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Buddenbrooks (1959)

 


 

1. Teil

Als der S. Fischer-Verlag sich lobend über die „Buddenbrooks" äußerte, folgerte Thomas Mann: „Also Größe trotz der Gipprigkeit", schriebs am 27. März 1901 an seinen Bruder Heinrich – und irrte sich gewaltig. Seine These wurde 58 Jahre später von einer Verfilmung des Romans widerlegt, welche gerade deswegen nicht groß ist, weil sie nicht gipprig ist. Aber nicht erst heute, sondern schon seit langem schätzen die Leser den Roman mehr wegen der detaillierten Sammlung und sorgfältigen Verarbeitung psycho-physiologischen Materials, das den Verfall der lübecker Kaufmannsfamilie dokumemtiert, als wegen großangelegter Szenen und dramatischer Wendepunkte. Und die kleinen Einzelheiten wirken auf den Leser umsomehr, als sie weder mit Ehrerbietung noch mit Spott ausgebreitet werden, sondern mit ironisch aufgehobener Ernsthaftigkeit, mit „Gipprigkeit".

Der Film spart die erste Buddenbrook-Generation aus und beginnt mit dem Entschluß der Tony Buddenbrook (Pulver), zum Nutzen der väterlichen Firma Herrn Grünlich (Graf) zu heiraten, obwohl sie den Studenten (Janson) liebt. Vom bösen Ende, Konkurs und Scheidung, bleibt der Vater verschont (Hinz), denn er wird vorher von einem Stein getötet, den der Pöbel nach ihm warf. Die Firma führt nun sein Sohn Johann (Felmy) weiter, der mit seiner frömmlerischen Mutter (Dagover) und seinem kuriosen Bruder (Lothar) seine liebe Not hat. Doch kehrt noch einmal das Glück ins Haus Buddenbrook ein, und zwar in Gestalt van Gerda (Tiller), der niederländischen Braut des jungen Prinzipals. Der Beginn ihrer Hochzeitsreise ist das Ende des ersten Teils.

Die Handlung ist in den wichtigsten Teilen erhalten; zwar gekürzt und verändert, aber das war erlaubt, Sehen wir also auf der Leinwand den Verfall der Familie Buddenbrook? Nein, aber stattdessen das Privatleben einer gleichnamigen Familie. Eine Greisin blättert in alten Alben, hält inne hier: „Deine Großtante als Oma", und dort: „Das bin ich vor 60 Jahren", und der Zuhörer fragt nicht warum, aus Respekt vor der Erbtante und weil ihn das alles gar nicht interessiert. Diesen fatalen Effekt erreichten die Verfilmer, indem sie ein Drehbuch konzipierten, in dem für die minutiös geschilderten Details und damit für die beklemmende Atmosphäre des Verfalls kein Platz geblieben war. Die Folge ist, daß die Aneinanderreihung von Familienereignissen zufällig wirkt und in den Film gerettete Einzelheiten frei im Raume schweben. Wie muß die Gratulation von Sesimi Weichbrodt, „Sei glöcklich, glöcklich, glöcklich!", albern erscheinen, da die Autoren versäumten, Sesimi mitsamt dem Wie und Warum ihrer eigenartigen Aussprache einzuführen. Der Kinogänger stutzt auch – mit Recht – über die überraschende Autorität, die während des Bankrotts der Bruder gegenüber der Schwester entwickelt; und über den überraschenden Tod des Vaters, der sich mit den revolutionären Arbeitern doch gerade vertragen hatte. Und doch sind diese Szenen originalgetreu, mit dem feinen Unterschied freilich, daß Drehbuchautoren die Generationen vertauschten: der Vater, nicht der Konsul, sondern sein Schwiegervater, unverträglich und über die Revolution bis zur Herzattacke empört, starb, so daß sein Tod nicht äußerlich zufällig, sondern innerlich begründet ist. Indem die sorgsam auf die verschiedenen Generationen abgestimmten Details durcheinandergeworfen werden, erscheint der Tod des Konsuls als Dolchstoß des Proletariats!

