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Cemetery of Splendour
Die Poesie einer Amöbe
Der thailändische Regisseur Apichatpong Weerasethakul
beherrscht die Kunst, wie beiläufig Dingliches mit Metaphysischem zu verbinden.
Wie überdimensionale Zuckerstangen stehen bunte Leuchtröhren
aufgereiht in einem dunklen Schlafsaal, ihr diffuses Licht illuminiert die Nacht.
Die Einstellung strahlt eine unwirkliche, fast geisterhafte Schönheit aus
und gehört zu den emblematischen Momenten in Apichatpong Weerasethakuls
sechstem Film "Cemetery of Splendour". Denn Geister – ob von geliebten Verwandten oder mythischen Prinzessinnen
– sind häufig Gäste in den Filmen des thailändischen Regisseurs.
Wie selbstverständlich bewegen sie sich unter den Lebenden, treten plötzlich
aus der Dunkelheit hervor und beseelen die Tiere des Waldes. Auf diesem animistischen
Bewusstsein, in dem die organische Welt und die Dingwelt gleichermaßen
von einer lebendigen Seele erfüllt sind, basiert die Wirklichkeit von Weerasethakuls
Filmen. Als verfügten sie über einen siebten Sinn, sind ihre Synapsen
in alle Richtungen geöffnet: empfänglich für Wahrnehmungen bis
hinunter auf die feinstoffliche Ebene. Geister- und Traumwelt verschmelzen,
ohne ihre Verankerung in der physischen Realität zu verlieren. An ihren
Übergängen entstehen immer wieder kleine poetische Rätsel, die
den flüchtigen Zauber von Weerasethakuls Bildern sichtbar machen. Wie die
Amöbe in "Cemetery of Splendour", die plötzlich am Himmel erscheint und geheimnisvoll durchs
Bild schwimmt.
Das Krankenhaus im ländlichen Norden Thailands, aus dem Weerasethakul
stammt, ist so ein konkreter Ort, an dem sich die unterschiedlichen Bewusstseinszustände
manifestieren: physische und spirituelle Welt, Vergangenheit und Gegenwart koexistieren.
Hier sind Soldaten untergebracht, traumatisierte Kämpfer, die von einer
seltenen Schlafkrankheit befallen aus dem Krieg zurückkehrten. Sie ruhen
jetzt in dem Gemeinschaftsraum, der früher ein Klassenzimmer war, betreut
von Ärzten und Krankenschwestern. Körperlich anwesend und doch unerreichbar.
Keng (Jarinpattra Rueangram), eine junge Frau, die gelegentlich auf der Station
aushilft, ist die einzige Pflegerin, die im Kontakt mit den Männern steht,
weil sie über die seltene Gabe verfügt, mit den Geistern kommunizieren
zu können – was unter dem Pflegepersonal umgehend das Gerücht in Umlauf
setzt, sie würde für das FBI arbeiten. Krankenhaustratsch. Das Magische
hat bei Weerasethakul stets zwei Seiten: eine erhabene und eine triviale.
Auf der Pflegestation begegnet Keng der älteren Jen (Jenjira
Pongpas Widner, die – selbst eine Art übersinnliche Erscheinung – in verschiedenen
Figureninkarnationen in allen Filmen Weerasethakuls mitspielt). Die Hausfrau
aus der nahen Stadt wollte eigentlich nur ihre ehemalige Schule besuchen, beginnt
dann aber sehr schnell, auf ihre eigene Art einen Draht zu den schlafenden Männern
zu entwickeln. Vor allem zu dem jungen Soldaten Itt, der ihr Sohn sein könnte.
Auch Jen ist in gewisser Weise versehrt. Sie muss beim Gehen Krücken benutzen,
da ihr linkes Bein zehn Zentimeter kürzer ist. Bei einem Ausflug in die
umliegende Natur zeigt sie Keng ihre Operationsnarben. "Mach doch das andere
einfach kürzer", witzelt die junge Frau.
