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Brötzmann – Da gehört die Welt mal mir
Im Sommer 2010 gab die legendäre Noise-Rock-Gruppe Caspar Brötzmann
Massaker in Originalbesetzung nach 14 Jahren wieder ein Konzert – im legendären
Berliner Club „Berghain“. Der Filmemacher Uli M. Schueppel, der die einflussreiche
Band in den 1980er-Jahren noch live erlebt hatte, erhielt Gelegenheit, das Konzert
zu dokumentieren. Schueppel nutzte die Gelegenheit, den introvertierten Musiker
Brötzmann persönlich näher kennen zu lernen. Anders als in herkömmlichen
Musikerporträts wollte er freilich die Konzertaufnahmen nicht mit Archivmaterial,
Statements von Wegbegleitern und Brötzmann-Fans wie Sonic Youth oder Rammstein
kontextualisieren, sondern lieber mit Brötzmann zusammen dessen Inneres,
seine Seelenlandschaften, erkunden, um herauszufinden, wo diese Musik wohl gründet.
Das Resultat der sehr diskreten und zurückhaltenden Recherche Schueppels fällt unbefriedigend aus. Pointiert formuliert: Weniger Brötzmann und mehr Schueppel hätten dem Film ausgesprochen gut getan. Der Regisseur und sein Kameramann Cornelius Plache schaffen für Brötzmann visuelle Räume – am Meer, im Wald, am Lagerfeuer, im Ruderboot –, lassen ihn dort aber allein. So muss Brötzmann mit geschulterter Gitarre über die Felder laufen oder am Meer Steine sammeln, wobei er über „innere“ Gärten philosophiert und von der kleinen Stille im großen Lärm schwärmt. Bedeutungsvoll rezitiert er seine nicht sonderlich originellen Texte („Kante geben oder Kurve kriegen?“) und erinnert sich, wie sein Großvater einst seine Existenz mit Metallverarbeitung begründete und damit Lärm im Wuppertaler Elternhaus allgegenwärtig war.
Dieses filmische Konzept würde vielleicht sogar aufgehen, wenn Brötzmann sich nicht vor Längerem vom Musikgeschäft zurückgezogen hätte. So aber läuft der Film, der darauf vertraut, dass die Informationen über den Künstler und seine Kunst ohnehin im Netz abrufbar sind, sehr privatistisch ab. Das führt dazu, dass Brötzmann, der sehr introvertiert, nachdenklich und durchaus sympathisch wirkt, sich in eher prätentiösen Settings wiederfindet, die er mit seinen Reflexionen nicht so recht zu füllen weiß. Bisweilen scheint es fast interessanter, was gerade nicht thematisiert wird. So fragt man bei den Passagen mit dem Großvater und der Kindheit in Wuppertal intuitiv, warum der Name des berühmten Vaters und Jazzmusikers Peter Brötzmann kein einziges Mal fällt. Hier lägen interessante Themen nahe, etwa nach dem Verhältnis von High-Energy-Free Jazz (des Vaters) und dem zäh dahinfließendem Noise-Rock (des Sohns). Werden da verwandte Energien abgerufen? Oder: Warum ist der schwer existentialistische „Mauerstadt“-Rock, der ja seine Nähe zu den Einstürzenden Neubauten nie verhehlt, so schlecht gealtert?
Wiederholt betont Brötzmann, dass er sich verändert habe,
dass es ihm jetzt besser gehe und er eigentlich sehr viel Spaß habe,
obschon ihn viele für einen Melancholiker hielten. Dabei blickt er in die
Kamera, als würde er gleich in Tränen ausbrechen. So scheitert der
Film nicht nur am unverstellten Kunstwillen des Filmemachers, sondern auch,
weil er eine Nähe suggeriert, die nicht eingelöst wird. So bleibt
das größte Rätsel des Films wohl ungelöst: Warum hat Caspar
Brötzmann dem Filmemacher dieses Geraune durchgehen lassen? Die naheliegende
Antwort wäre eine große Enttäuschung.
Ulrich Kriest
Dieser Text ist zuerst erschienen in: film Dienst
Brötzmann – Da gehört die Welt mal
mir
Deutschland 2012 – Regie: Uli M. Schüppel – Mitwirkende: Caspar Brötzmann,
Eduardo Delgado Lopez, Danny Arnold Lommen – Länge: 75 min. – Start: 20.9.2012
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