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Chronik eines Hofnarren
Die Winde des Kriegsglücks
Die Bilder im Gegenwartskino tun gerne so, als wären sie aus einem Guss. Mag sein, der Drache ist am Computer errechnet, der Gollum hüpfte eigentlich als kleiner Mann im Motion-Capture-Verfahren vor Greenscreen, die hunderttausend Kämpfer sind algorithmisch geklont: Es soll nicht so scheinen. Gerade der fantastische Film sucht die realistische Illusion. Die Augen sollen glauben, was sie sehen, obwohl der Verstand einsehen muss, wie sehr nicht nur der Drache, sondern vor allem die nahtlose Einheit des zusammengekupferten Bilds Täuschung ist, die sich also verbirgt.
Mit Verbergungen dieser Art haben die Filme des tschechischen Regisseurs Karel Zeman rein gar nichts im Sinn. Mit Rechnern und Greenscreen naturgemäß auch nichts, schließlich sind sie in den sechziger und siebziger Jahren entstanden. Zeman setzt von der Kamera aufgezeichnete Wirklichkeit, Zeichnungen und handgebastelte Animationen zwar ins selbe filmische Bild, aber er behauptet keine Gleichursprünglichkeit. Der Gott des Krieges bläst in den Wolken die Backen auf, als ganz klar erkennbare, von Matthäus Merian inspirierte Kupferstichillustration.
In langer Reihe stehen die Krieger, im Vordergrund sind sie real und gehen dann aber, wenngleich perspektivisch korrekt, unverkennbar über in Zeichnung: So genießt man nicht nur den Effekt – denn ein Eindruck von Realität stellt sich her -, sondern auch die Tatsache, dass er im Bild als Effekt sichtbar bleibt. Das Auge wird nicht per Illusion überwältigt, sondern per Montage reizvoll gekitzelt, freundlich genarrt, elegant amüsiert.
Zemans "Chronik eines Hofnarren" erzählt eine Geschichte aus dem Dreißigjährigen Krieg. Der böhmische Bauer Peter – ein "Simplicissimus", auch wenn Grimmelshausens Roman nicht die Vorlage ist – irrt wie ein unvertäutes Objekt zwischen den Fronten, wird mal in diese, dann in jene Uniform gesteckt, in den Kerker geworfen oder ebenso unversehens zum Verlobten der Tochter des Schlossherrn.
Wie ihm geschieht, weiß er nicht. Er tut sich mit Matthias, einem desertierten Söldner, zusammen und verliebt sich stracks in eine junge Frau namens Lenchen, die die meiste Zeit in einem Hofnarrenkostüm steckt. Die Winde des Kriegsglücks drehen sich mal in diese Richtung, mal in jene, das Schicksal ist den drei Helden günstig, dann wieder nicht.
Das Schloss, in das sie geraten, ist großenteils Zeichnung, in der sich die realen Darsteller aber bewegen, als gehörten sie da hinein. Einmal schießen Kanonenkugeln einer Reihe Soldaten die Köpfe vom Rumpf; das sieht aus wie in den charmant blutrünstigen Animationen, die Terry Gilliam ein paar Jahre später für Monty Pythons Flying Circus produziert hat. Kein Zufall, Zeman war für Gilliam ebenso wie für Tim Burton und zuvor schon Ray Harryhausen ein wichtiges Vorbild. Gelernt hatte Zeman sein Handwerk in den vierziger Jahren bei der medienavantgardistischen Schuhfirma Bata, hatte dann nicht nur als Animations- und Zeichentrickkünstler, sondern auch als Kulissenmaler gearbeitet.
Es ist darum kein Wunder, dass er viele Szenen eher von der Kulisse als von den darin agierenden Menschen her denkt. So geraten, als sich Matthias einmal betrinkt, die Gesetze der Kausalität schön durcheinander. Sein Schluckauf erschüttert den mal gezeichneten, mal realen Hintergrund im Filmbild tatsächlich, fast schüttelt es den Wachmann von seinem Turm. Das Bild selbst wird also betrunken – und auch das Zuschauerauge trinkt mit.
Ekkehard Knörer
Dieser Text ist zuerst erschienen in der: taz
Chronik eines Hofnarren
(Bláznova kronika) – Tschechoslowakei 1964 – Regie: Karel Zeman – Länge: 90 Min. – Mitwirkende: Petr Kostka, Miroslav Holub, Emília Vásáryová, Eduard Kohout, Valentina Thielova u.a.
Die DVD ist mit dem Titel "A Jester’s Tale" bei Second Run in Großbritannien erschienen und als Import ab etwa 12 Euro erhältlich
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