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Die
Chroniken von Narnia
Glaubensschlacht
in Hollywood
In Fantasy-Filmen geht es vordergründig
um den Kampf gegen Böse. Dabei werden sie auch zur immer schärferen
Waffe christlicher Fundamentalisten. Das gilt ganz sicher auch für "Die
Chroniken von Narnia"
Es gibt wohl kein Genre der populären
Kultur, das seine Absichten so dankenswert deutlich modelliert wie die Fantasy.
Hauptziel der jeweiligen Erzählung ist, möglichst große Bereiche
des globalen Marktes von Unterhaltung und Lebenssinn zu besetzen: Buch, Comic,
Film, Fernsehen, Computerspiel, Internet einerseits, Religion, Ästhetik,
Politik, Pädagogik und Moral andererseits. Auf den ersten Blick kämpfen
in Fantasy-Filmen gute Mütter gegen böse Mütter, gute Väter
gegen böse Väter, gute Schwester, Bruder, Freund gegen schlechte und
nicht zuletzt: gutes Begehren gegen schlechtes Begehren. Es geht also um den
Kampf Gut gegen Böse (und wenigstens hier gibt es in unserer so vielschichtigen
Welt kein Vertun: Die Guten sind die Guten und die Bösen die Bösen).
Zunächst erscheint es merkwürdig,
dass man sich gerade in den Zeiten des Unfriedens so gern zurückzieht in
die Fantasy-Welten. Dass man versucht, den Schlachten, dem Terror, dem Verrat
zu entkommen, nur um im Parallelland wieder vor allem dies zu finden: Schlachten,
Terror und Verrat. Man kann auch sagen: Fantasy ist eine Realitätsfalle.
Dabei stellt sich die Frage, wie »naiv« und »unschuldig«
dieses Kino eigentlich ist. Schließlich schauen wir in den Fantasy-Zyklen
unserer Bilderkultur nicht nur Kindern beim Erwachsenwerden zu, sondern auch
einer Erzählung beim Düsterer- und Gewalttätiger-Werden.
Mediale Konfessionskriege und literarische
Tradition passen zueinander
Das gilt ganz sicher auch für Die Chroniken von Narnia . Es handelt sich um die Verfilmung
der Erzählwelt des britischen Fantasy-Autors Clive Staples Lewis durch
die technologische Magie-Fabrik Disney. Herausgekommen ist ein Produkt, das
ästhetisch und ökonomisch alle vorherigen Versuche der Medialisierung
in den Schatten stellt: Dreieinhalb Milliarden Dollar hat der erste Narnia-Film
in seiner Vermarktungskette bislang eingebracht, 745 Millionen Dollar davon
allein im Kino. Und das, obwohl er bei Weitem nicht die allgemeine Begeisterung
wie etwa die Herr der Ringe–
oder die Harry Potter-Filme
auslöste. Für die Kritik schien allenfalls Tilda Swintons beeindruckender
Auftritt als wahrhaft eisige Hexe der Rede wert. Dennoch: Die medialen Konfessionskriege
unserer Zeit und die literarische Tradition passen hier einfach zueinander.
C.S. Lewis entsprach perfekt dem Bild,
das man sich von einem Fantasy-Autor aus der Mitte des vergangenen Jahrhunderts
gern macht: Als Professor für mittelalterliche Literatur verarbeitete er
in seinem Erzählwerk ein wenig Überfluss an historischer ästhetischer
Bildung, ging einem Hang zum Skurrilen und Regressiven nach und dokumentierte
zugleich seine offensichtlich lebenslange Suche nach dem richtigen religiösen
Weg. Lewis begann als überzeugter Atheist, wandelte sich um das Jahr 1929
zum Theisten und fand schließlich 1931 seinen Weg zum Christentum; unter
dem Einfluss seines akademischen Weggefährten und literarischen Freundes
J. R. R. Tolkien trat er zur katholischen Kirche über, aber Tolkiens, gelinde
gesagt, »rechtskatholische« Auffassung wurde Lewis doch bald zu
viel. Er kehrte in den Schoß der anglikanischen Kirche zurück, was
zum tiefen Zerwürfnis zwischen den beiden Autoren führte, öffentlich
ausgeführt mit britischer Zurückhaltung. »Es ist traurig«,
formulierte es Tolkien so dezent wie gehässig, »dass Narnia und jener
ganze Teil des Werkes von C. S. L. außer Reichweite meiner Sympathie bleibt,
so wie vieles von mir außerhalb seiner Sympathie lag.«
Anders als sein berühmterer Kollege brachte Lewis ein wenig Alice im
Wunderland-Witz in seine Bewährungsgeschichten. Etwa wenn er das Staunen
auf die andere Seite des Spiegels verlagert und die Bewohner von Narnia über
die reale Existenz von Menschen streiten lässt: Wunderbar etwa ein Faun,
der sich in ein Buch mit dem Titel Mythos Mensch vertieft. Solche kleinen Pointen
durchsetzen das Werk und machen es immer wieder etwas menschlicher als das von
Tolkien, bei Weitem nicht so pedantisch und fanatisch in seinem Bemühen,
eine eigene geschlossene Welt nebst eigener Sprachen und Kulturen zu errichten.
