zur startseite

zum archiv

zu den essays

 

 

Dark Shadows

 

 

 

Tim Burton entdeckt in "Dark Shadows" die siebziger Jahre durch die Augen eines erfrischen rigorosen Vampirs.

Auf seinem nicht enden wollenden Streifzug durch die Vergangenheit der Popkultur begibt sich Tim Burton diesmal auf eher obskures Terrain: "Dark Shadows" ist die Adaption der gleichnamigen übernatürlichen Daily Soap um den Vampir Barnabas Collins, die in den späten Sechzigerjahren in den USA Kultstatus erlangte – und bis zu einem gewissen Grad bis heute behalten hat. Das beweisen unter anderem zahlreiche VHS- und DVD-Veröffentlichungen: Für gewöhnlich gelten klassische Seifenopern als unverkäuflich auf dem home-cinema-Markt, "Dark Shadows" allerdings erscheint diesen Juli als "Complete Series Box Set" auf sage und schreibe 131 DVDs.

Die Originalserie wurde im Jahr 1971 abgesetzt. Burton siedelt seine Version ein Jahr später an: Barnabas (Tim Burtons Hofschauspieler Johnny Depp, wer sonst; besonders anstrengen muss er sich diesmal nicht, das meiste erledigt der Maskenbildner für ihn) wird, nachdem ein Prolog im späten 18. Jahrhundert ihn in einen mit Eisenketten verschlossenen Sarg verfrachtet hat, im Jahr 1972 während Bauarbeiten ausgegraben. Über dem malerischen Fischerort Collinsport, Maine trohnt immer noch das alte Anwesen seiner Familie. Eine reichlich angestaubte gotische Fantasie, bewohnt von seinen vier letzten Nachfahren, die dem Familienandenken nicht unbedingt Ehre machen: Die dekadente Spätadelige Elizabeth Collins Stoddard (Michelle Pfeiffer), deren rebellische Tochter Carolyn, ein junger Cousin namens David und dessen Vater Roger, ein windiger Playboy.

Außerdem mit von der Partie: eine kratzbürstige Psychologin (Helena Bonham Carter), eine verführerische Hexe (großartig: Eva Green) und ein parapsychologisch begabtes Unschuldslamm (Bella Heathcote). Der in solchen Figuren eigentlich angelegte melodramatische Seifenopernwahnwitz des Originals wird in der Kinoadaption zwar nicht vollständigt ausgereizt und tendenziell zugunsten der specialeffectsbefeuerten Eskalationslogik des Blockbusters gebändigt (der Film zieht sich zusammen, wo er sich eigentlich, aus seiner eigenen Logik heraus, immer weiter entgrenzen sollte), zwischendurch geht es aber auch bei Burton erfrischend rigoros zur Sache: Da werden (offscreen) Hippies am Lagerfeuer niedergemetzelt und unliebsame Kontrahenten nonchalant im Meer versenkt.

Wenn man Thomas Pynchons letztem Roman "Inherent Vice" glauben kann (und das kann man selbstverständlich eigentlich überhaupt nicht), dann war der Erfolg der Serie nicht zu trennen von der blühenden Drogenkultur der Gegenkultur in den ausklingenden Sechzigerjahre: vom eigenen Idealismus im Stich gelassen, versank man zugedröhnt im Plüschsofa und ließ sich bereitwillig in eine neoviktorianische Parallelwelt entführen. Ein wenig denkt Burton sein Remake durch eine derartige Rezeption hindurch, wenn er Collinsport in türkisen Farbfiltern und verwaschen wirkenden Unschärfen badet. Was für seinen Film, der ansonsten nicht unbedingt rund ist und teilweise erschreckend hässlich ausschaut, einnimmt, ist sein kompliziertes Verhältnis zu dem für Burtons gesamtes Werk zentralen nostalgischen Impuls.

"Dark Shadows" 2012 ist zwar in erster Linie eine Liebeserklärung an die Lavalampen und Discokugeln der Siebzigerjahre, an den groovenden Soul Curtis Mayfields und die Geschmacklosigkeiten des frühen Glamrock. Aber der Film lässt sich nicht einfach nur fallen in gemütliche Erinnerungsbilder. Statt dessen erschließt er die Welt der Siebziger durch die Augen des Vampirs Barnabas, erlebt sie mit ihm als ein Fremdes. Die eigentliche Attraktion im gotischen Spukschloss ist nicht die geheime Schatzkammer, auch nicht der Fluch, der auf ihm lastet, sondern das knallbunte Jugendzimmer Carolyns; und Gaststar Alice Cooper muss sich inzwischen kaum noch schminken, um zum untoten Widergänger seiner selbst zu werden.

Lukas Foerster

Dieser Text ist zuerst erschienen in: www.perlentaucher.de

Dark Shadows
USA 2012 – Regie: Tim Burton – Darsteller: Johnny Depp, Michelle Pfeiffer, Helena Bonham Carter, Eva Green, Jonny Lee Miller, Chloe Moretz, Gulliver McGrath, Jackie Earle Haley, Bella Heathcote, Thomas McDonell – FSK: ab 12 – Länge: 112 min. – Start: 10.5.2012

 

 

zur startseite

zum archiv

zu den essays