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Casa
de los Babys
Im
Kino gewesen, genickt.
John
Sayles hat mit "Casa de los Babys" einen hervorragend besetzten Film
zum Thema Adoptionstourismus gedreht – nach sechs Jahren ist er nun in (wenigen)
deutschen Kinos zu sehen.
Die
eine, Skipper (Daryl Hannah), sprintet im Fitnesswahn den Strand auf und ab.
Die andere, Nan (Marcia Gay Harden), ist erzkonservativ, kommt aus dem Mittleren
Westen der USA, und klaut, wenn, wie sie glaubt, niemand hinschaut, Seifen vom
Putzwagen des Zimmermädchens. Die dritte, Leslie (Lily Taylor), lebt in
New York, arbeitet in einem Verlag, hat genug von den Männern und kommt
offenkundig aus einer anderen Welt als Skipper und Nan. Dazu die irischstämmige
Eileen (Susan Lynch), Jennifer (Maggie Gyllenhal), die eine Ehekrise durchmacht
und Gayle (Mary Steenburgen), die mit einem Alkoholproblem kämpft.
Sechs
Frauen aus den USA in einem Hotel irgendwo in Südamerika. Es eint sie der
Wunsch, vor Ort ein Baby zu adoptieren. Anderes entzweit sie. Sie sitzen seit
Wochen hier fest. Nur eine von ihnen spricht, und auch nicht gut, spanisch.
Eine versucht’s mit Bestechen und Drohen. Man sitzt am Strand, giftet gegen
gerade Abwesende, telefoniert mit zuhause. Das Wort Adoptionstourismus trifft
die Sache, wie John Sayles sie darstellt, ausnehmend gut. Das Warten wird durch
Cocktails versüßt und bei der einen oder anderen durch ein schleichendes
schlechtes Gewissen leise vergiftet. Reiche Frauen kaufen sich ein Kind im armen
Land. John Sayles zeigt sie in einer Art real-moralisch-allegorischem Limbo
als exklusiver Feriensituation. (Limbus bei Dante: freundliche Vorhölle,
in der die guten Nichtchristen die Ewigkeit lässig verbringen. In einer
Art Limbus hat auch "Casa de los Babys" offenkundig die Zeit seit
seiner Entstehung 2003 verbracht, bevor es nun zum sehr verspäteten Kleinstkinostart
kommt. Auf DVD ist der Film inzwischen auch schon raus.)
"Limbo"
(deutsch allerdings: "Wenn der Nebel sich lichtet") lautete der Titel
eines anderen Sayles-Films, des letzten, der – vor zehn Jahren! – in Deutschland
einen größeren Start hatte. Limbo, also die Zwischenlage in unterschiedlichen
Variationen, ist für den seit langer Zeit völlig unabhängig nach
eigenen Drehbüchern arbeitenden Regisseur John Sayles die bevorzugte Situation
für seine dramatischen Konstellationen. Sein Erzählen ist in aller
Regel nicht vorwärts gerichtet, sondern, das dann aber in alle Richtungen,
seitwärts. Er denkt von einer Situation aus, einem Milieu, einem Ort und
den Figuren, die an diesem Ort leben und/oder an ihn versetzt sind. Das Eigentümliche
seines Vorgehens liegt in der oft faszinierenden Mischung von Genauigkeit im
Detail und gleichzeitiger Übertragbarkeit und Verallgemeinerbarkeit des
Gezeigten: eine Art allegorischer Realismus oder realistischer Allegorismus.
Eigentlich geht sowas ja nicht.
Bei
Sayles aber funktioniert es, im besten Fall. Etwa in "Limbo" oder
auch in "Men With Guns" (von 1997). Im schlechteren Fall kommt eine
Abstraktion dabei heraus, mit Figuren, an denen die Eierschalen der Themenrecherche
noch kleben, die bei Sayles stets Ausgangspunkt ist. Leider ist "Casa de
los Babys" einer dieser schlechteren Fälle. Allzu deutlich erkennt
man darin das eifrige Bemühen des Autors, etwa zur internen Differenzierung
seines Frauen-Sextetts. Diese aber, wie auch die Hinzufügung weiterer Figuren,
bleibt allzu schematisch und reißbretthaft. Wie nur zur Vervollständigung
treten ein Straßenjunge, ein Möchtegern-Revolutionär und ein
auswanderungswilliger Architekt ohne Arbeit ins Bild. Dort stehen sie dann herum
und sagen nicht viel mehr, als dass sie in dieses Bild eben auch gehören.
Womit sie bzw. ihr Schöpfer ja recht haben: Nur reicht das nicht für
eine überzeugende Geschichte – und seien, was sie alle miteinander sind,
die Darsteller noch so gut.
Aber
selbstverständlich ist ein nicht ganz so gelungener Sayles-Film immer noch
viel besser als ein beliebiges Hollywood-Rührstück zum Thema. Einfache
Lösungen gibt es hier so wenig wie die Auflösung einer komplexen Problemlage
in Wohlgefallen. Wie stets arbeiten exquisite Darsteller und – diesmal vor allem
– Darstellerinnen bei Sayles, der seine Filme zum Spottpreis produziert, für
ein Handgeld. Die Umformung von psychischen, materiellen und anderen Schwierigkeiten
zu Dia- und Monologen ist in "Casa de los Babys" durchaus gelungen;
nur dass dabei trotzdem eher ein Thesenstück herauskommt als ein Film und
eine Geschichte, die einen beim Zusehen zu mehr als einverständigem "Ja"-
und "Richtig"-Sagen veranlassen. Im Kino gewesen, genickt.
Ekkehard
Knörer
Dieser Text ist zuerst erschienen in: www.perlentaucher.de
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Casa
de los Babys
USA / Mexiko 2003 – Regie: John Sayles – Darsteller: Marcia Gay Harden, Susan Lynch, Daryl Hannah, Mary Steenburgen, Lili Taylor, Maggie Gyllenhaal, Vanessa Martinez, Angelina Peláez, Rita Moreno – Fassung: O.m.d.U. – Länge: 95 min. – Start: 31.12.2009
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