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Censored Voices

 

Im Film ist einmal von einer „Hysterie des Triumphs“ die Rede, wenn es um die offizielle Stimmung in Israel nach dem Ende des Sechs-Tage-Krieges 1967 geht. In wenigen Tagen hatte man einen Drei-Fronten-Krieg gegen einen scheinbar übermächtigen Gegner gewonnen und das Territorium des Landes erheblich erweitert. Die heimkehrenden Soldaten werden als Helden gefeiert; Moshe Dayan ist der Mann der Stunde. Wenige Tage nach Kriegsende macht sich der Schriftsteller Amos Oz, selbst Kriegsteilnehmer, auf, Stimmen zu sammeln, die von Erfahrungen berichten, die in der offiziellen Stimmung keinen Platz haben. Fast 50 Jahre später versammeln Oz und die Dokumentaristin Mor Loushy die Befragten von 1967 vor der Kamera und spielen die alten Tonband-Mitschnitte vor, die seinerzeit von der Zensur aus dem Verkehr gezogen wurden. Zu konstatieren ist zunächst einmal eine umfassende Skepsis gegenüber dem historischen Narrativ vom in Israel herrschenden Patriotismus. Die Begeisterung, in den Krieg zu ziehen, habe sich in Grenzen gehalten.

Berichtet wird aber auch das Erstaunen über die eigene Kampfkraft und etwa die Schnelligkeit, mit der man bis zum Suezkanal vorstoßen konnte. Auch das Pathos des Kampfes um Jerusalem wird schnell relativiert, zumal, wenn man die Opfer auf der eigenen Seite gegen die Symbolkraft der Eroberung der Klagemauer verrechnet. Insgesamt wird schnell eine große Beklommenheit spürbar angesichts der Erfahrungen, die man während und auch nach den eigentlichen Kampfhandlungen gemacht hat. Mit wachsendem Abstand kommen dann auch die „kleinen und miesen Geschichten“ (O-Ton) auf den Tisch: Jetzt ist von Kriegsverbrechen die Rede, von Mordbefehlen, aber auch von Mordlust. Gleich mehrfach wird das eigene Handeln mit dem Holocaust verglichen. Gegen den unmittelbaren Triumph des Sieges steht die Einsicht, dass Israel jetzt Besatzungsmacht geworden ist – mit allen Konsequenzen.

Dass der Sechs-Tage-Krieg die Probleme der Region nicht gelöst hat, sondern eher verkompliziert hat, wird schnell deutlich. Die staatliche Propaganda vom historischen Anspruch Israels auf seine Existenz auf Kosten der Palästinenser wird als durchsichtig erkannt. »Persönlich« wollte niemand mehr jemandem Land rauben. Frieden werde auf diese Weise nicht gesichert, eher schon müsse man sich auf Dauer darauf einstellen, zwischen zwei Kriegen zu leben. Allerdings sind derlei Verdichtungen des Politischen an das Material herangetragen. Die O-Töne selbst erzählen eher traditionell durchaus bekannte Reflexionen über den Verlust der Unschuld im Krieg, von der Erfahrung, dass der Feind auch ein Mensch ist, der Fotos seiner Kinder bei sich trägt und von der Erfahrung der Macht über die Besiegten. Schützengraben-Humanismus. Die akustischen Erzählungen werden durch historisches Bildmaterial aus unterschiedlichsten Quellen ergänzt, das mal verstärkend, mal kontrapunktisch angelegt ist.

Gegen Ende des Films dürfen sich die bislang schweigenden Zeitzeugen noch aus heutiger Sicht zu ihren damaligen Aussagen verhalten. Die ideologischen Positionen haben sich spürbar verändert. Würde man das, was man damals gesagt habe, heute sagen, würde man als Landesverräter behandelt werden. Rückblickend wird deutlich, dass die pessimistischen Einschätzungen von den Konsequenzen des Krieges durch die weitere Entwicklung noch überboten wurden. Was bleibt, ist ein trauriger Pragmatismus: „Ich träume nicht mehr vom Frieden!“, heißt es an einer Stelle des Films. Während Amos Oz darauf beharrt, dass man damals die Wahrheit gesagt habe und die Gewaltspirale schon damals absehbar gewesen sei, wird nicht gefragt, inwieweit das dissidente Räsonnement, das seinerzeit »zensiert« wurde, der Entwicklung etwas entgegengesetzt hätte. Für den Zuschauer offen bleibt auch die Frage, wie die Tatsache zu werten ist, dass die „zensierten Stimmen“ von 1967 jetzt zu hören sind. In den USA wird aktuell über die Rolle der Zensur in Israel im Allgemeinen und ihre »eher liberale« Rolle im Zusammenhang mit der Freigabe von „Censored Voices“ diskutiert. Kontrovers, versteht sich.

Ulrich Kriest

Dieser Text ist zuerst erschienen in: Film-Dienst

Zu diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere Texte

 

 

  

Censored Voices

Deutschland, Israel 2015 – Kinostart(D): 21.07.2016 – Regie: Mor Loushy – Buch: Mor Loushy, Daniel Sivan – Produktion: Daniel Sivan, Hilla Medalia, Neta Zwebner – Kamera: Itai Raziel, Avner Shahaf – Schnitt: Daniel Sivan – Musik: Markus Aust – Verleih: Farbkult/Real Fiction- Länge: 84 Min. – FSK: Ohne Angabe – Mit: Amos Oz, Abraham Schapira

 

 

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