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Blutige Seide

1963 entstanden auf beiden Seiten des Atlantiks zwei Filme, die bei der Kritik zunächst durchfielen, in der Retrospektive jedoch zu Marksteinen einer neuen Ästhetik im Horrorfilmgenre avancierten: Herschell Gordon Lewis’ „Blood Feast“ und Mario Bavas „Blutige Seide“ spielen bereits im Titel mit der Primärfarbe, die von nun an die Kinoleinwand zu reflektieren hatte. Bava prägte in Italien ein neues Genre, das unter dem Oberbegriff Giallo-Thriller mehr an der Darstellung als Aufklärung brutaler Morde interessiert ist. Auch wenn „giallo“ eigentlich „gelb“ bedeutet und auf die Verpackung von Pulp-Literatur in Italien verweist, bestimmt die Farbe Rot Bavas Film. Vom roten Cape bis zum grellen Filmblut, zu geschminkten Lippen und symbolträchtigen Schaufensterpuppen sticht die Signalfarbe bedrohlich heraus. Im Zentrum stehen die sadistischen Morde an vier attraktiven Models durch einen vermummten Unbekannten. Bavas geschicktes Spiel mit Schatten, Licht und Farben zeigt, dass es dem Regisseur um die Stilisierung des Albtraumhaften, um Verfolgungswahn und sexuelle Obsessionen geht. Der vorgeführte Voyeurismus steht in direkter Tradition von Hitchcocks „Psycho“. Dabei wendet Bava die Kamera nicht ab, sondern zeigt in quälender Länge die Mordsequenzen. Die Techniken der moralisch ambivalenten Gewaltdarstellungen haben nicht zuletzt die Köpfe hinter „Taxi Driver“ und „Pulp Fiction“, Martin Scorsese und Quentin Tarantino, beschäftigt.

 

Der Film liegt nun in hervorragender Bildqualität und rauschfreiem Ton auf DVD vor. Die Konturschärfe und kräftige Farbsättigung verleihen der Szenerie etwas Unwirkliches und rücken den vermummten Vorläufer des modernen Slashers in die Nähe der gesichtslosen Bildsprache eines René Magritte. Die Sammleredition ist ein Blickfang, denn die aufwändig gestaltete Hülle nimmt den englischen Verleihtitel „Blood and Black Lace“ zum gestalterischen Aufhänger: auf schwarzem, seidenähnlichem Stoff sind in blutroter Farbe der Titel und ein angstverzerrtes Frauenporträt eingraviert. Das Booklet enthält kompetente Texte zum italienischen Giallo-Phänomen, Anmerkungen zur Ästhetik des Films und biografische Angaben zum Regisseur. Die DVD bietet zahlreiche Extras wie zensierte Szenen, Erinnerungen des Schauspielers Thomas Reiner, eine Bildergalerie und einen unterhaltsamen Audiokommentar. Ein Wermutstropfen ist das Fehlen der original englischen Tonspur, besonders auch, weil Thomas Reiner im Interview explizit die Sprachprobleme der internationalen Crew während der Dreharbeiten benennt.

 

Frank Mehring

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in: film-Dienst 15 (2003)

 

Blutige Seide

SEI DONNE PER L’ASSASSINO

SIX FEMMES POUR L’ASSASSIN

BR Deutschland / Italien / Frankreich – 1963 – 86 min. – Verleih: Gloria – Erstaufführung: 27.11.1964 – Produktionsfirma: Top/Emmepi/Georges de Beauregard – Produktion: Armando Govoni, Georges C. Stilly

Regie: Mario Bava

Buch: Marcello Fondato, Giuseppe Barilla

Kamera: Ubaldo Terzano

Musik: Carlo Rustichelli

Schnitt: Mario Serandrei

Darsteller:

Cameron Mitchell (Max Morlacchi)

Eva Bartok (Christiana)

Thomas Reiner (Kommissar Silvestri)

Lea Krüger (Greta)

Mary Arden (Peggy)

 

DVD

DVD-Regionalcode 2; Deutsch und Italienisch Mono 2.0; zahlr. Extras; Untertitel in Deutsch; Bildformat 1:1,785, anamorph; Anbieter: Anolis Entertainment.

 

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