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Carrie(2013)

 



Mobbingmelodram in Blut

Ist es ein Entwicklungsgesetz oder nur ein kleinbürgerliches Bauchurteil, das besagt, mit der Welt im Allgemeinen und mit Horrorfilmremakes im Besonderen würde alles immer ärger? Egal, denn: Die Neuverfilmung von Stephen Kings Romandebüt "Carrie" widerspricht dieser Tendenz, ist sie doch um einiges gesitteter als Brian De Palmas Erstadaption von 1976. Diese allerdings hatte die Latte schon recht hoch gelegt, so etwa (um einmal nicht eine der prominenten Blutvergießensszenen zu nennen) in einem Dialog zwischen Nancy Allen als zickiger High-School-Bully und dem jungen John Travolta: Als sie ihn per Blowjob im Auto überredet, bei ihrem perfiden Komplott gegen die Titelfigur mitzutun, stößt sie, bevor sie ans Werk geht, noch inbrünstig "God, I hate Carrie White!" aus.

Solche Gefühlsverdrehung bietet der 2013er-Film über ein von ihrer christlich-paranoiden Mutter zu Buß- und Selbstabtötungsexerzitien gezwungenes, von Mitschüler_innen hämisch gemobbtes, allerdings telekinetisch begabtes Mädchen nicht. Auch zu dem im besten Sinn ungesunden Konzeptbarock von De Palmas Inszenierung, die vitale Mädchenkörper in ornamentalen Draufsichten, Buntlicht, Extremzeitlupen, Tonlöchern, Splitscreen und Schwulstmusik (Pino Donaggio auf den Spuren von Bernard Herrmann und Softsex-Scores) regelrecht suspendierte, zu solchem Suspense also hat das Remake kein Pendant. Und so bewegend die auf Freakrollen nahezu abonnierte, schon bald siebzehnjährige Chloe Grace Moretz als Carrie auch spielt – an Sissy Spaceks irre, dürre, fleckig-bleichhäutige Erscheinung anno ’76 kommt das nicht heran.

Dennoch macht der Psychoschocker von Kimberly Peirce (zuletzt 2008 das Iraktrauma-Roadmovie "Stop-Loss") recht gute Figur. Er erhält und kultiviert die melodramatische Luzidität des Sujets, das Ineinander von Rührung und Einsicht: Der Empathiefokus auf Carrie, auf ihre Nöte, ihre Ängste beim späten Pubertieren, ihren keimenden Widerstand gegen den Terror ihrer Mutter, ihre auf der Prom-Night-Party keimenden, schwelgenden, dann mit einem Schlag bzw. Schwall enttäuschten Glückshoffnungen, das zeigt sich hier zugleich – in Spannung – mit einem satirischen Panorama von Schule als Machtraum einer schier unauflöslichen Verstricktheit in allseitige Demütigung (die nunmehr auch auf Handyvideos zurückgreifen kann). Wenn etwa die Sportlehrerin Carrie in Schutz nimmt, so geschieht das nicht ohne drakonische, fast sadistische Rituale der Strafe für ihre Peinigerinnen.

Und die Neuverfilmung fügt auch manches hinzu: ein Mehr an Action, (Ton-)Effekten und Blut – gar nicht so sehr in der notorischen Duschszene, sondern rund um Julianne Moore als Mutter, etwa auch bei Carries Geburt, die wir hier in einer neuen Eröffnungsszene und einem Hauch von Prequel zu sehen bekommen. (Wenn’s denn sein muss …) Und da ist schließlich das Thema religiöser Fundamentalismus samt Zwangsaskese: 1976, noch kurz bevor mit Jimmy Carter die Religion Wiedereinzug in die große US-Politik hielt, da hatte diese Motivik etwas von Altbestandsgrusel, von verbissenem Nachwirken einer doch schon überwundenen Macht. Heute hat sie eine im schlechten Sinn ungesunde Aktualität.

Drehli Robnik

Dieser Text ist zuerst erschienen in der: www.filmgazette.de

Zu diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere Texte

 

 

Carrie
USA 2013 – 99 min.
Regie: Kimberly Peirce – Drehbuch: Lawrence D. Cohen, Roberto Aguirre-Sacasa, Stephen King – Produktion: Kevin Misher – Kamera: Steve Yedlin – Schnitt: Lee Percy – Musik: Marco Beltrami – Verleih: Sony Pictures – FSK: ab 16 Jahren – Besetzung: Chloë Grace Moretz, Julianne Moore, Judy Greer, Gabriella Wilde, Portia Doubleday, Alex Russell, Cynthia Preston, Michelle Nolden, Ansel Elgort, Skyler Wexler, Zoë Belkin, Connor Price, Max Topplin, Samantha Weinstein, Kim Roberts
Kinostart (D): 05.12.2013

 

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