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Briefe an Julia
Liebe, Shakespeare, Verona – Hauptsache Italien! So könnte
das Motto dieses Sommerfilms lauten, in dem Amanda Seyfried und Vanessa Redgrave
diverse amouröse Verstrickungen durchleiden dürfen.
Liebeskummer kann man bei Doktor Sommer in der »Bravo«
loswerden, man kann aber auch nach Verona fahren und einen Zettel an der Mauer
des Palazzos anbringen, in dem Shakespeares unglückliche Heldin gewohnt
haben könnte. Ein Team von lebenserfahrenen Damen beantwortet jedes Briefchen
handschriftlich, einfühlsam und tröstlich.
Dass sich eine Dramenfiktion an ihrem erdachten Schauplatz
real einnistet, die düstere Romantik Shakespeare’scher Dimension fix ins
positive Liebescoaching gewendet wird und jede (es sind ausschließlich
Briefschreiberinnen) ein Happy End in Aussicht gestellt bekommt, ist einem jener
profitablen Mythen des Alltags zuzurechnen, die tüchtige Tourismusmanager,
Medienfüchse und Pseudopsychologen in die Welt setzen. Egal ob Verona tatsächlich
ein Büro für Liebeskummer unterhält, es entstand ein Urlaubsbestseller
darüber und nach der Logik der Verwertungskette ein Star-Vehikel fürs
Sommerkino.
Amanda Seyfried, die aktuelle jugendliche Liebhaberin,
und Vanessa Redgrave, deren Senioren-Pendant, begegnen einander in Verona und
tun sich zusammen zu einer Reise auf den Spuren der verlorenen Zeit. Gary Winicks romantische Komödie „Briefe an Julia“ appelliert hemmungslos
an die Marke Italien, gleichbedeutend mit weit geschwungenen Toskana-Landschaften,
alten fußläufigen Städten, holzgetäfelten Interieurs, rustikalen
Weinkellern und warm ausgeleuchteten Käsereien, nicht zu vergessen die
noblen Palazzi und restaurierten Natursteinhotels am Wegesrand. Kein schnöder
Flipflop in Sicht, keine Industriezonen – Italien als perfektes Auslaufgebiet
für Menschen, die die Liebe suchen.
Sophie (Amanda Seyfried) eine New Yorker Jungjournalistin,
erledigt ihre Recherchen per Handy im Park mit der Brezel in der Hand und wird
dafür vom Chef des »New Yorker« gelobt. Ihr Liebster Victor,
ein infantiler Zappelphilipp, will ein Restaurant eröffnen und kostet dafür
Leckerbissen vor, die er in echten italienischen Traditionsbetrieben bestellen
will. Noch nie sah man Gael Garcia Bernal derart verspannt und affektiert wie in
den Kurzauftritten als Victor; »unglaublich«, »fantastisch«
lautet sein hektisches Mantra zu Italiens Küche. So macht sich die vernachlässigte
Sophie in Verona allein auf den Weg, findet das wundersame Hinterhofambiente
der Briefschreiberinnen, klinkt sich in den feenhaften Beratungsdienst ein und
entdeckt in einer Mauerspalte das fünfzig Jahre alte Geständnis der
Britin Claire, die im Begriff war, vor Italien und ihrer großen Liebe
davonzulaufen.
Nun also die zweite Chance: Die alte Dame erscheint,
nachdem Sophie ihren antiken Liebeskummerbrief beantwortet hat. Im Schlepptau
ihren Enkel, den blonden Sportsmann Charlie (Christopher Egan), der mit ›stiff upper lip‹ den indignierten Engländer herauskehrt, am Ende
aber – man ahnt es – die einzig wahre Balkonszene hinlegt. Vanessa Redgraves
seltsam verklemmtes Augenrollen kommt gegen Amanda Seyfrieds authentische Krokodilstränen kaum an. Das Beste aber an diesem kalkulierten Filmbonbon
ist Franco Nero, Redgraves Ehemann im Leben und hier das souveräne Objekt
der Begierde. Er reitet tatsächlich zu Pferde ins Bild.
Claudia Lenssen
Dieser Text ist zuerst erschienen in: Strandgut
Briefe an Julia
(Letters to Juliet)
USA 2009
Regie: Gary Winick;
Darsteller: Amanda Seyfried (Sophie), Vanessa Redgrave
(Claire), Gael Garcia Bernal (Victor), Christopher Egan (Charlie),
Franco Nero (Lorenzo) u.a.;
Drehbuch: José Rivera, Tim Sullivan; Produktion:
Ellen Barkin, Mark Canton, Eric Feig, Caroline
Kaplan, Patrick Wachsberger; Ausführende Produktion: Ron Schmidt; Kamera:
Marco Pontecorvo; Musik: Andrea Guerra;
Länge: 105 Minuten; FSK: ohne Altersbeschränkung;
ein Film im Verleih von Concorde Film; deutscher Kinostart: 19. August 2010
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