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Black Mass

 


Die aufrechte Gang

Scott Coopers „Black Mass“, eine Mobster-Chronik aus Boston, hat man schon 100 Mal gesehen

Zu einem nicht unbeträchtlichen Teil handelt dieser Film von einer Halbglatze. Von einer ziemlich fiesen Halbglatze, einem Monument der Inkongruenz, einem Mahnmal des Missverhältnisses, weil diese Halbglatze die Akkuratesse dementiert, mit der die gräulich-gelblichen Haare in schon noch ambitionierter Länge nach hinten gekämmt sind. Da passt was nicht zusammen – der Stolz, mit dem diese Halbglatze getragen wird, und die traurige Realität, die sie ist. Deshalb kann man vom Stolz nicht auf Attraktivität schließen, sondern nur auf Macht.

Die Halbglatze gehört James „Whitey“ Bulger, getragen wird sie von Johnny Depp und eben das macht sie so zentral für Scott Coopers Gangsterfilm "Black Mass": dass der teure Starkörper von Depp, der im Kino doch Begehren wecken soll, von solch einer bis ins Detail liebevollen Maskerade gekrönt wird. Für zwei Stunden geht Depp mit den Projektionen, die sich auf sein Äußeres richten, fremd in der grotesken Verkleidung des Bostoner Mafioso.

James Bulger ist eine Figur der Zeitgeschichte, ein weiterer Name aus dem unerschöpflichen Fundus realer US-amerikanischer Gangstergeschichten („based on a true story“), die, man kann beinahe sagen, organisch die mediale Bildproduktion am Laufen halten. Bulgers Geschichte vom kontraprodukiven FBI-Spitzel, der seine Position nutzt, um sich über die Polizei zu informieren und die kriminellen Geschäfte seiner „Winter Hill Gang“ zwischen 1975 und 1994 ungestört zu betreiben, ist schon filmisch bearbeitet worden: in Serien ("Brotherhood"), Dokumentationen ("Whitey") und Martin Scorseses fiktionaler Variation "Departed – Unter Feinden" (2006), in der Jack Nicholsons Figur an Bulger orientiert war. Scott Coopers Black Mass nimmt sich nun aus wie der aufwändig und geschmackvoll gestaltete, um die richtige Chronologie bemühte finale Bildkatalog des Bulger-Verbrechertums, in den alle vorgelagerten medialen Verwurster integriert sind.

Frauen sagen: „Fick dich“

So erfährt Bulger vom Ende seines kommoden Lebens als Bostoner Mobster mit besten Verbindungen zur Polizei und familiären in die Politik (Bulgers jüngerer Bruder, gespielt von einem leutseligen-gebändigten Benedict Cumberbatch, war Senator) aus der Zeitung. Den anschließenden Enthüllungs- und Verhaftungsepilog bestreiten – die Technik macht’s möglich – freigestellte Headlines aus jenen Tagen und originales Fernsehmaterial, das sich in seiner Alarmiertheit immer schon so verhält, als wäre es für Filme wie diesen produziert.

"Black Mass" versprüht aber nicht nur wegen der bruchlosen Verbindung von realer Verbrechensgeschichte und medialem Tagesgeschäft den Schweißgeruch des Gebrauchten. Redundant bis ermüdend wirkt der Film in der endlosen Reihe amerikanischer Gangstergeschichten, deren unausgesprochene Überbietungslogiken dann zu Extravaganzen wie Johnny Depps Halbglatze führen: Wer so hässlich ist, muss der fieseste Fiesling sein.

Drumherum appelliert das Production Design mit eckigen Autos, speckigen Spelunken und ohne störende Digitalkommunikation an behagliche Retrogefühle wie zuletzt J. C. Chandors "A Most Violent Year" (Freitag 12/2015), wobei dieser Film nicht nur die schickeren Kostüme und Requisiten, sondern auch eine feinsinnigere Regie zu bieten hat als "Black Mass".

Denn Coopers Film geht schwer an der breitbeinigen Männlichkeit, die seine Protagonisten ausmacht – wenn man "Black Mass" in geometrische Figuren übersetzen wollte, kämen Kreise oder gar Ellipsen nicht vor. Frontal schaut die statuarische Kamera den Menschen ins Gesicht, gemächlich ist das Tempo, flach sind die Räume. Der Film fasziniert sich für die Gewalt, die dem Publikum mitunter stoisch direkt unter die Nase gehalten wird; wenn Bulger einen Verräter erwürgt oder der Neuling in der Gang (Jesse Plemons) seine anfangs verprügelte Visage vorzeigen muss, als ginge es darum, eine Maskenbildnerprüfung abzunehmen.

So folgt der Film ohne größere Absicht den Jahren der Fettleber in Bulgers Parallelwelt, in der, irische Wurzeln verbinden, am Ende Waffengeschäfte mit der IRA gemacht werden sollen: hier eine Bedrohung, da ein Mord, dort ein geschäftlicher Ausflug nach Miami. Frauen sagen: „Fick dich“, Männer sagen: „Fick dich“, Anzüge und Geschmeide des korrupten FBI-Polizisten und Kindheitsfreundes Connolly (Joel Edgerton) werden schillernder, Bulgers gravitätischzäher Strohbass schleppt sich machtvoll wie ein Löwe durch. "Black Mass" erinnert an 100 andere Gangsterfilme, die sich nicht entscheiden konnten, was sie sich zum Genre Neues überlegen.

Also wird das übliche filmische Vokabular ausbuchstabiert, darüber hinaus hat "Black Mass" keine Idee, was Bulgers Geschichte hergeben könnte außer einer Chronik. Eines der letzten Inserts, in denen das Publikum über die Strafen der hochgenommenen Gangster informiert wird, schreibt zum korrupten FBI-Mann Connolly, dass der lieber 40 Jahre akzeptierte, als über seinen alten Freund zu reden. Neben der Halbglatze von Johnny Depp handelt "Black Mass" also, das ist die dürftige Moral von der Geschicht’, von der unverbrüchlichen Kraft einer Jungsfreundschaft.

Matthias Dell

Dieser Text ist zuerst erschienen in: der freitag

 

 

 
Black Mass
USA 2015 – 122 Min. – Kinostart(D): 15.10.2015 – FSK: ab 16 Jahre – Regie: Scott Cooper – Drehbuch: Jez Butterworth, Mark Mallouk – Produktion: Scott Cooper, John Lesher, Patrick McCormick, Brian Oliver, Tyler Thompson – Kamera: Masanobu Takayanagi – Schnitt: David Rosenbloom – Musik: Junkie XL – Darsteller: Johnny Depp, Joel Edgerton, Benedict Cumberbatch, Dakota Johnson, Kevin Bacon, Peter Sarsgaard, Jesse Plemons, Rory Cochrane, David Harbour, Adam Scott, Corey Stoll, Julianne Nicholson, W. Earl Brown, Bill Camp, Juno Temple – Verleih: Warner Bros. GmbH

 

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