So vergehen die Tage auf der Station, lose strukturiert von Arbeitsroutinen
und sonderbaren Begegnungen. Das Schöne an Weerasethakuls Filmen ist, dass
sie sich nie von äußeren Kräften beeindrucken lassen. Auch "Cemetery of Splendour" entwickelt ein Tempo, das von den Figuren, den
Orten, dem Licht und dem natürlichen Fluss der Alltagsbeobachtungen ausgeht.
Das Bild der schlafenden Soldaten wird zum Leitmotiv. Ihr gleichmäßiges
Atmen überträgt sich auf den Rhythmus der Geschichte. Die Geräusche
der Insekten und Bäume, die durch die offenen Fenster in das Zimmer dringen,
erzeugen eine meditative Schläfrigkeit, die die Protagonisten und Zuschauer
wie in einen schützenden Kokon hüllt.
Die innere Ruhe von Weerasethakuls Inszenierung entfaltet eine geradezu
heilsame Wirkung. Seine Einstellungen sind konzentriert, aber nie zu lang, die
Brüche zwischen zwei Schnitten beiläufig, fühlen sich aber nicht
abrupt an. Die Leuchtröhren, die das Pflegepersonal neben den Betten der
Patienten aufgestellt hat, erfüllen ebenfalls eine therapeutische Funktion.
Ihr farbiges Licht soll die unruhigen Träume der Soldaten durchdringen
und das Trauma der Schlachtfelder lindern. Auch der Krieg ist in "Cemetery of Splendour" allgegenwärtig. Alle Filme Weerasethakuls
zeichnen auf die eine oder andere Weise solche Heilungsprozesse nach – nicht
ohne Grund spielen Krankenhäuser seit seinem Regiedebüt "Blissfully Yours" (2002) eine zentrale Rolle.
In "Cemetery of Splendour" bekommt das Krankenhaus eine doppelte Bedeutung zugeschrieben,
als konkreter wie metaphorischer Ort. Die Geister zweier Prinzessinnen, die
Jen nach einer Opfergabe im Tempel aufsuchen, verraten ihr, dass sich darunter
der Friedhof der thailändischen Könige verbirgt. Der Ort des Traumas
ist zugleich ein historischer, ein Palimpsest der bewegten Geschichte Thailands:
überschriebene Erinnerungen, die die Vergangenheit jedoch nie ganz ausradieren
können. Die toten Könige, erklären die Prinzessinnen, führen
ihre Kriege nun in den Träumen der Männer fort. So wird in dem Bild
der schlafenden Soldaten eine politische Allegorie deutlich, die auf die angespannte
Situation in Thailand nach dem Militärputsch vor eineinhalb Jahren anspielt.
Es geht auch um die Heilung eines schlafenden Landes. Doch die Allegorie ist
nur ein weiterer Strudel in den expansiven Bewusstseinsströmen von "Cemetery of Splendour", denen man sich am besten ganz unvoreingenommen hingeben
sollte. Denn Apichatpong Weerasethakul nimmt das Kino als einen Ort des Träumens
wieder ernst.
Andreas Busche
Dieser Text ist zuerst erschienen in der: Zeit Online
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Cemetery of Splendour
(Rak Ti Khon Kaen) – Thailand, Großbritannien, Frankreich, Deutschland,
Malaysia, Südkorea, Mexiko, USA, Norwegen 2014 – 122 Min. – Kinostart(D):
14.01.2016 – FSK: ohne Altersbeschränkung – Regie: Apichatpong Weerasethakul
– Drehbuch: Apichatpong Weerasethakul – Produktion: Apichatpong Weerasethakul,
Charles de Meaux, Simon Field, Hans W. Geissendörfer, Keith Griffiths,
Michael Weber – Kamera: Diego García – Schnitt: Lee Chatametikool – Darsteller:
Jenjira Pongpas, Banlop Lomnoi, Jarinpattra Rueangram, Petcharat Chaiburi, Tawatchai
Buawat, Sujittraporn Wongsrikeaw, Bhattaratorn Senkraigul, Sakda Kaewbuadee,
Pongsadhorn Lertsukon, Sasipim Piwansenee – Verleih: Rapid Eye Movies
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