Den Widersinn des Drehbuchs verschlimmert die Regie. Wenn aus Ungeschick eine Szene (der Kniefall) gleich dreimal geboten wird, nämlich im Original und zwei gleichen Schilderungen, so hätte Weidenmann den dramaturgischen Fehler vertuschen können, indem er etwa Einzelheiten registrierte, so die verschiedenen, persönlichen Reaktionen der Darsteller. Aber nein, auch hier läßt er die Akteure in Posen erstarren, damit man genau zusehen kann, wie den Mündern Originalsätze entquellen; nur ein kleiner Schritt weiter und sie tuns tatsächlich, gedruckt und in Blasen: die „Buddenbrooks" als Comic Strip. Der Kitsch lauert hinter der nächsten Ecke, und In Travemünde ist es glücklich soweit. Aus dem linkischen Studenten, der dort auf dem Stein sitzt, „gewaltsam ironisch lächelt", leicht errötet, aber begeistert konkrete Ideen entwickelt (es jst 1845), aus ihm wurde ein Playboy letzter Masche, ein Beau, der hochnäsig Tony zu liebkosen weiß – weißgott ohne sich darüber „über die Maßen zu schämen". Auch die Filmzutat – Christian Buddenbrook singt den Schlager „That’s Maria" – wandert erst durch ihre stupide Gestaltung in den Klischeetopf. Eisenbrenners dümmlich untermalende Musik und das im allgemeinen stümprige Plattdeutsch verfälschen auf ihre Weise die noch vorhandenen wichtigen Einzelheiten. – Deswegen nimmt es nicht wunder, daß dem Film die Ironie, aber auch die in ihr sich ausdrückende Gesellschaftskritik fehlt. Thomas Mann, der den aufsteigenden kulturlosen Bourgeois ablehnte und – damals – mit dem ehrsamen Bürger des hanseatischen Patriziats sympathisierte, drückte seine Vorliebe gerade ironisch, mit halbem Herzen aus.

Weidenmann verhinderte nicht, daß die Stars Proben ihres (bekannten) Könnens abgaben, und zwar jeder für sich (Lüders’ Hochzeitsrede), Felmy war von vornherein fehl am Platze; er hätte eher für die Rolle des Herrn Grünlich gepaßt. Wenn Liselotte Pulver für die Rolle der Tony auch allzu quick war, so bietet sie doch im allgemeinen Fiasko Halt und Augenweide.

Was lange währte, wurde nicht endlich gut. Weidenmann hat es nicht geschafft. Sein entkeimtes, normiertes und unsorgfältiges Produkt wird möglicherweise zu peinlichen Vergleichen herausfordern, wenn die Defa die „Buddenbrooks" in den nächsten drei Jahren – so lange hat sie die Rechte – sachgerecht verfilmen sollte.   


2. Teil

Es geht abwärts mit der Familie Buddenbrook. Tonys (Pulver) neue Ehe wird geschieden; Christian (Lothar) landet im Sanatorium; Thomas (Felmy) muß mit ansehen, wie seine Frau (Tiller) sich mit dem schönen jungen Leutnant (Fuchs) abgibt; die Konsulin (Dagover) wird vom Tod ereilt, dann der kleine Johann, dann – mitten im Senatoreneid – Thomas Buddenbrook, dann warens nur noch … – Auf das Schema der zehn kleinen Negerlein reduzierte der Film den mannschen Roman, indem er einerseits geschichtliche Verknüpfungen (der Bau der hamburg-lübecker Eisenbahn, der preußisch-österreichische Krieg, der Kampf gegen die Sozialdemokratie) sorgfältig auflöst und andererseits in seinem Bemühen, den Kinofreund zu schonen, so weit ging, daß er ihm zuliebe die Zahl der einzeln zu ziehenden Wurzeln von Thomas’ Unglückszahn von vier auf drei vermindert. — Wenn trotzdem, anders als im 1. Teil (Fk 12/59), großbürgerliche Atmosphäre entsteht, ist dies nicht zuletzt den Darstellern zu danken, abgesehen von Felmys Felmyblick. 

Dietrich Kuhlbrodt

 

Diese Texte sind zuerst erschienen in: filmkritik 12/1959 und 1/1960

Zu diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere Texte

 

 

 

Buddenbrooks I. und II. Teil

BR Deutschland – 1959 – 99/107 min. – schwarzweiß – Verleih: Europa, Arthaus (Kinowelt Home) (Video)

Erstaufführung: 11.20.11.1959/15.,17.3.1965 ZDF/28.30.11.1971 DFF 1/Januar 2000 Video – Produktionsfirma: Filmaufbau -Produktion: Hans Abich

Regie: Alfred Weidenmann

Buch: Erika Mann, Harald Braun, Jacob Geis

Vorlage: nach dem Roman von Thomas Mann

Kamera: Friedl Behn-Grund

Musik: Werner Eisbrenner

Schnitt: Caspar van den Berg

Darsteller:

Liselotte Pulver (Tony)

Nadja Tiller (Gerda)

Hansjörg Felmy (Thomas)

Lil Dagover (Konsulin)

Werner Hinz (Konsul)

Hanns Lothar (Christian)

Rudolf Platte (Herr Wenzel)

Günther Lüders (Corle Smolt)

 

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