zur startseite
zum archiv
zu den essays
The Black Power Mixtape 1967-1972
Komplett aus altem Archivmaterial montiert Göran Olsson den Dokumentarfilm "Black Power Mixtape 1967 – 1975", der die Geschichte der schwarzen Bürgerrechtsbewegung von außen, nämlich von Schweden aus, nacherzählt.
"Schweden hat das US-feindlichste Fernsehen in Europa", gibt der Herausgeber einer amerikanischen Fernsehzeitschrift vor schwedischen Kameras zu Protokoll. Vorausgegangen war dem ein entsprechend skandalisierender Beitrag in seiner Publikation. Der Filmbeitrag ist historisch, späte 60er Jahre: Wenig später, informiert ein nachträglich eingeblendeter Text, zogen die USA ihre Diplomaten aus Schweden ab – zwar nicht der schwedischen US-Berichterstattung wegen, sondern wegen der harschen Kritik Olof Palmes am Vietnamkrieg.
Das schwierige schwedisch-amerikanische Verhältnis bleibt nicht näher erläuterte Episode in "The Black Power Mixtape 1967-1975", ist aber insofern für den Film zentral, als ihn Göran Olsson komplett aus 16mm-Material aus schwedischen Fernseharchiven montiert hat, teils mit Original-Voiceovers schwedischer Reporter. Warum nun ausgerechnet schwedische Auslandskorrespondenten besonders die Black-Power-Bewegung in den Blick genommen zu haben schienen, wieso umgekehrt auch zahlreiche Aktivisten der ersten Stunden, wie manchen Szenen zu entnehmen ist, an schwedischen Universitäten Vorträge hielten, ist dem Film zwar nicht zu entnehmen, bedingt aber dessen leicht eigentümlich anmutende Perspektive: Frei vom Zwang, das Material auf Grundlage eines gesellschaftlichen Kampfs, der auch die eigenen Zuschauer beträfe, zu überformen oder von vornherein darauf zuzuspitzen, bleibt die Haltung des Films gegenüber der späten afro-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung mit ihren Radikalisierungstendenzen und Ausdifferenzierungen auffallend äußerlich, zwar durchaus interessiert zugewendet, aber offenbar ohne Not der Umarmung oder Ablehnung.
Schon deshalb schert "The Black Power Mixtape 1967-1975" aus der jüngeren Tradition des emblematisierenden Dokumentarfilms aus, der kulturelle und politische Phänomene der Vergangenheit in Form einer meist heiklen ästhetischen Verdichtung heutigen Sehgewohnheiten mit Livestyle-Verve andient, auch wenn die Versuchung, manche der lose im Film stehenden Materialfragmente mit heutiger, schwarzer Popmusik zu unterlegen, dennoch hier und da Überhand gewann. Immerhin, das Projekt bleibt rein ökonomisch gewiss kontraintuitiv. Das ist tatsächlich soweit konsequent, als keine auf einen nostalgischen Mehrwert angelegte Stimmungsinseln eingebaut wurden, die das übergeordnete politische Geschehen etwa durch Einbindung amerikanischer TV-Aufnahmen oder anderer, aus anderen Zusammenhängen längst bekannter und ikonisch vorsortierter Bilder plus beigemengtem Jimi-Hendrix-Sound unterfüttern würden: Dass Nixon 1969 US-Präsident wurde, verrät eine kleine Texteinblendung am oberen Bildrand, keine aufgeregte Montage-Zäsur.
Dadurch entsteht ein zuweilen dicht an die Protagonisten angeschmiegter, auch ästhetisch erfreulich wenig an Ikonenbildung interessierter Einblick in die zentralen Weggabelungen der "Black Power"-Bewegung: Angefangen 1967 mit Stokely Carmichael, der sich kritisch von Martin Luther King und der Philosophie des Gewaltverzichts abhob. Dann geht es weiter mit der Popularisierung der Bewegung über Sozialarbeiten und Bildungsangebote in den communities und deren Radikalisierung und offen proklamierte Bewaffnung bis zum Prozess gegen Angela Davis, der späteren Diffusion in der Drogenkultur Harlems, dem Separatismus der "Nation of Islam" und dem Projekt einer dediziert schwarzen, aktiven Kulturgeschichtsschreibung, deren prominenteste Form der heutige Hip-Hop darstellt. Eine aus heutiger Perspektive reflektierende Ebene stellen zahlreiche Voice-Over-Statements von Harry Belafonte, Sonia Sanchez, Talib Kweli, Erykah Badu und anderen, die sich selbst zum footage in Beziehung setzen, zur Seite.
Die einzige, die sowohl im historischen Material als auch in Form solcher Statements im Film anwesend ist, ist Angela Davis. Nicht nur im Kontrast zwischen junger und alter Stimme, zwischen alter und neuer Aufnahmetechnik ergibt sich hier eine historische Klammer, die etwas über die im Bild nicht konkret werdende, zeitliche "Nabelschnur" zwischen dieser Zeitkapsel und unserer heutigen Gegenwart aussagt: Immer wieder bricht die Stimme der jungen, agitierenden Angela Davis leicht weg, zumal unter Haftbedingungen, und wendet sich rhetorisch ins Empörte, das sich zuweilen auch gegen den schwedischen Interviewer selbst richtet. Ein anderes Fragment zeigt sie als Rednerin, wie sie eine Vision der Zukunft, die Rassismus nur noch in Form einer "Erinnerung an einen Albtraum" kennt, im halbsingenden Tonfall zeichnet, gerade so als würde sie den Erfahrungen der Schwarzen in den USA einen akustischen Resonanzraum eröffnen. Ihre heutigen Kommentare sind, wohl auch schon ihrer zwischenzeitlichen akademischen Karriere wegen, analytisch und einordnend, reflektierend und sprachlich ruhend: Die Zeit des politischen Kampfes ist noch nicht an allen Fronten vorbei, doch ist der auch emotionale Aufruhr längst in die Form eines historischen Wissens überführt worden. Während "The Black Power Mixtape 1967-1975" gelegentlich wie der Blick in eine Krypta der Vergangenheit ist, führt mit diesem sachten Kontrast eine wichtige Spur in die Gegenwart.
Thomas Groh
Dieser Text ist zuerst erschienen in:www.perlentaucher.de
The Black Power Mixtape 1967-1975
Schweden / USA / Deutschland 2011 – Regie: Göran Hugo Olsson – Mitwirkende:
Stokely Carmichael, Eldridge Cleaver, Kathleen Cleaver, Bobby Seale, Huey P.
Newton, Angela Davis – FSK: ab 12 – Fassung: O.m.d.U. – Länge: 92 min.
– Start: 14.12.2011 (1. Woche)
zur startseite
zum archiv
zu den essays