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The Cut


 

On the Road

Am Anfang war der Traum vom Western, gebaut um den griechisch-türkischen Bevölkerungsaustausch von 1922 herum, wobei es einen griechischen Auswanderer in den Wilden Westen verschlagen sollte, um eine Squaw zu retten. Leider war diese Geschichte bereits vor Jahrzehnten erzählt worden. Dann wurde der türkische Journalist Hrant Dink ermordet und Fatih Akin, der große Naive des deutschen Kinos, las dessen Texte über den Völkermord an den Armeniern, war bewegt – und holte die alte Filmidee wieder aus der Schublade.
So hat es Akin der "Welt" erzählt – und so erklärt sich vielleicht, warum ein Film über den Genozid von 1915, dem schätzungsweise 1,5 Millionen Menschen zum Opfer fielen, 1923 am Rande eines Dorfes in North Dakota endet.

"The Cut" beginnt mit einer pastoralen Szene, die die Fallhöhe des Folgenden charakterisieren soll: in der dörflichen Idylle in Ost-Anatolien lebt der armenische Schmied Nazaret glücklich und zufrieden mit seiner wunderschönen Frau Rakel und seinen beiden hübschen und wohlgeratenen Töchtern Arsineé und Lucineé. In der Ferne tobt der 1. Weltkrieg und das Osmanische Reich, der "kranke Mann am Bosporus", ist im Untergang begriffen. Plötzlich und unvermittelt richtet sich die Gewalt innenpolitisch gegen die Armenier, die verhaftet, verschleppt, vergewaltigt, ermordet oder einem grausamen Hungertod in der Wüste überlassen werden.

Nazaret überlebt nur knapp, weil ein nicht ganz so grausamer Türke ihm nicht die Kehle, sondern nur die Stimmbänder durchschneidet. Ab jetzt blickt Nazaret stumm, aber mit großen dunklen Augen auf die Grausamkeit der Welt – und hadert mit Gott, der solches Leid zulässt. Zwar begegnet der Protagonist in wohl dosierten Abständen neben menschlichen Bestien immer auch wieder Wohltätern, die ihm spontan und selbstlos helfen, doch am Ende braucht es das Kino selbst in Gestalt einer Freiluft-Projektion des Chaplin-Klassikers "The Kid", um Nazaret ins Leben zurückzuholen. Als er sieht, wie der Tramp um das Kind kämpft, als er sieht, wie das Kind leidet, kommen Nazaret die Tränen. Durch (dramaturgischen) Zufall trifft er ausgerechnet jetzt seinen ehemaligen Lehrling, der ihm vom Schicksal seiner Familie erzählt. Die Zwillinge könnten noch leben. Nazaret macht sich auf die Suche: es wird eine Odyssee werden: Libanon, Kuba, Florida, Minneapolis – und schließlich North Dakota.

Der Film verliert sich in Set Designs und einem ermüdenden, zweieinhalbstündigen "und dann … und dann" der Nebensächlichkeiten, inszeniert in der Retromanier klassischen Erzählkinos, die angesichts der gewählten Thematik (zur Erinnerung: der Genozid an den Armeniern, der in der Türkei noch immer ein Tabu berührt, kollektiv beschwiegen wird) verfehlt erscheint. Weil es mal ratlos, mal ärgerlich macht, wie naiv "The Cut" erzählt, wie die armenische Diaspora verkürzt wird auf die triviale Geschichte vom Vater, der bei der Suche nach seinen Töchtern um die halbe Welt reist und dabei die conditio humana von allen Seiten erfährt.

Akin packt ein heißes Eisen an und verpackt es gleich wieder sorgfältig in altbackene Kino-Leidenschaft. In Interviews hat der Filmemacher erzählt, wie einzelne Szenen seines Films unangenehme Wahrheiten transportieren (Deserteure, Todeslager, deutsche Offiziere) und wie sich seine Haltung im Laufe der Produktion verändert hat: "Ich habe noch bei keinem Film so viel an die Zielgruppen gedacht, nämlich Armenier und Türken, die man fast nicht zusammenbringen kann. Wir wollten mit unserer Darstellung keinen neuen Hass schüren." Am Ende hat er dadurch seinem Film das Politische ausgetrieben und versucht, es allen Seiten Recht zu machen und aufs Melodram gesetzt. So ist "The Cut" leider vor allem eins: Wischiwaschi. In Überlänge.

Benotung des Films: (3/10)

Ulrich Kriest

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in der:www.filmgazette.de

Zu diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere Texte

 

  

The Cut
Deutschland 2014 – 138 min. – Regie: Fatih Akin – Drehbuch: Fatih Akin, Mardik Martin – Produktion: Fatih Akin, Karl Baumgartner, Reinhard Brundig, Marcus Loges, Nurhan Sekerci, Fabienne Vonier, Flaminio Zadra – Kamera: Rainer Klausmann – Schnitt: Andrew Bird – Musik: Alexander Hacke – Verleih: Pandora Film Verleih – FSK: ab 12 Jahren – Besetzung: Tahar Rahim, George Georgiou, Akin Gazi, Numan Açar, Makram Khoury, Lara Heller, Korkmaz Arslan, Dustin MacDougall, Shubham Saraf, Alejandro Rae, Joel Jackshaw, Anna Savva, Aida Adele Golghazi, Sesede Terziyan, Arevik Martirosyan – Kinostart (D): 16.10.2014

 

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