Umso auffälliger ist freilich das
religiöse Anliegen, das bei Lewis nicht Subtext, sondern Programm ist.
Immer wollte er belehren, trösten und führen und war darin durchaus
eine nationale Institution. Während des Krieges, jeden Mittwoch um Viertel
vor acht am Abend, hielt er für die BBC Radioansprachen über Lebensfragen
und ethische Konflikte des Alltags unter den Bedingungen von Bombardement und
Belagerung. Am Ende der dreißiger Jahre begann er auch das neue populäre
Genre der Science-Fiction als Medium für die, nun ja, Suche nach Gott zu
nutzen. In den Narnia-Romanen ist der Löwe Aslan ein Erlöser, der
immer erst gerufen und gefunden werden muss, um seine Hilfe zu leisten, der
sich opfern und wieder auferstehen muss.
Die am Ende siebenteiligen Chroniken von Narnia beschreiben, wie die vier Geschwister
Peter, Susan, Edmund und Lucy von ihren Eltern aufs Land geschickt werden, um
der Gefahr der Bombenangriffe auf London zu entgehen. Im Haus eines alten Professors
entdecken sie einen Kleiderschrank als Pforte zum Reich Narnia, das von Zwergen,
Faunen, Zentauren, Nymphen und sprechenden Tieren bewohnt wird. Fortsetzung
und Gegenstand des zweiten Filmes Prinz Kaspian von Narnia ist der erneute Besuch
der vier Kinder im Traumreich. Inzwischen hat dort eine schreckliche Menschenherrschaft
das Glück vertrieben. Die Kinderhelden befinden sich in der Londoner U-Bahn,
als sie plötzlich, ausgelöst durch einen magischen Hilferuf, zurück
nach Narnia gezogen werden. Mit Unterstützung der vier wird der junge Prinz
Kaspian Anführer der überlebenden Narnianer, also jener Fabelwesen,
die zu Beginn begreiflicherweise ihre Vorurteile gegen Menschen haben. Es geht
um den Kampf um eine bessere Welt, der in einer gewaltigen Schlacht kulminiert,
welche wiederum nur durch das erneute Eingreifen des königlichen Löwen
Aslan entschieden werden kann. Tilda Swinton kommt in dem zweiten Film übrigens
nur in einem kurzen (durch ihre androgyne Härte trotzdem beeindruckenden)
Auftritt als Hexe vor.
Die Chroniken von Narnia haben eine beachtliche Mediengeschichte:
Bereits 1967 wurde ein erster Fernsehfilm gedreht, zehn Jahre später folgte
eine Trickfilm-, wiederum ein Jahrzehnt später eine weitere Realfilm-Version
mit ausgesprochen kindgerechter Darstellung. Aus der Sphäre der nachmittäglichen
Kinderunterhaltung entkam der Stoff erst durch die computergenerierten Pixelwesen,
die sich perfekt mit den realen Schauspielern verbinden lassen. Und: Durch die
Marktmacht des Disney-Konzerns, der die Planung eines weltweit überwältigenden
Blockbusters ermöglichte. Selbst die neuen Romanausgaben werden mit Titelbildern
versehen, die direkt auf die Filme verweisen. Zu den Begleitprodukten gehören ein wabernder Songzyklus der Gruppe 2nd Chapter
of Acts, das obligate Computerspiel sowie Comicversionen. Mittlerweile gibt
es neben Postern und Klebebildern natürlich auch Sammelfiguren; besonders
begehrt sind der Löwe Aslan und die Weiße Hexe als Buchstützen,
und da gibt es einiges zu stützen, schließlich wurden seit dem Erscheinen
des ersten Bandes über 85 Millionen Narnia – Bücher verkauft.
