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Bloody Sunday

Gewalt ist böse: Und "Bloody Sunday" ist unbedarft.

Dieter Kosslick hatte verkündet, mit der Berlinale auch politische Zeichen setzen zu wollen. Schon die erste Geste in Gestalt des auf alle Plakate gesetzten frommen Wunsches "accept diversity" konnte einen skeptisch stimmen, was das Politikverständnis der Auswahlkommission angeht. "Bloody Sunday", dem Film des Briten Paul Greengrass, hatte Kosslick bereits in der Eröffnungspressekonferenz die Bürde aufgeladen, die politische Botschaft des Festivals auf den gemeinsamen Nenner zu bringen. Schon da durfte man befürchten, dass diese Botschaft von der Sorte ist, die man besser mit der Post schickt. Leider muss man sagen: so kam es.

Greengrass erzählt von einem der schwärzesten Tage Nordirlands, dem Sonntag im Jahr 1972, an dem ein friedlicher Protestmarsch der Bürgerrechtsbewegung von Londonderry von britischen Fallschirmjägereinheiten blutig niedergeschossen wurde. Er teilt seinen Film in drei Akte. Der erste umfasst die Vorbereitungen auf beiden Seiten, auf der Seite des Militärs und auf der der Protestierenden. Die Protagonisten werden vorgestellt, vor allem auf eine Identifikationsfigur läuft der Film zu: den nordirischen Politiker Ivan Cooper, der im zweiten Akt, der die Kämpfe zeigt, eine Rede hält, die die Botschaft des Films bündig zusammenfasst. Gandhi und Martin Luther King sind die leuchtenden Vorbilder. Im dritten Akt sieht man die Folgen des Massakers, sprachloses Entsetzen auf der einen, mangelndes Schuldbewusstsein auf der anderen Seite.

Nun wird man der politischen Haltung des Films kaum widersprechen wollen, ja, die Aufarbeitung des geschichtlichen Unrechts begrüßen. Dennoch bleibt es wahr, dass die Politik des Kunstwerks in der Ästhetik zu stecken hat und nirgends sonst, dass sich ein Film weder über sein Thema allein noch durch seine aufrechte Haltung als würdiger Wettbewerbsbeitrag erweist. Ästhetisch jedoch ist "Bloody Sunday" ein Musterknabe an Unbedarftheit. Die Absicht des Regisseurs war es wohl, auf alle Zurichtung durch private Geschichten zu verzichten (einen ersten Ansatz dazu lässt er inkonsequenterweise sofort ins Leere laufen), den Betrachter nicht durch Emotionen zu manipulieren. Das immerhin ist ihm gelungen, das einzige Gefühl, das er zu wecken vermag, ist bleierne Langeweile.

Filmsprachlich setzt "Bloody Sunday" ganz auf die Anmutung des Dokumentarischen. Wild fuchtelt die Handkamera durch die Gegend, immer schön abwechselnd im Lager der Demonstranten und der Militärs. Wenn die Kamera mitten drin ist, so vermutlich die Idee, wird sich auch der Betrachter aufs Schlachtfeld versetzt fühlen. Leider geht diese schlichte Rechnung nicht auf. Zu durchschaubar ist die Absicht jeder Einstellung, ohne jeden Mehrwert, ohne jede Brechung ließe sich jede Szene in einen simplen Aussagesatz übertragen. Ivan Cooper ist ein aufrechter Mann. Der Einsatz des Militärs ist töricht und barbarisch. Hier werden Unschuldige getötet. Gewalt ist böse.

Das nächste Mal, wie gesagt, lieber mit der Post.

Ekkehard Knörer

 

 

Dieser Text ist zuerst erschienen anlässlich der Berlinale 2002 in: Jump Cut

Zu diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere Texte

 

 

Bloody Sunday

Großbritannien / Irland 2002 – Regie: Paul Greengrass – Darsteller: James Nesbitt, Allan Gildea, Gerard Crossan, Mary Moulds, Carmel McCallion, Tim Pigott-Smith, Nicholas Farrell, Christopher Villiers, James Hewitt – FSK: ab 12 – Fassung: O.m.d.U. – Länge: 107 min. – Dt. Start: 15.7.2004 / 13.11.2008

 

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