zur startseite
zum archiv
Bronsteins
Kinder
Abgang
hinten rechts
In Erfüllung des öffentlich-rechtlichen
Bildungsauftrags hat das ZDF den Film »Bronsteins Kinder«, ein tragisches
Bewältigungstheater, für einen zweifellos nächtlichen Einsatz
erworben. Langes Zuwarten wird dieser melodramatischen Politfabel jedoch nicht
guttun
Der Film »Bronsteins Kinder«,
der demnächst in die Kinos kommt, ist zwei Jahre alt und somit ein Stück
kulturelles Erbe der Defa-Zeit. Aus ihm lernen wir, daß die Vergangenheitsbewältigung
auf erschütternde Weise scheitert, wenn sie als Selbstjustiz betrieben
wird. Bewältigt werden soll der Nationalsozialismus, weshalb die Filmhandlung
denn auch modellhaft in der vergangenen DDR angesiedelt wird, genauer: im Jahr
1973, in dem Walter Ulbricht starb. Wie aber bewältigen wir einen Film,
der uns das Scheitern vorführt?
Vor knapp 20 Jahren. Berlin, Hauptstadt
der DDR. Ein Judenfriedhof. Unter frommen Gesängen wird ein Sarg ins Grab
gelassen. Bedeutungsschwer kucken sich die Trauergäste an. Wieder und wieder.
Sie wollen etwas sagen. Aber was? Wir sehen: Da wird etwas für uns inszeniert.
Wir werden etwas lernen sollen. Und schon beginnt eine off-Stimme zu dozieren.
Die Spannung steigt, denn schon wissen wir zwar, daß etwas Bedeutsames
geschehen ist, wir wissen allerdings nicht, was. Die Neugier, falls sie denn
hervorgerufen worden sein sollte, befriedigt die anschließende Rückblende.
In wohlgesetzten Worten behauptet der Sprecher, wir wohnten der Austragung eines
jüdischen Generationenkonflikts bei.
Debut-Star Matthias Paul signalisiert
gestisch, mimisch und verbal gleich zweierlei, nämlich erstens, daß
er die Hochschule für Schauspielkunst »Ernst Busch« absolviert
hat, zweitens, daß er den Judenjungen Hans spielt. Angela Winkler zitiert
und zelebriert erstens ihre eigene Vergangenheit in den Filmen »Die
verlorene Ehre der Katharina Blum«
(1975) und »Heller Wahn« (1982), zweitens mimt sie die in einer
psychiatrischen Klinik stationär versorgte Bronstein-Tochter Elle. Die
Film-Geschwister beraten über ihren Vater Arno. Dieser ist nicht nur ein
Profistar mit Weltniveau (Armin Mueller-Stahl), sondern Film-Opfer des Faschismus
(KZ Neuengamme) und außerdem ein Vater, der seine Tochter im Krankenhaus
nicht besucht und seinem Sohn das Sekttrinken auch dann verbietet, wenn das
Abitur gefeiert werden soll.
Was ist los mit Vater Bronstein? Er ist
mit der Ausübung von Selbstjustiz überfordert. Zusammen mit zwei Rentnern
hat er einen ehemaligen »Aufseher« des KZs Neuengamme (Rolf Hoppe)
entführt und versucht, ihn in tagelangen verschärften Vernehmungen
zu einem Geständnis zu bringen. Mit gebotener Zurückhaltung zeigt
der Film, wie der Täter von einst mißhandelt und ein wenig gefoltert
wird. Abstoßend sind diese Szenen nicht, denn was den Zuschauer überwältigt,
ist die große Kunst der Maske (Fredy Arnold) und des Schauspiels (Hoppe).
