zur startseite
zum archiv
zu den essays
Cosmopolis
Der Proust der Stretchlimousine
In einer gleißendweisen Stretchlimousine begegnet Eric Packer, Finanzkapitalist, seinem persönlichen Schwarzen Schwan: Er hat sein Vermögen an eine allergrößte Wahrscheinlichkeit verwettet, den Fall des Yuan; mit diesem Hebel setzt er per leveraged buyout aufs ganz große Geld. Der Yuan aber fällt nicht und fällt nicht, die Kurven auf den vielen Geldstromanzeigern im Innern der Stretchlimousine haben wir uns als Höllenfahrt ins Desaster vorzustellen: ein Ereignis jenseits des Erwartens.
Weiß neben weißen Stretchlimousinen in Reihe im Innern Manhattans. Sie gleichen einander von außen wie ein Yuan dem andern. Schwarz aber ist nicht nur der Schwan, eine Asymptote ans Schwarze ist auch Mark Rothkos berühmte Kapelle in Houston. Sie ist der Gegenstand von Packers Begehren, als Ausweis von dessen Maßlosigkeit: Auch sie will er kaufen. Und wird eines Besseren belehrt, das sein Begreifen jedoch übersteigt. Das nicht Käufliche ist in der Matrix der Ökonomie ein Grenzpunkt, mit dem sich so wenig wie mit einem Schwarzen Schwan rechnen lässt.
Ein Projektil, das sich in äußerster Verlangsamung durch New York bewegt, ist Packers Wagen. Das Fleisch welcher Wirklichkeit er dabei berührt, ist die Frage. Es gibt ein Drinnen und Draußen, ein Dringen nach Innen und ein Drängen nach außen, aber was hier wem korrespondiert, was hier durch was darstellbar ist, wie sich Repräsentation auf Wirklichkeit, das Konkrete auf die Abstraktionen, die Gegenwart aufs Archaische, das Geld auf die Welt, die Marktbewegung auf die Natur, Kosmos auf Polis, der Sex auf die Liebe, wie sich hier überhaupt etwas auf etwas bezieht: das muss, so die These des Buchs und des Films, unterbestimmt bleiben. Der Film fügt, was als Stücke von Wirklichkeit durch seine Darstellung treiben, einzig zur These zusammen, dass eindeutige Zusammenfügungen, die das eine durchs andere etwa erklären, jenseits der Möglichkeit auch der ästhetischen Repräsentation liegen.
Was so entsteht, ist jedoch – fast paradox – ein Überschuss an Lesbarkeit. Überdetermination und Unterbestimmung ergänzen sich zum Festmahl für die Allegorese, jedes Detail lockt die Deuter wie Blut im Wasser die Haie. Vor die Nase gehängt als Schlüsselwort wird einem die Asymmetrie: "Ihre Prostata ist asymmetrisch" diagnostiziert der Arzt nach erfolgter Rektaluntersuchung im Wagen, die vor den Augen weiterer Insassen erfolgte. Die Erläuterung, die DeLillo als erlebte Rede des Helden noch gab, hat Cronenberg im Film gestrichen: "But there was something about the idea of asymmetry. It was intriguing in the world outside the body, a counterforce to balance and calm, the riddling little twist, subatomic, that made creation happen." Die Asymmetrie als Kraft, die die Dinge unmerklich aus dem Gleichgewicht stößt, aber schließt das wirklich was auf? Oder ist es nicht einfach ein weiteres Stück Allegorem in einem gewaltsam geradezu endlos sich öffnenden Text?
Oder nehmen wir Proust: Es ist nämlich die Stretchlimousine auch eine Proustkonfiguration. "To proust", v.: Auskleidung des riesigen Wagens mit Kork und damit Schallisolation und damit Prousts Schreibzimmer und damit Bezug zu Erinnerungsbewegungen in Richtung des Wegs der Guermantes. Das so scheinbar irrationale Ziel, der Antrieb dieser Fahrt durchs allegorisch verstopfte New York, in dessen Straßenverkehr auch der Präsident unterwegs ist, ein Attentäter, der Packer ans Leder will, außerdem; der Antrieb und Anlass der Bewegung ist: Packer will zum Friseur. Irgendwann ist er dort und man begreift, es ist der Friseur, den er mit seinem Papa als Kind schon besuchte. Also quasi Biss in den Keks (aber Beginn keines großen Subjektentfaltungsromans), der Yuan will nicht fallen, der Drops ist gelutscht, was einzig noch folgt, ist das große Endspiel in sehr unklinischen Räumen, Paul Giamatti als Ex-Angestellter mit Rachegelüsten und Knarre. (Genauso nahe liegt, versteht sich, die andere Inkunabel d
er modernen Literatur: James Joyces "Ulysses": Ein Mann, eine Stadt, ein Tag, Packers Bloomsday als Doomsday.)
