zur startseite

zum archiv

zu den essays

 

Cirkus Columbia

 

Das kleine post-jugoslawische Filmland Bosnien-Herzegowina überrascht ziemlich regelmäßig mit unspektakulären, aber genauen, menschlichen Filmen, die einerseits etwas über die Geschichte dieser geschundenen Region erzählen, andrerseits aber Parabeln der Entwurzelung und der Entfremdung sind. Danis Tanovic ist unter den jüngeren Regisseuren des bosnischen Kinos am ehesten so etwas wie ein Star; mit der absurden Kriegsfabel »No Man’s Land« hat er sich unter Cineasten mit einem politischen Bewusstsein als große Hoffnung etabliert. »Cirkus Columbia« ist sein vierter Spielfilm und der erste, der ausschließlich in Bosnien produziert wurde. Nach einem Roman von Ivika Dikic erzählt der Film in einer Mischung aus schwarzem Humor, einem großen Gespür für Atmosphäre und Details und einer sehr literarisch-musikalischen Dialog-Gestaltung (schwer zu übertragen in einer Synchron-Fassung) eine kleine, scheinbar private Geschichte aus der Zeit kurz vor Ausbruch des Krieges. »Es war dies«, sagt der Regisseur, »die letzte Phase in meinem Leben, da ich glücklich war. Vielleicht, weil ich einfach naiv war, weil ich nicht glauben konnte, daß der Krieg kommt. Mit meinem Film will ich erreichen, daß die Menschen verstehen, wie wir uns gefühlt haben, eine Stunde vor dem Krieg.«

Divko (Miki Manojlovic) kehrt am Ende der neunziger Jahre in seine kleine Heimatstadt im Süden Herzegowinas zurück, nachdem eine demokratische Verwaltung die Herrschaft der Kommunisten abgelöst hat. Divko hat es in Deutschland zu einigem Reichtum gebracht, nun kommt er in einem Mercedes angefahren, an der Seite einer jüngeren Frau. Divko hat noch einige Rechnungen offen und macht sich gleich daran, seine Ansprüche durchzusetzen: Sein Haus, sein Land, sein Sohn …

Die Variation von Dürrenmatts »Besuch der alten Dame« kippt indes immer wieder in die Farce, ein Schlüssel dazu ist das Verschwinden eines schwarzen Katers (ein fröhliches Winken in Richtung auf den erfolgreichsten – und umstrittensten – Regisseur der Region, Emir Kusturica).

In seinem Kern ist »Cirkus Columbia« ein Sommertraum auf dem Land, voller komischer, melancholischer, zärtlicher, erotischer und absurder kleiner Begebenheiten. Nebenbei bekommt man die Typenparade eines politischen Wandels: die Mitläufer, die »Wendehälse«, die Starrköpfigen, die Trauernden, die Hoffnungsvollen. Aber auch der Glaube an den einfachen Sieg des Kapitalismus bekommt im Protagonisten einen Knacks: Divko ist anfänglich fest davon überzeugt, daß er mit seinem Geld alles kaufen kann. Aber während er sich diesbezüglich eines besseren belehren lassen muß, verliert sich auch die Hoffnung auf Heimat. Freundschaften zerbrechen in dieser kleinen Stadt, Fronten tun sich zwischen den Bewohnern auf, Misstrauen und Missgunst steigern sich langsam aber stetig zur Bereitschaft zur Gewalt. Und dann sind da noch die Erinnerungen, zum Beispiel an den kleinen Vergnügungspark vor der Stadt, der dem Film den Titel gibt. Die Hauptdarsteller Miki Manojlovic und Mira Furlan spielten schon in Kusturicas »Papa ist auf Dienstreise« ein Paar in grotesker politischer Spannung. Geschichte wiederholt sich und verläuft doch immer anders. Vom Cirkus Columbia geht am Ende der Blick auf die Stadt. Dort gibt es die ersten Einschläge der Granaten.

Note: 2 

Georg Seeßlen

Dieser Text ist zuerst erschienen in: www.strandgut.de

 

Cirkus Columbia
Bosnien-Herzegowina / Frankreich / Großbritannien / Deutschland / Slowenien / Belgien 2010 – Regie: Danis Tanovic – Darsteller: Miki Manojlovic, Mira Furlan, Boris Ler, Jelena Stupljanin, Milan Štrljic, Mario Knezovic, Svetislav Goncic – Länge: 113 min. – Start: 20.10.2011
 

zur startseite

zum archiv

zu den essays