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Brüno
Sacha Baron Cohen schickt in seinem neuen
Film "Brüno" einen schwulen österreichischen Modejournalisten
durch die Welt und beweist dabei wenig bis nichts
Nur zu Beginn ist Brüno das, was
die Schatten, die die PR-Maschine vorauswarf, verhießen: ein schwuler
österreichischer Modekritiker, der mit gezielter Unbeholfenheit die Laufstege
Europas unsicher macht. Der, spektakulärstes Beispiel, als Farbkissen mit
schwarzem Vorhang-Cape in eine Modenschau platzt bzw. unter die Models buchstäblich
fällt. Die bessere Gesellschaft am Rande des Laufstegs ist erwartbarer
Weise entsetzt. Die Welt der Mode ist der Satire der unfeinen Art, die Sacha
Baron Cohen bevorzugt, kaum zugänglich. Wo erklärtermaßen alles
Schein ist, gibt es nichts zu entlarven. Der Spaß, den es bereitet, einen
wie Brüno in diese feine und dumme Gesellschaft brachial hineinplatzen
zu sehen, hält sich darum in Grenzen.
Rasch ist diese Episode denn auch vorbei.
Brüno aber ist ein Mann polymorph perverser Identitäten und begibt
sich an anderer Stelle auf die Suche nach seinen fünfzehn Minuten des Ruhms.
Er fliegt nach L.A. und setzt Paula Abdul auf einen zum Stuhl-Ersatz umfunktionierten,
auf alle Vieren befindlichen Mexikaner. Von Harrison Ford bekommt er ein herzliches
"Fuck You" zu hören. Da sind wir schon in der TV-Show, die Brüno
einem Test-Publikum vorsetzt. In dieser Show gibt’s Geschmacklosigkeiten wie
den Rat an Britney Spears’ Schwester, das Kind, mit dem sie schwanger ist, wegen
absehbar mangelnder Prominenz abzutreiben. Und dann kreist und wippt noch, mutmaßlich
body-gedoubelt, in Großaufnahme der Schwanz von Brüno und sagt sogar
was. Das Testpublikum für die TV-Show ist erwartbarerweise entsetzt.
Weiter geht’s zum Nahostkonflikt, den
Brüno zu Nutz und Frommen des eigenen Ruhms lösen will. Er setzt Kontrahenten
an den Tisch, singt ein Lied, nimmt ihre Hände, verulkt in schwul/orthodoxem
Cross-Dressing die Orthodoxen, wird gejagt, bringt der Welt nicht den Frieden
und kehrt über Afrika nach L.A. zurück. Aus Afrika eingeführt
werden Elfenbein und der Fuß eines Elefanten, aber auch ein schwarzes
Kind. Mit dem geht Brüno als alleinerziehender schwuler Vater in eine Krawall-Talkshow
mit afro-amerikanischem Publikum. Als er erklärt, dass er seinen Sohn im
Tausch gegen einen iPod erworben hat, als er hinzufügt, dass das Kind den
schönen afro-amerikanischen Namen OJ trägt, ist der verbliebene Rest
des Publikums erwartbarerweise entsetzt.
Kurz gesagt: "Brüno" hat
ein paar lustige Stellen, funktioniert insgesamt aber nicht. Das hat strukturelle
Gründe. Ohne eine überzeugende Antwort nämlich auf die Frage,
was die lustvoll tabuverletzende Brachialkomik von Sacha Baron Cohen bezweckt,
wäre diese nicht mehr als eine Nummernrevue, die mit dem Gelingen einzelner
Szenen mal steht und mal fällt. Ohne eine solche Antwort wäre, schlimmer
noch, die Tabuverletzung nichts weiter als ein Mittel zum Zweck der Belustigung,
der dann die Überschreitung aller Geschmacksgrenzen heiligt. Gewiss liegt
in aller Überschreitung immer auch ein Moment der Befreiung. Allerdings
hinterlässt Cohen – mutmaßlich –
ehrlich verletzte Menschen. Man muss ihre Verletzungen ganz sicher nicht
teilen. Dennoch bräuchten sie, um die Instant-Verurteilung zu rechtfertigen,
der Cohen und Regisseur Larry Charles sie überantworten, doch etwas wie
eine faire Chance.
Die bekommen sie nicht. Anders als in
"Borat", wo knifflige Fragen des Umgangs
mit kultureller Differenz im Modus der Groteske verhandelt wurden, ist in "Brüno"
alles von vorneherein klar. Die Brüno-Figur bringt immer nur ans Licht,
was sie voraussetzt: dass Schwulenhass böse, dass die Gier nach Ruhm lächerlich,
dass humanitäres Engagement oft bigott ist. An keiner einzigen Stelle des
Films wird man von irgendwas, das man sieht, ernstlich überrascht. Solange
Cohen und Charles sich nämlich beharrlich weigern, die Vorführ-Bedingungen
der einzelnen Szenen zu offenbaren, muss man immer alles für möglich
halten. Indem sie den Status des Films zwischen Dokumentation und Fiktion so
ganz bewusst im Unklaren halten, machen sie die Beurteilung des Verhaltens der
vorgeführten Personen schlicht unmöglich. Wo alles manipuliert sein
kann, wird sich nicht zuletzt der Zuschauer selbst manipuliert fühlen müssen.
(Sacha Baron Cohens Trick: Er verkauft uns auch und gerade diese Manipulation
noch als Aufklärung.)
Cohen und sein Doku-Komödien-Miterfinder
Charles wollen in Wahrheit nur eins: den "money shot". Dieser, die
Einstellung also, die ihr Geld wert ist, sieht immer gleich aus: entsetzt aufgerissene
Augen und Münder. Diese "money shots" sind, so wie "Brüno"
sie zeigt, nur in einer Weise lesbar: Hier ist mal wieder jemand dem Agenten
der Überschreitung nicht gewachsen. Man kann in "Brüno"
deshalb nur über zwei Dinge lachen. Über die Faxen und den Tabu-Verletzungs-Einfallsreichtum
der "Brüno"-Figur zum einen. Das ist die "unschuldige"
Slapstick-Seite, die aber dummerweise ihre Unschuld fast durchweg wieder verliert.
Weil man in Wahrheit nämlich vor allem über die lachen
soll, die das, was Brüno da aufführt, alles andere als komisch finden.
Und weil Cohen und Charles einem das eine und das andere Lachen auf untrennbare
Weise ineinander vermischt servieren, kann einem der Spaß an der Sache
sehr schnell vergehen.
Ekkehard Knörer
Dieser Text ist zuerst erschienen am 08.07.2009 im: www.perlentaucher.de
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Brüno
USA 2009 – Regie: Larry Charles – Darsteller: Sacha Baron Cohen, Richard Bey, Ron Paul, Alice Evans, Trishelle Cannatella, Sandra Seeling, Alexander von Roon, Paula Abdul, David Hill, Ben Youcef, Amy Tiehel – FSK: ab 16 – Länge: 81 min. – Start: 9.7.2009
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