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Conjuring – Die Heimsuchung
Ein gediegenes Coffeetable-Book von einem Horrorfilm ist James Wans 70s-Hommage "The Conjuring".
Schon seit Längerem sind sanft widerständige Regungen im Horrorfilm zu beobachten, die sich gegen die Eskalationen des Genres positionieren. Filme wie "Paranormal Activity" oder Ti Wests "House of the Devil" und "The Innkeepers" stellen den Exzessen der Torture-Porn-Welle das grundlegende Vokabular des Gruselfilms entgegen: Sie bedienen eine Ästhetik der Latenz statt die gefräßige Logik einer gesteigerten Sichtbarkeit, die alles Stoffliche dem hungrigen Kameraauge zuführt. Sie schätzen den Grusel knarrender Türen und knirschender Bodendielen gegenüber Fleischerhaken und creative killing und setzen aufs ästhetisch Wesentliche – Rückkunft der Gruselklassik!
In diesem Sinne ist der australische Filmemacher James Wan ein Seitenwechsler: Mit seinem ersten "Saw"-Film hatte er 2004 entschiedenen Anteil an der Brutalisierung des Horror- und Splatterfilms, nur um über den Umweg des 2010 entstandenen "Insidious" in "The Conjuring" beim Dielen- und Treppenhorror anzukommen, der sein Publikum schon mittels zweimaligen Händeklatschens – originell und unerwartet platziert – aus dem Kinosessel fahren lässt. In den USA ging dies bestens auf: Dort hat sich der mit 27 Millionen Dollar Budget verhältnismäßig tiefpreisig produzierte "The Conjuring" erfolgreich an die Spitze der Charts gestellt und binnen kürzester Zeit die Gewinnzone erreicht, während die Tentpole-Produktionen derzeit in einer nahezu ungebrochenen Abfolge von Flops auf eine ausgeglichene Bilanz noch lange warten müssen.
Oder vielleicht genauer gesagt: Angekommen ist James Wan im gesammelten Inventar des Horrorkinos der 70er Jahre. Das Gerüst bildet der Haunted-House-Stoff, wie man ihn aus Stuart Rosenbergs "The Amityville Horror" von 1979 kennt, in dem – so auch hier – eine Familie ein abseits gelegenes Haus bezieht, in dem es erst knarrt und knirscht und dann Gefahr für Leib und Leben herrscht. Auf dieses Skelett legt Wan noch Fleisch aus dem Exorzismus- und Geisterpuppen-Film auf, den Tierhorror streift er am Rande. Die Ähnlichkeit zu "Amityville Horror" ist kein Zufall: Wie dieser behauptet auch "The Conjuring" für sich, auf einem realen, vom Parapsychologen-Pärchen Ed und Lorraine Warren bearbeiteten Fall aus den 70ern zu basieren.
Sehr effektiv rührt Wan seine Zutaten an: Mit seiner herbstlichen Farbpalette, dem unaufdringlich genug in Szene gesetzten 70s-Dekor, dem wabernd-dissonanten Score, für dessen Komposition und Arrangement sichtlich ausgiebig in den Archiven der Neuen Musik gestöbert wurde, bildet "The Conjuring" eine Art gediegenes Coffetable-Book für den Connaisseur des okkulten Horrorfilms der 70er Jahre. Und nicht zuletzt beherrscht Wan sein inszenatorisches Handwerk so weit mit Bravour, dass er weiß, dass ein Gruselfilm vor allem von zwei zentralen Basics des Filmemachens lebt: Kameraposition und Timing.
Man kann das ohne weiteres gut finden. Dennoch schleichen sich leichte Zweifel ein: Mit fortschreitender Laufzeit wirkt "The Conjuring" ein wenig wie das Album eines Schmetterlingssammlers, der penibel Inventur hält. Von allem soll etwas drin sein – manches Element und manches Grusel-Setpiece wirkt so, als sei es nur deshalb im Film, damit es drin ist, selbst wenn die Dramaturgie darunter zum Ende hin ein wenig leidet. Andererseits ist das Jammern auf hohem Niveau. Dass eine Hommage an die, bzw. eine Reprise der Horrorfilme der 70er nicht in einer Versündigung am Material endet, ist schon viel wert, mehr noch, wenn das Resultat atmosphärisch über weite Strecken so gelungen ist wie hier.
Thomas Groh
Dieser Text ist zuerst erschienen im: www.perlentaucher.de
Conjuring – Die Heimsuchung
(The Conjuring) – Frankreich, USA 2013 – 111 Minuten – Start(D): 01.08.2013 – FSK: ab 16 Jahre – Regie: James Wan – Drehbuch: Chad Hayes, Carey Hayes – Produktion: Rob Cowan, Tony DeRosa-Grund, Peter Safran – Schnitt: Kirk M. Morri – Kamera: John R. Leonetti – Musik: Joseph Bishara – Darsteller: Joey King, Mackenzie Foy, Vera Farmiga, Patrick Wilson, Lili Taylor, Ron Livingston, Hayley McFarland, Shanley Caswell, Steve Coulter, Sterling Jerins, Shannon Kook, Ashley White, John Brotherton, Kyla Deaver, Christy Johnson
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