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Citizenfour

 

 

Laura Poitras präsentiert in "Citizenfour" erstaunliches Bildmaterial aus dem Sommer 2013: Aufzeichnungen jener Gespräche, die Edward Snowden mit Glenn Greenwald in seinem Hongkonger Exil führte.

Wer die internationale Nachrichtenlage auch nur obeflächlich verfolgte, konnte letzten Sommer gar nicht anders, als die zur maximalen Abstraktion tendierenden Enthüllungen über die Datensammelwut der NSA (und, wie sich schnell herausstellte, zahlreicher europäischer Geheimdienste) um eine exakt verortbare Konkretion zu ergänzen: Zwar ging (und geht) es darum, dass wir alle nicht wissen, wer wo welche Daten sammelt (und nun immer stets das Schlimmste annehmen) – aber gleichzeitig ging es eben auch darum, dass da ein einzelner Mensch, der Whistleblower Edward Snowden, in einem Hotelzimmer in Hongkong saß … und dann saß er in einem Flugzeug nach Moskau, und dann saß er im Transitbereich des Moskauer Flughafens fest, und dann wähnte man ihn schon in einem weiteren Flugzeug in Richtung Südamerika, und dann blieb er doch in Russland. Vielleicht ist das sogar eine der erstaunlicheren Aspekte der NSA-Affäre (deren manifester Inhalt wenigstens mich persönlich weit weniger erregt hat, als die darüber fast komplett vergessenen NSU-Ermittlungen): Zumindest solange Snowden nicht in der relativen Sicherheit des russischen Exils angelangt war, gehörte beides unmittelbar zusammen, und es war zum Beispiel nicht möglich, das geopolitische big picture gegen den Einzelfall der human interest story auszuspielen.

Jetzt also noch einmal zurück in den Sommer 2013: Dass Snowden nicht allein war im Hotelzimmer, wusste man schnell. Der Guardian-Journalist Glenn Greenwald hatte sich dort mehrmals lange mit ihm unterhalten und über die Taktik zur Veröffentlichung der Enthüllungen verständigt, auch einige andere Pressevertreter erhielten kurzfristig Zugang. Kaum jemand jedoch wusste, dass bei all diesen Gesprächen auch eine Kamera dabei war: Die Filmemacherin Laura Poitras war ebenfalls nach Hongkong gereist und hatte die Gespräche mit Greenwald, sowie weitere Eindrücke aus Snowdens Zeit im Mira Hotel aufgezeichnet.

Das Kino, das sonst fast immer zu spät kommt, wenn irgendwo etwas Interessantes passiert, und das dann, vielleicht um das eigene Zuspätkommen zu verbergen, bei der Reinszenierung des Verpassten umso mehr Lärm veranstaltet, war diesmal von Anfang an mit dabei. Das Ergebnis heißt "Citizenfour" und ist ein nüchterner, dem großen Thema zum Trotz kleinformatiger, bescheidener Film geworden; ein Film, der es nur gelegentlich für notwendig hält, ein bedrohliches elektronisches Brummen unter die Bilder zu legen, der auch seine leise Tendenz zum Sinnbildlichen weitgehend im Zaum hält, der es dabei bewenden lässt, ab und an zu zeigen, wie sich eine Autofahrt langsam in diskrete, den digitalen Nachrichtenfluss simulierende Lichtpunkte auflöst. Poitras vertraut – völlig zu Recht – auf die Selbstevidenz ihres Materials: Die in Snowdens Hotelzimmer aufgenommenen Aufnahmen stehen im Zentrum des Films, alles andere ist Peripherie. Dabei setzt der Film deutlich vor dem Enthüllungsmonat August 2013 an: Der Titel bezieht sich auf das Peudonym, unter dem Snowden schon Monate vor seinen Enthüllungen Kontakt zu Poitras aufgenommen hatte – im Film werden seine Botschaften an die Filmemacherin, das ist ein schönes Detail, von einer Frauenstimme vorgelesen).

Es liegt in der Natur der Sache, dass "Citizenfour" (im Gegensatz etwa auch zu Poitras’ Vorgängerfilm "The Oath", der unter anderem Osama bin Ladens Bodyguard ausfinding gemacht hatte) auch in den kammerspielartig aufgelösten entscheidenden Passagen wenig Neuigkeits-, oder auch nur Informationswert besitzt – die Aufgabenverteilung war von Anfang an klar: Greenwald und Kollegen sind für die Aufbereitung der Informationen verantwortlich, Poitras dafür, einem historischen Moment nachträglich eine ästhetische Form zu geben. Selbst was Snowdens individuelles Drama angeht, lernt man kaum mehr, als was man sich nicht auch hätte denken können: Die Sache war offensichtlich lange und exakt geplant – aber nur bis zu einem gewissen Punkt, eine exit strategy war ebenso offensichtlich nicht vorhanden.