Die Stretchlimousine als Projektil, aber auch ein Fenster zur Welt. Meist sind wir drinnen, meist wird der Raum in statischen Einstellungen grob, aber sehr scharfkantig aufgelöst, sehr toll sind Momente, in denen in einer Art Egoshooterperspektive die Leinwand Bildschirm wird und das Auto zum Raumschiff. Das ist sehr videokunstmäßig, da hat Cronenberg Mise-en-Scène-Ideen, die übers Papier, aus dem er weite Teile seines Films gebaut hat, hinausgehen. (Zugegeben, Thomas-Demand-artig gebaut: Aus dem Papier des Romans gebastelt, als New York – freilich von Toronto gedoubelt – hingestellt, fast täuschend echt abgefilmt.) Draußen, vor dem Fenster zur Welt, brennt ein Mann, toben Proteste, geht ein Gespenst um in der Welt, das Gespenst des Kapitalismus (daher hat Joseph Vogl den Titel seines Diaphanes-Bestsellers, der aus einer Lektüre von DeLillos Roman die Leitmotive seiner Analyse bezieht.)
Drinnen – im Drinnen, das die affektfreie Innenwelt des Finanzkapitals/Finanzkapitalisten ist – ist alles Zahl oder Sex, aber Sex ist – wie bei Cronenberg üblich – eine weitere Form der Entfremdung, die Körper haben sich nichts zu sagen, nicht die Augen gehen über und nicht die Gefühle, nur die Münder, meine Fresse, gehen die über: Die manieriert verknappten, mit Bedeutung aufgeladenen, durch und durch künstlichen Dialoge nimmt Cronenberg direkt aus dem Buch – dessen Dialogpassagen er, wie er in Interviews erklärt hat, in einem ersten Aneignungsakt erst mal komplett abschrieb – und legt sie seinen Darstellern in den Mund, aus dem sie wie Eiswürfel purzeln.
In der Theorie ist das sogar schön: Die Künstlichkeit und Kälte der DeLilloschen Dialoge ergreift Besitz von der Figur und macht diese im Illusionsraum des Kinos rücklings zu Papier; der Weg zur Expressivität ist damit verbaut – wogegen einzig Juliette Binoche mit einem furiosen Auftritt als Packers Kunstberaterin cum fuck buddy rebelliert – und eben darum etwas deplatziert wirkt. In der Praxis entfaltet sich das aber zu einer Dialogendlosigkeit, über der alles sonst so klar Konturierte in Geschwafel (Geschwafel höchster Ordnung, versteht sich) zerfließt. Wenig ist leider auch übrig von den grandios choreografierten Vorder- gegen Hintergrund-Mise-en-Scène-Installationen, mit denen Cronenbergs an Dialogen nicht armer Vorgängerfilm "A Dangerous Method" bestach.
"Cosmopolis" gewinnt keinen Rhythmus, Cronenberg findet keine überzeugenden Mittel, etwa den Kontrast zwischen Innen und Außen zu formulieren. Das nimmt nicht zuletzt dem Showdown am Ende den Impact. Die ganz andere Räumlichkeit, in der Packers Höllenfahrt – wie eine Rückkehr in ein falsches Reales – dann endet, bleibt in der Inszenierung so formlos wie all die anderen Orte, die der Film mit Packers gelegentlichen Ausflügen aus dem Innern der Stretchlimousine ins ungeordnete Außen unternimmt. Eine Ausnahme gibt es, ein einziges Mal wagt sich die Kamera ins von keinen Schnitten zerhackte Fluide – ausgerechnet eine Buchhandlung ist dafür der Ort. In einer Subjektiven schlängelt sich der Blick an Büchertischen und Regalen vorbei, bis er auf Packers Ehefrau landet, die da in einer Ecke ein Buch liest. Es ist, als spürte der Film, der ein Buch war, dass er nicht Film ward. Das wäre dann sein schönstes Paradox: Einzig in einer Buchhandlung fühlt er sich so sehr zuhause, dass er sich zum jubilatorischen Kameragleiten befreit.
Benotung des Films: 5/10
Ekkehard Knörer
Dieser Text ist zuerst erschienen in der: www.filmgazette.de
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Cosmopolis
OT: Cosmopolis
Kanada / Frankreich 2012 – 108 min.
Regie: David Cronenberg – Drehbuch: David Cronenberg, Don DeLillo (Roman) –
Produktion: Paulo Branco, Martin Katz – Kamera: Peter Suschitzky – Schnitt:
Ronald Sanders – Musik: Howard Shore – Verleih: Falcom – FSK: ab 12 Jahre –
Besetzung: Robert Pattinson, Juliette Binoche, Sarah Gadon, Mathieu Amalric,
Jay Baruchel, Kevin Durand, K’Naan, Emily Hampshire, Samantha Morton, Paul Giamatti
Kinostart (D): 05.07.2012
zur startseite
zum archiv
zu den essays