Außerdem: Wer unter diesen Mißhandlungen am meisten leidet, das
ist Vater Bronstein selbst, der alte Jude. Der Prozedur nicht gewachsen, greift
er zum Weinbrand, läßt den Pufferkuchen liegen, faßt sich ans
Herz und bricht entseelt neben dem entführten Ex-Aufseher zusammen. Da
stürzen helle Tränen aus des Sohnes Augen, wie wild feilt er die Handschellen
des Peinigers von Neuengamme auf, obwohl der tote Vater doch die Schlüssel
in der Tasche trägt und der Entführte ihn auf diesen glücklichen
Umstand ausdrücklich hinweist. Nein! Die Emotion ist stärker als der
Verstand. Und deswegen, so die Botschaft des Films, kann die Vergangenheit ‘objektiv’
nicht bewältigt werden.
Jurek Becker (»Jakob, der Lügner«)
hat seinen Roman unter Verzicht auf ironische Untertöne in eine Drehbuchfassung
gebracht, in der Worte und Personen sich gegenseitig dementieren. Wenn man weder
den einen noch den anderen zu glauben vermag, dann mag das daran liegen, daß
Regie-Altmeister Jerzy Kawalerowicz (70) – 1960 drehte er seinen berühmtesten
Film »Mutter Johanna von den Engeln« – durch eine gradezu verzweifelte
Häufung von Schauspieler- und Kamerabewegungen in das weitgehend aktionslos
angelegte Kammerspiel hineinzuregieren versuchte. Mit anderen Worten: Der hochverdiente
Regisseur war der erste, der dem Bewältigungsmelodram den Glauben verweigerte.
Um den rechten Glauben aber geht es dem
Film – um Freund, Feind und Parteilichkeit als Voraussetzung zu gerechten (nicht:
objektiv richtigen) Entscheidungen. »Du sollst mich nicht wie einen Feind
behandeln!«, mahnt Hans seinen Vater.
Doch dieser wird sehr deutlich: »Du bist mein Feind«, beharrt er,
denn der Junge hat zwar pflichtgemäß darüber nachgedacht, »zu
wem ich gehöre«, aber nicht die Unart aufgegeben, »objektiv
zu sein, statt Parteilichkeit zu zeigen: Zorn auf Lumpen und Mörder«.
Beleidigt rauscht Vater Bronstein aus der Kulisse (Abgang hinten rechts).
Nun hätte diese Auseinandersetzung
die Möglichkeit geboten, dem Film sein Thema wiederzugeben, denn auch der
generationenalte Streit über die Priorität der Organisationsfrage
bedarf der Fortführung. Die Dialoge dieses Films sind den Personen jedoch
so beliebig zugeschoben, daß Gedankengänge darstellerisch kaum fixiert
werden können. Vater Arno, so autoritär er gezeigt und gespielt wird,
ist der erste, der nicht weiß, zu wem er gehört. Er will zum Beispiel
kein Jude sein. »Sie sind eine Erfindung«, sagt er, »und besessen,
sich in die Rolle der Juden zu fügen. Sie würden sich wehren, nähme
man ihnen diese Rolle weg.«
Kawalerowicz hat diesen Spruch wörtlich
genommen und zeigt in einer eingeschobenen Film-in-Film-Szene Komparsen, die
in einem Neuengammefilm jüdische Opfer spielen. Jüdische Komparsen
spielen wie besessen jüdische Opfer. – Sohn Hans findet das Verfahren unausgewogen:
»Wenn die Opfer von Juden gespielt werden, dann müssen SA- und SS-Leute
von ehemaligen SA- und SS-Nazis gespielt werden.«
Parteilichkeit als Rollenspiel?
Der Rollen-Jude Bronstein sen. gibt jedoch
noch weiteren Anlaß, sich mit der Frage zu beschäftigen, wes Freund
er eigentlich sei. Auf die naheliegende, von Hans gestellte Frage, warum er
denn die Vernehmung des KZ-Schergen und die Ahndung der Verbrechen nicht den
zuständigen sozialistischen Organen, nämlich der DDR-Justiz überlasse,
antwortet er: »Weil es keine Gerichte gibt, die wir für anständig
halten können.« Sein Sohn gibt
daraufhin zweierlei zum besten: 1. »Die DDR geht mit ehemaligen Nazis
hart ins Gericht.« 2. »Sie ist ein Land,
in dem die Gerichte einen Dreck wert sind.«
Dann verlassen beide in entgegengesetzten Richtungen das Motiv (Abgang hinten
links und hinten rechts).
