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Der Bunker
In Nikias Chryssos’ bizarrem Kammerspiel "Der Bunker" wird ein namenloser Student mit Vater, Mutter und Klaus konfrontiert.
Irgendwo tief im verschneiten Wald liegt der Bunker. Man sieht ihn erst, wenn man direkt davor steht. Der namenlose Student, der sich im Bunker einquartiert, muss schnell erkennen: Den in der Anzeige versprochenen Meerblick gibt es nicht. Er schläft auf einer jämmerlichen Pritsche, sein Zimmer hat nackte Steinwände und noch nicht einmal ein Fenster. Wenn er aber gemeinsam mit seiner aus Vater, Mutter und Klaus bestehenden Gastfamilie am Esstisch sitzt, sieht alles so aus wie in einem x-beliebigen spießigen, deutschen Wohnzimmer.
Der Student, der eigentlich nur in Ruhe eruptiv Blatt nach Blatt mit Bleistiftgeschwurbel vollkritzeln will, wird als Hauslehrer eingespannt. Für Klaus, der später einmal Präsident werden soll, vorläufig aber noch nicht von der Mutterbrust entwöhnt ist. Von der auch der Student kosten darf. Abends gibt es Knödel und Witzeverlesung (samt Interpretation). Der Bunker ist eine Welt für sich. Die andere, große Welt da draußen ist trotzdem immer gegenwärtig, vermittels einer Weltkarte, die an der Wand hängt. Unter ihr ist ein Rohstock befestigt. Wenn Klaus die Hauptstädte, die ihm auf der Weltkarte gezeigt werden, nicht identifizieren kann, setzt es Prügel. Muttermilch und Rohrstock halten die familiäre Gemeinschaft zusammen. Die sich nun um ein Mitglied erweitert hat. Schnell wird deutlich, dass der Student nicht zum Aufklärer taugt; schon, weil dem speziellen Bunker-Zwangssystem mit Bildung am allerwenigsten beizukommen ist. Intellektuelle sind wir sowieso alle, stellt der Vater klar.
"Der Bunker" ist ein bizarres Vierpersonen-Kammerspiel, bei dem man mal an Giorgos Lanthimos’ Totalitarismusparabel "Dogtooth", mal an klaus(!)trophobische Horrorfilme wie William Friedkins "Bug" denken kann, das aber doch einen sehr eigenen Tonfall etabliert – und meine facebook-timeline bei mehreren Festivaleinsätzen im letzten Jahr nachhaltig in Verzückung versetzt hat. Auch wenn ich selbst da leider nicht aus vollem Herzen einstimmen kann, ist offensichtlich, dass im Debütfilm des jungen Regisseurs Nikias Chryssos mehr Wagemut steckt, als in ganzen Nominierungsjahrgängen Deutscher Filmpreise. Und auch mehr Stilwillen. Das beginnt beim grafisch durchgestylten Titelschriftzug und setzt sich in den Chryssos’ exakten framings, aber auch zum Beispiel in der effektvoll durchkomponierten Filmmusik (Leonard Petersen) fort.
Dass ich mit all dem nicht ganz glücklich geworden bin, hat damit zu tun, dass sich der Stilwille auch auf das Schauspiel überträgt. Alle vier Darsteller kultivieren mit einigem Aufwand Ticks, denen spätestens bei der dritten Wiederholung etwas Kabinettstückchenhaftes eignet. David Scheller als Vater kultiviert eine bayrische Stimmfärbung, mithilfe derer er herausragend passiv-aggressiv herumzukumpeln versteht; Oona von Maydell als Mutter kultiviert eine psychopatische Grundverkrampftheit, die sich gelegentlich als eine alternative Persönlichkeit namens Herrmann manifestiert; Pit Bukowski als Student kultiviert eine abgeschlaffte Egomanie, chargiert zwischen fahriger Genervtheit und ziellosem Enthusiasmus.
Eine Ausnahme ist der Klaus-Darsteller Daniel Fripan. Der kultiviert zwar besonders liebevoll gleich eine ganze Reihe von deutlich schwerer identifizierbarer Ticks; mal pult er verschämt an seinen Fingernägeln herum, mal verheddert er sich hilflos in seinem viel zu engen Schlafanzug, mal springt er wild gestikulierend mit herausgestreckter Zunge durch sein ein-Kind-Klassenzimmer. Allerdings ist er der einzige, bei dem sich diese Ticks nie zur Masche verfestigen und dessen Spiel etwas Ungeformtes behält. Überhaupt ist Klaus die interessanteste Figur des Films, in ihr kristallisieren sich die Stärken von "Der Bunker"; Chryssos’ Vermögen vor allem, abjektes Verhalten so darzustellen, dass es nicht in bloßer Skurrilität aufgeht, sondern nachhaltig verstört. Nur: Warum muss dieses Vermögen und auch Chryssos’ beachtliche formalistische Energie doch wieder nur gegen den schwachbrüstigsten aller Gegner, die bürgerliche Kleinfamilie, mobilisiert werden?
Wie dem auch sei – die deutsche Filmfamilie wollte mit diesem selbstbewussten und eigensinnigen Sprössling erst einmal nichts zu tun haben: Fördergelder hat Nikias Chryssos für sein Debüt keine erhalten. Indirekt ist "Der Bunker" dennoch öffentlich-rechtlich finanziert: Hans W. Geissendörfer hat in den Film, wie zuletzt schon in Arbeiten von Apichatpong Weerasethakul und Franz Müller, Teile seiner "Lindenstraße"-Millionen gesteckt. So bleibt alles im System. Aus dem deutschen Staatskinobunker gibt es kein Entkommen.
Lukas Foerster
Dieser Text ist zuerst erschienen im: www.perlentaucher.de
Der Bunker
Deutschland 2015 – 88 Min. – Kinostart(D): 21.01.2016 – FSK: ab 12 Jahre – Regie:
Nikias Chryssos – Drehbuch: Nikias Chryssos – Produktion: Nikias Chryssos –
Kamera: Matthias Reisser – Schnitt: Carsten Eder – Musik: Leonard Petersen
– Darsteller: Pit Bukowski, Daniel Fripan, Oona von Maydell, David Scheller
– Verleih: Drop-Out Cinema
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