Statt dessen hat "Citizenfour" die Ambition, Details der außergewöhnlichen kommunikativen Situation aufzuzeigen, in der Snowden agierte. Wenn die ersten Enthüllungen öffentlich werden, bleibt er noch in der (nun räumlich nachvollziehbaren: nie wirkten Hotelzimmer unpersönlicher) Isolation der Anonymität, im Fernsehen verfolgt er die Reaktion von Medien und Politik und plant mehr oder weniger in Echtzeit die nächsten Schritte. Gleichzeitig wird der Druck spürbar, unter dem alle Beteiligten stehen, zum Beispiel, wenn ein sirenenartiges Geräusch helle Aufregung verursacht, sich dann aber nach mehreren nervösen Telefonaten als Signalton für eine Feuerschutzübung herausstellt. Nicht nur in solchen Szenen erkennt man, dass "Citizenfour", und das verbindet Poitras’ Film doch wieder mit anderen, deutlich schwächeren Filmen zum selben Thema (z.B. "Inside WikiLeaks", "We Steal Secrets: The Story of WikiLeaks"), auch ein Dokument der Hilflosigkeit ist. Momentan scheint einem nicht viel anderes übrig zu bleiben, als auf die allumfassend große, aggressive Paranoia der Staaten mit individueller kleiner, passiver Paranoia zu reagieren. (Aber war das nicht schon immer so? Oder zumindest so lange es moderne Gesellschaften gibt?)

Sobald die Identität des whistle blowers aufgedeckt ist und die weltweite mediale Aufmerksamkeit auf den im Hotelzimmer Eingeigelten umgelenkt wird, bricht sich nicht nur bei Snowden endgültig eine Nervosität Bahn, die vermutlich die ganze Zeit unter der coolen Oberfläche gelauert hat, auch der Film beginnt zu desintegrieren. Poitras muss Hongkong schon vor dem neuen Medienstar verlassen, der restliche Film zerfällt – bewusst und folgerichtigerweise – in kleine Episoden ohne stringenten inneren Zusammenhalt. Julien Assange taucht kurz auf und schwadroniert über einen Privatjet, Poitras unternimmt eine Brasilienreise mit einem flüssig portugiesisch sprechenden Greenwald, schaut später in der Spiegel-Redaktion vorbei, wo es, einer der dämlicheren Aspekte der Affäre, um die Abhörattacke auf Merkels Handy geht.

Schließlich folgt doch noch ein Wiedersehen mit Snowden, erst in einem aufgrund des jetzt endgültig allgegenwärtigen Überwachungsverdachts fast nur noch über handschriftliche Notizen geführten Gespräch. Kurz vor Schluss die ergreifendste Einstellung des Films: Snowden und seine inzwischen aus Amerika nachgereiste Freundin gemeinsam in ihrer russischen Wohnung, bei den Abendessensvorbereitungen. Poitras filmt durchs Fenster, bleibt selbst außen vor. Edward Snowdens Leben geht nicht länger uns alle an, gehört ihm wieder selbst. Gleich muss man hinzufügen: Zumindest soweit gehört es ihm selbst, wie das unter den gegenwärtigen Umständen möglich ist.

Lukas Foerster

Dieser Text ist zuerst erschienen in: www.perlentaucher.de

 

 

Citizenfour

USA 2014 – 114 Min. – Start(D): 06.11.2014 – Regie: Laura Poitras – Produktion: Mathilde Bonnefoy, David Menschel, Laura Poitras, Jeff Skoll, Steven Soderbergh, Diane Weyermann, Dirk Wilutzky, Sara Bernstein, Brenda Coughlin, Kirsten Johnson, Sheila Nevins, Tom Quinn, Katy Scoggin – Kamera: Kirsten Johnson, Trevor Paglen, Laura Poitras, Katy Scoggin – Schnitt: Mathilde Bonnefoy – Darsteller: Edward Snowden, Jacob Appelbaum, Julian Assange, William Binney, Glenn Greenwald, Ewen MacAskill, Lindsay Mills, Jeremy Scahill, Barack Obama – Verleih: Piffl Medien GmbH

 

 

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