Damit ist das Thema der antifaschistischen
Solidarität erschöpft. Fazit: Es gibt sie nicht. Aber hat Hans in
seinen Antrag auf Zulassung zum Studium der Philosophie nicht reinschreiben
können: Opfer des Faschismus? Ist er etwa »zu stolz«, diese
Rolle anzunehmen? Verzichtet er lieber auf die Zuweisung einer Wohnung? Und
schon verliert der Film sich wieder in der sehr fragmentarischen Beschreibung
eines Bildungsweges, ohne daß daraus eine Rolle würde.
Günstigstenfalls ließe sich
zu »Bronsteins Kinder« sagen, daß er Protagonisten zeigt,
die nicht in der Lage sind, Gedanken zu fassen. Bronsteins Tochter sitzt in
der Tat im Irrenhaus. Das antifaschistische Motiv: Entführung, Volksgefängnis,
Selbstjustiz – es wird in diesem Trauerspiel bloß angeschlagen und rasch
abgetan. Das Verhör des Neuengamme-»Aufsehers« in der brandenburgischen
Datscha reduziert sich auf den Spleen psychotischer Rentner, die Auseinandersetzung
mit der Nachkriegsgeneration auf Konversation über individuelle Befindlichkeiten.
Zeitliche Datierung und örtliche Fixierung dieses Film
sind zwei seiner zahlreichen Behauptungen, denen es an jeder Begründung
fehlt. Müssen die Rentner zur Selbsthilfe greifen und den Schergen gefangennehmen,
weil Ulbricht im Fernsehen eine aktive Friedenspolitik propagiert, weil die
dem Wesen des sozialistischen Staates entspreche? Oder schimpft der Sohn seinen
Vater einen »Wichtigtuer«, weil Brandt abtreten muß, nachdem
ihm ein Spion von der DDR ins Nest gesetzt worden war?
Je abstruser die Bezüge werden, desto
wahnhafter gerät die Do-it-yourself-Justiz der drei jüdischen Neuengamme-Opfer.
Statt dazu aufgefordert zu werden, politische oder moralische Komplikationen
zu bedenken, wohnen wir einem Sadomasospiel bei. Dabei wäre es von brennender
Aktualität gewesen, mittelbar Auskünfte etwa über jene Art Notprozeß
zu erhalten, wie ihn 1947 zwei Antifaschisten in einem sowjetischen Kriegsgefangenenlager
einem Stabsrichter gemacht hatten, der mehr als 170 sowjetische Partisanen,
Zivilisten und Wehrmachtsdeserteure zum Tode verurteilt hatte. Damals folgte
dem Verhör und Geständnis des Stabsrichters konsequenterweise seine
Verurteilung und Hinrichtung. 45 Jahre später ist deswegen in Hamburg einer
der vermeintlichen Täter wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe
verurteilt worden (s. den Beitrag: Eine Rechnung wurde beglichen, in diesem
Heft S. 28ff). – Wie gern hätten wir von »Bronsteins Kinder«
etwas über die Notwendigkeit erfahren, die Antifaschisten dazu trieb, in
einem Lager oder in einem Volksgefängnis Mörder zu verurteilen und
hinzurichten. Statt dessen erfahren wir etwas
vom psychotischen Schub dreier isolierter alter Männer. Ganz ähnlich
hat das 1992 die Große Strafkammer 22 des Landgerichts Hamburg gesehen.