Der zweite Teil der Filmserie repräsentiert
den derzeitigen Stand der Computeranimation und verbindet zwei Erfolgsformeln:
die Kinderhelden aus Harry
Potter, denen man beim
Erwachsenwerden zusieht, und die weltentscheidenden Schlachten und epische Ausdehnung
aus Herr der Ringe. Dabei ist nicht zu übersehen, dass
die filmische Umsetzung der Chroniken nicht minder religiös und ideologisch
besetzt ist als die Bücher. Gerade der zweite Teil verdient sich das Prädikat
Kriegskitsch; er beschreibt nicht zuletzt die Produktion von Kindersoldaten
in einem heiligen Krieg. Der Weihnachtsmann in Narnia bringt Rüstungsgüter,
Schwerter und Bogen, es geht nicht um Selbstbestimmung, sondern um rechtmäßige
Herrschaft, und die Süßigkeit ist hier das Hexenwerk. Das mag aus
der Erinnerung an den Weltkrieg stammen, der ja auch die Rahmenhandlung der
Romane und der Filme bildet. Doch die Romane wurden in den fünfziger Jahren
geschrieben, in der Gewissheit des guten Ausgangs. Nicht der Erinnerung an den
Krieg wird da entkommen, sondern eher der grauen Nachkriegszeit der fünfziger
Jahre, in denen für viele Briten der Frieden gleichsam verloren ging.
Es ist also ein Stoff, der seine therapeutischen
historischen Wurzeln nicht verleugnet und dessen, sagen wir einmal: »altmodische«,
Vorstellungen von Werten, Verhalten und Rollen eben der Entstehungszeit geschuldet
sind. Auf der Leinwand sind Die
Chroniken von Narnia freilich
ganz aktuell kontaminiert auch durch den Gebrauch, den die religiöse Rechte
in den USA davon machte und macht. Disneys Zusammenarbeit mit der Walden-Produktion,
der Firma des selbst ernannten Erweckers Philip Anschutz, der 20 Prozent aller
amerikanischen Kinos besitzt und noch unter eingefleischten Republikanern als
rechter Hardliner und in seiner presbyterianischen Kirche als »ausgeprägter«
Fundamentalist gilt, zielt bewusst auf einen Markt jenseits der traditionell
liberalen Traumfabrik. »Wir machen Filme, die grundsätzlich erzieherisch
sind«, lautet Anschutz’ Programm. Die Filmproduktion empfindet der Multimilliardär
als globale Missionarsarbeit, und seine Mitarbeiter sind eingeschworen auf einen
Kampf gegen alles, was liberal, unchristlich und demokratisch ist. Die evangelikalen
Kirchen benutzen diese disneyfizierte Propaganda ganz gezielt. Man veranstaltete
etwa »Sneak Previews« in den Kirchen und Gemeindehäusern, man
verteilt »Informationsmaterial« für den richtigen Einsatz von
Narnia-Produkten im Religionsunterricht und bei der Jugendarbeit. Es werden
regelrechte Narnia-Gottesdienste abgehalten, und die Gemeinden laden bedürftige
Familien und ihre Kinder zu kostenlosem Kinobesuch des Films. Für die Verbreitung
von Narnia-Produkten in christlichen Haushalten hat eine eigens gegründete
Werbeagentur die Arbeit aufgenommen, kurz: Eine unbefangene Beschäftigung
mit dieser religiösen Fantasie im Popcorn-Universum ist angesichts solcher
Praxis nur schwer möglich. Zur gleichen Zeit entstehen in Hollywood »Prayer
Groups«, während die Kirchen auf neue, christlich bestimmte Zertifizierungen
der Produktion in Kino und Fernsehen drängen. Nach Mel Gibsons schaurig
fundamentalistischer Passionsgeschichte ist "Narnia" nun der zweite
Beleg dafür, dass man mit religiös durchtränkter Ware auf einem
erstarkenden christlich-politischen Parallelmarkt großartige Geschäfte
machen kann. Und Jeb Bush, ehemaliger Gouverneur von Florida, Bruder des jetzigen
Präsidenten und von der Parteirechten schon als möglicher Kandidat
für eine zukünftige Präsidentschaftswahl gehandelt, verkündete
gerade wieder, dass jedes Kind dazu gebracht werden solle, neben der Bibel auch
Die Chroniken von Narnia zu lesen. Narnia wurde hierzulande kürzlich
sogar zum Namensstifter für eine pädagogische Einrichtung im Sozialwerk
der Freien Christengemeinde, mit dem Hinweis darauf, dass die Kinder lernen
sollten, die böse Hexe zu bezwingen und den »rechtmäßigen
König« wieder einzusetzen. Wir wollen hoffen, dass man sich beim
Sozialwerk der Freien Christengemeinde nicht mehr dabei gedacht hat, als ein
lustigbuntspannendes Motto für wertvolle pädagogische Aktivität
zu finden.
