Werk wie "Der Baader-Meinhof-Komplex" nicht zu vergleichen.

 

Ekkehard Knörer

 

Dieser Text ist zuerst erschienen am 24.09.2008 in: www.perlentaucher.de

 

 

Day Night Day Night

USA / Deutschland 2006 – Regie: Julia Loktev – Darsteller: Luisa Williams, Josh Phillip Weinstein, Gareth Saxe, Nyambi Nyambi, Tschi Hun Kim, Annemarie Lawless, Frank Dattolo, Richard Morant, Julissa Perez – Fassung: O.m.d.U. – Start (D): 25.09.08

 

zur startseite

zum archiv