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Borgman
Der Gast, ein böser Zauberer
Es ist so eine Sache mit dem Fremden, der plötzlich auf der Türschwelle
erscheint und um Einlass bittet: Gewährt man ihm den forschen Wunsch nach
Nahrung und Unterkunft, lässt man das Unbekannte und potentiell Zerstörerische
in das eigene Reich ein. Wehrt man ihn hingegen mit (verbaler oder körperlicher)
Gewalt ab, erscheint er vielleicht nur wenig später in anderer, noch unangenehmerer
Form. Über diese Tücken der Gastfreundschaft hat der niederländische
Regisseur Alex van Warmerdam mit "Borgman" einen meisterhaften Film
gedreht, unmöglich kategorisierbar zwischen Drama, schwarzer Komödie,
Mystery und blankem Horror pendelnd.
Der titelgebende Borgman ist auf den ersten Blick ein verwahrloster Landstreicher, der eines Tages vor der Haustür einer reichen Familie steht und um Essen und eine Dusche bittet. Zuvor zeigte bereits eine mysteriöse Eröffnungssequenz, wie er von drei bewaffneten Männern (darunter ein Pfarrer) aus einem unterirdischen Versteck gejagt wird. Auch der reiche TV-Produzent, der Besitzer des modernen, sterilen Hauses, will Borgman zunächst nicht einlassen, schließlich – als Borgman behauptet, seine Frau zu kennen – verprügelt er ihn sogar brutal. Die Ehefrau erkennt den bärtigen Streuner zwar nicht wieder, scheint aber von Beginn an auf merkwürdige Weise von ihm angezogen. So gewährt sie ihm, ohne das Wissen ihres Mannes, schließlich doch eine Unterkunft im Gartenhäuschen des luxuriösen Anwesens.
Was dann geschieht, lässt sich schwer in Worte fassen: Die Anwesenheit des zwielichtigen Borgmans lässt die unterdrückten und unausgesprochenen Konflikte der Familie zunächst zu Tage treten, nur um sie daraufhin langsam von innen zu zersetzen. Van Warmedam erzeugt dabei eine flirrende, traumartige Stimmung, die sich am ehesten mit dem verstörenden Surrealismus des griechischen "Dogtooth" vergleichen lässt. Er reflektiert zudem die Gast-Thematik solcher Filme wie Pasolinis "Teorema" oder Takashi Miikes "Visitor Q" – ob der Einfluss des Gastes hier zerstörend oder erlösend wirkt, liegt allerdings im Auge des Betrachters. Mehr und mehr zieht der Regisseur jedenfalls die Schraube an, lässt komische Szenen mit emotionalen Tiefschlägen abrupt enden und schreckt auch vor schmerzhaft effektiven Gewaltspitzen nicht zurück.
So geschickt spielt van Warmerdam auch mit Genre-Konventionen: "Borgman" lässt sich ebenso vortrefflich als allegorische Familienaufstellung wie als schwarzmagisches Schauerdrama rezipieren – und verliert dennoch nie seine einzigartige Undurchschaubarkeit. Wenn der zusehends dominantere Borgman schließlich seine verschrobenen Gehilfen ins Haus der Familie schleust, schließt sich der fatale Kreis der Gastfreundschaft: Der Gast ist zum Gastgeber geworden, die vormaligen Gastgeber wiederum zu schutzlosen Gästen im eigenen Heim. Einmal sagt der schnöselige Hausherr: "Wir können doch nichts dafür, dass wir reich sind. Wir sind nun einmal West-Europäer." Hier und in einer späteren Szene offenbart sich kurz der größere Zusammenhang dieser bösartigen, kleinen Geschichte: Die Ängste des weißen Europas vor den "ungebetenen" Eindringlingen an seinen Grenzen. Van Warmerdam lässt sich aber gleichzeitig nicht zu einer simplen politischen Metapher hinreißen, sondern sorgt gekonnt für unbestimmtes Unbehagen. An einem aber lässt er keinerlei Zweifel: Seine dämonische Macht bezieht der Gast nur aus dem verdrängten Hass seiner Gastgeber – sie haben ihn gewissermaßen heraufbeschworen und so bringt er ihnen mit Vergnügen das Verderben.
Benotung des Films: (9/10)
Tim Lindemann
Dieser Text ist zuerst erschienen in der:www.filmgazette.de
Borgman
Niederlande 2013 – 113 min. – Regie: Alex van Warmerdam – Drehbuch: Alex van
Warmerdam – Produktion: Marc van Warmerdam – Kamera: Tom Erisman – Schnitt:
Job ter Burg – Musik: Vincent van Warmerdam – Verleih: Pandastorm / Neue Visionen
– Besetzung: Jan Bijvoet, Hadewych Minis, Jeroen Perceval, Alex van Warmerdam,
Tom Dewispelaere, Sara Hjort Ditlevsen, Elve Lijbaart, Dirkje van der Pijl,
Pieter-Bas de Waard, Eva van de Wijdeven, Annet Malherbe, Gene Bervoets, Mike
Weerts, Pierre Bokma, Benjamin Boe Rasmussen – Kinostart (D): 02.10.2014
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