Die Logik des Films besagt: Das Treiben
der Entführer ist verständlich, denn sie sind Betroffene. Gleichzeitig
aber fordert er, dem Treiben der Entführer ein schnellstmögliches
Ende zu bereiten. Die eine Hinrichtung barmherzig verhindernde Rolle ist Bronsteins
Sohn zugeschoben worden. Umfassend informiert er sich an Hand eines Lexikonartikels
über das KZ Neuengamme; der Text wird ein Dutzend Sekunden vor die Kamera
gehalten, zu kurz zum Lesen, schade, denn es war die einzige Information. Dann
greift Hans zu den Eisenfeilen und beginnt zu sägen, um das Opfer, d.h.
den ehemaligen Neuengamme-Täter, zu befreien. Recht so! Hans, der Säger,
stellt die verlorengangene Harmonie wieder her, die Emotionen gehen hoch, richtet
er sich doch gegen den eigenen Vater, aber da perlen schon die angenehmsten
Tonfolgen vom Pianoforte und bestätigen die Richtigkeit seines Handelns.
Was wir in der eindringlichen, hochkünstlerischen
Darstellung des Gefangenen Rolf Hoppe sehen, ist das mitleiderheischende Leiden
einer geschundenen Kreatur. Was dabei ausagiert wird wird, ist aufkeimende Sympathie
mit dem »Aufseher«, der zum Opfer wurde. Was wir nicht sehen, sind
die Opfer im KZ Neuengamme; die Komparsen, die uns in der Film-in-Film-Einblendung
vorgeführt werden, präsentieren sich wohlgenährt und in frisch
gestärkten Schürzen. Ja, was bleibt denn da überhaupt noch an
Vergangenheit zu bewältigen, wo es doch nurmehr um Komparsen, Film- und
Film-in-Film-Rollen geht? Der Scherge von einst ist gar nicht mehr der Täter,
sondern nur noch Opfer. Hans, säg ihn frei! Und schlepp die Vater-Leiche
aus der Datscha! Und lieb Deine Martha (Katharina Abt, »Derrick«,
»Die Schwarzwaldklinik«, »Tatort« usw.).
Die Opfer des Faschismus, frühsenile,
fette, schwitzende Rentner, torkeln durch Brandenburgs Kiefernwälder, betrunken,
einer fixen Idee folgend, die mal eine antifaschistische war. Optisch eine ausgesprochen
unappetitliche Angelegenheit. Wie knackig dagegen die Nachkommen! Ein filmlanges
Lächeln auf den Lippen nimmt Bronstein-Sohn Hans die Hürden in der
Schule (Abitur), vor der Datscha (1,50 m hoher Stakett-Zaun), im Privatleben
(Martha) und in der 1973er-Disco am Bahnhof Alexanderplatz (Höhepunkt:
die Blue Jeans). Den optischen Sympathien stehen die leerlaufenden, in Ohnmacht
und Ausweglosigkeit mündenden, eher depressiven Dialoge gegenüber,
durch die sich auch die jugendlichen Helden quälen müssen.
Insgesamt also ein verklemmter Film, ein
pseudoantifaschistisches Trauerspiel, ein verkorkster Schlußstrich unter
die Bewältigungsversuche der NS-Vergangenheit, aber ein Film für das
Landgericht Hamburg und für den Zeitgeist sowieso. Hans, der Säger
– wen setzt er als nächsten frei? Mielke? Honecker? Wenns ihm nur ums Menschliche
geht, wirds dem schlichten Gemüt nicht gelingen, da Unterschiede zu machen.
Nur Mut also!
Dietrich Kuhlbrodt
Dieser
Text ist zuerst erschienen in: Konkret 07/92, S. 50
Bronsteins
Kinder
BR
Deutschland – 1990 – 90 min. – Verleih: Tobis – Erstaufführung: 5.12.1991
– Produktionsfirma: Nova – Produktion: Otto Meissner
Regie:
Jerzy Kawalerowicz
Buch:
Jurek Becker, Jerzy Kawalerowicz
Vorlage:
nach einem Roman von Jurek Becker
Kamera:
Witold Sobocinski
Schnitt:
Helga Olschewski
Darsteller:
Matthias
Paul (Hans Bronstein)
Armin
Mueller-Stahl (Aaron Bronstein)
Angela
Winkler (Elle Bronstein)
Katharina
Abt (Martha Lepschitz)
Rolf
Hoppe (Gefangener)
zur startseite
zum archiv