Kindergeburtstagsfilme als Schauplatz
ideologischer Auseinandersetzung
An Widerspruch fehlt es freilich nicht.
Der Autor Philip Pullman etwa nannte Die
Chroniken von Narnia »rassistische,
frauenfeindliche und reaktionäre Propaganda«, und es ist wahrlich
nicht schwer, für jeden einzelnen dieser Vorwürfe in den Büchern
wie in den Filmen Belege zu finden. Pullman begnügte sich nicht mit solcher
Kritik, sondern machte sich an die Ausarbeitung eines Gegenentwurfes: His Dark Materials
ist der Titel einer 1995 begonnenen Fantasy-Serie, die in jeder einzelnen Figur
der fundamentalistischen Weltsicht aus Narnia widerspricht. In den USA erhielt
der erste Roman den Titel The
Golden Compass , und das wurde auch der Titel einer
Verfilmung, die es an Aufwand, Starauftritten und Effekten mit Narnia durchaus
aufnehmen kann. Buch und Film erzählen von den Abenteuern des Mädchens
Lyra, das in einer Parallelwelt lebt, in der jeder Mensch seinen »Dämon«
in Tiergestalt hat, der ihn begleitet wie eine veräußerlichte Seele.
Diese Welt wird durch eine finstere Instanz, das Magisterium, beherrscht, das
verteufelte Ähnlichkeit mit dem Vatikan hat und Aufklärung und Menschlichkeit
zu verhindern weiß. Auch Lyra hat einen gefahrvollen Weg zum Erwachsenwerden
zu bestehen, doch dieses Mädchen will nicht Garant der alten Ordnung werden,
es lernt, dass verantwortungsvolles Handeln auch im Widerstand besteht. Die
Trilogie traf erwarteterweise auf den erbitterten Widerspruch religiöser
Kreise. Obwohl die antiklerikalen und anti-Lewisschen Aspekte des Romans in
der Verfilmung des Jahres 2007 weitgehend abgeschwächt wurden, wurde auch
hier heftig polemisiert, boykottiert und Lobbyarbeit geleistet: Da der Film
ein »Anreiz sein könnte, die Bücher zu lesen«, forderte
die Katholische Liga in den USA alle Christen auf, sich davon fernzuhalten.
Tatsächlich wurde Der goldene Kompass in vielen Kinos nicht gezeigt,
und christliche Videotheken verbannten die DVD-Ausgabe aus dem Angebot.
Was also Eltern und Fans allenfalls als
Akzentverschiebungen in einander ähnelnden Kindergeburtstagsfilmen mit
schönen (neuseeländischen) Landschaften, computeranimierten Fabelwesen,
Hexen, Schlachten, Zauberei erscheinen mag, ist zumindest in den USA ein Schauplatz
heftiger religiöser und eben auch politischer Auseinandersetzung. Es ist
ein Kampf, der zugleich um Kinderseelen und Marktanteile geführt wird.
Ganz will das, glücklicherweise, nicht gelingen. Der Film Prinz
Kaspian von Narnia ist
seiner dreifachen Aufgabe nicht gewachsen, zugleich familientaugliche Unterhaltung,
religiöse Erbauung und politische Metaphorik für die ausgehende Bush-Ära
und ihr Weltbild zu sein. Das Kindlich-Naive, das Düster-Brutale und das
Christlich-Reaktionäre brechen auseinander. Und damit sagt der Film vielleicht
eine interessante Wahrheit. Nämlich die, dass unsere Sehnsucht nach Märchen
und Mythos beinahe überall hineinzuretten ist. Aber nur begrenzt in die
Propaganda.
Georg Seeßlen
Dieser
Text ist zuerst erschienen in: DIE ZEIT, 31.07.2008 Nr. 32
Die Chroniken von Narnia: Der
König von Narnia
USA
2005 – Originaltitel: The Chronicles of Narnia: The Lion, The Witch, and The
Wardrobe – Regie: Andrew Adamson – Darsteller: Tilda Swinton, James McAvoy,
William Moseley, Anna Popplewell – Prädikat: wertvoll – FSK: ab 6 – Länge:
138 min. – Start: 8.12.2005
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