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Der blinde Fleck
Auf dem rechten Auge blöd
Hoppla, ein Polit-Thriller, made in Germany! Das heiße Eisen, das hier
angepackt wird, ist zwar schon ziemlich abgekühlt, aber andererseits –
brisant, brisant – vielleicht durchaus aktuell. Wir erinnern uns, als sei es
gestern gewesen: 26. September 1980, München, Oktoberfest, 13 Tote, 211
zum Teil Schwerverletzte – und kein RAF-Bekennerschreiben. Der Täter wurde
seinerzeit schnell ermittelt: ein 21jähriger Student namens Gundolf Köhler,
der als Einzeltäter gehandelt haben soll. Dass Köhler noch ein paar
Monate zuvor als Mitglied der rechtsradikalen Wehrsportgruppe Hoffmann durch
den deutschen Wald gepirscht war – drauf geschissen! Dass nur ein paar Tage
später Bundestagswahl war, mit Franz-Josef Strauß als Kandidaten
der Opposition, egal. Dass im August 1980 ein vermutlich von Neo-Faschisten
ausgeführter Anschlag auf den Bahnhof von Bologna stattgefunden hatte –
keine Spur wies die bayerischen Ermittler in den militanten rechten Untergrund.
Der CSU war an der Einzeltäter-Theorie gelegen, weil man die rechte Szene nicht ernst genommen, sie verlacht hatte. Ministerpräsident und Kanzlerkandidat Strauß, der in diesem Film, wie einst Hitler nur von hinten zu sehen ist, gibt seinem Staatsschutzchef Langemann die Order: "Lassen Sie sich gefälligst was einfallen!" Was Langemann, der eingangs vor Studenten eine Vorlesung über den Einzeltäter als Bauernopfer gehalten hat, auch tut: mit der Präsentation eines Einzeltäters. Hier kommt Ulrich Chaussy, Redakteur beim Bayerischen Rundfunk, ins Spiel, der ein paar Jahre über ein paar Ungereimtheiten bei der Aufklärung des Anschlags stolpert. Er beginnt auf eigene Faust zu ermitteln, befragt Zeugen, stößt auf Polizeipannen und Vertuschungsaktionen seitens der Ermittlungsbehörden, wird von einem Unbekannten mit Aktenmaterial versorgt.
Man sieht schon: Der Filmemacher Daniel Harrich, der zusammen mit Ulrich Chaussy auch für das Drehbuch zeichnet, hat alle Zutaten eines echten Polit-Thriller versammelt: der investigativ ermittelnde Reporter, der auf merkwürdige Indizien und Widersprüche stößt, der mit seiner Beharrlichkeit den Mächtigen auf die Schliche kommt, der auf einmal an einer ganz großen Sache dran ist, der eines Abends sogar beinahe unter die Räder kommt, der seiner Umgebung allmählich auf die Nerven geht, weil er sein Thema gefunden hat und nicht mehr locker lässt. Das ist alles sicher gut gemeint, aber leider gar nicht gut gemacht: es fehlt dem Film schlicht der Flow.
Benno Fürmann spielt den Hörfunkmann Chaussy mehr als hölzern und entwickelt als Figur überhaupt keine politische Haltung zum Geschehen. Wenn er mal nicht ermittelt, kommt seine Ehefrau Lise als "das Privatleben" aus der Kulisse und ins Spiel, die ihn erst unterstützt und es später mit der Angst bekommt. Einfach so. Bei aller Liebe zu Nicolette Krebitz: es gibt Rollen, die sind so einfältig, dass es nicht schadet, sie nicht zu übernehmen. Unklug auch der Einfall, gleich drei "Tatort"-Kommissare (Hartmann, Wachtveitl, Nemec) einzusetzen, was einem Kinofilm und einem Polit-Thriller, der zudem in München spielt, ganz schlecht bekommt. So begnügt sich der Film damit, die Einzeltäter-Theorie in Frage zu stellen und darauf hinzuweisen, dass die zuständigen Behörden kein Interesse hatten, die Hintergründe des Anschlags aufzuklären. Längst sind nicht nur die Ermittlungen eingestellt, sondern auch die Asservate vernichtet. Keine Aufklärung mehr möglich.
Am Schluss folgt dann noch der Hinweis auf die Ermittlungspannen im Fall der NSU-Morde, die einer vergleichbaren Logik des Nicht-Wissen-Wollens, des Weg-Sehens und vielleicht sogar der Instrumentalisierung von Rechtsradikalen durch Ermittlungsbehörden folgen. Interessanter wäre der Film indes geworden, hätte man sich vom Lokalkolorit, von der CSU weg und hin zu GLADIO bewegt. Dann wäre aus dem Stoff vielleicht sogar ein richtiger Polit-Thriller geworden und kein Westentaschen-"Tatort" in Kino-Camouflage.
Benotung des Films: (3/10)
Ulrich Kriest
Dieser Text ist zuerst erschienen in der: www.filmgazette.de
Der blinde Fleck
Deutschland 2013 – 90 min. – Regie: Daniel Harrich – Drehbuch: Daniel Harrich,
Ulrich Chaussy – Produktion: Daniel Harrich, Michel Wagner, Stefanie Gros, Claudia
Gladziejewski, Jochen Kölsch – Kamera: Tobias Corts – Schnitt: Georg Michael
Fischer – Musik: Ian Honeyman – Verleih: Ascot Elite – FSK: ab 12 Jahren – Besetzung:
Benno Fürmann, Nicolette Krebitz, Heiner Lauterbach, Jörg Hartmann,
August Zirner, Udo Wachtveitl, Miroslav Nemec, Isolde Barth – Kinostart (D):
23.01.2014
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