zur startseite

zum archiv

Birdwatchers  – Das Land der roten Menschen

Mit einem großartigen Täuschungsmanöver beginnt Marco Bechis’ Film "Birdwatchers", der den Konflikt zwischen Indigenen und Grundbesitzern in Brasilien inszeniert.

 

Marco Bechis’ Film "Birdwatchers" beginnt wie ein Hollywood-Epos. Die Kamera nähert sich im Flug von oben: Man sieht Regenwald, einen trägen breiten Fluss. Darauf ein Boot, darin eine Gruppe von Weißen, die man, wäre der Film, was er hier scheint, für die Protagonisten der folgenden Geschichte halten könnte. Man kann an den Film "Deliverance" denken, der von einer Gruppe weißer Männer erzählt, die eine Bootsfahrt als Abenteuerurlaub planen und bald unter Beschuss von Eingeborenen geraten. Und tatsächlich: Man sieht – subjektiv aufgenommen, aus der Perspektive der Weißen – Eingeborene am Waldrand. Sie stehen da, blicken feindlich, dann – allerdings erst als das Boot außer Reichweite scheint – zücken sie Pfeil und Bogen und feuern die Pfeile in Richtung des Bootes. Sie landen im Wasser.

 

Dieser Auftakt ist ein Täuschungsmanöver. Getäuscht werden die Weißen im Boot, getäuscht wird auch der Zuschauer. Letzterer wird allerdings sogleich eingeweiht in die wahren Verhältnisse. Die Szene war, sehen wir, Inszenierung. Die Indios waren gedungen, sie haben die bedrohlichen Eingeborenen nur gespielt. Jetzt wischen sie sich die rote Schminke aus dem Gesicht und werden zurückgefahren in ihr Reservat. Die weißen Menschen auf dem Boot, Touristen, nichts weiter, sehen wir nicht wieder. Was folgt, ist eine andere Geschichte, mit anderen Protagonisten. Es ist keine Abenteuer-Geschichte, sondern eine Darstellung bitterer Realitäten. Die Gewalt, die sich entladen wird, ist nicht einem Genre gedankt, sondern der systematischen Ausgrenzung der Indio-Population, also historisch gewachsenen, politisch gewollten Eigentumsstrukturen.

 

"Birdwatchers" zeigt eine kleine versprengte Indigenen-Gruppe von Guarani im brasilianischen Mato Grosso do Sul, die aus Not das dürre Gebiet verlassen, das ihnen das weiße Establishment zugewiesen hat. Zwei Mitglieder der Gruppe, deren innerer Zusammenhalt sich im Fortgang als brüchig erweist, haben sich an verbliebenen Bäumen aufgehängt. Daraufhin brennen die anderen ihre Hütten nieder, sie folgen dem Anführer Nadio, sie errichten auf Land, das einmal Wald war und jetzt Feld ist, ihre improvisierten Hütten aus dem Abfall einer reicheren Welt. Das Land, das sie so in Besitz nehmen, ist für die Begriffe des Rechts nicht ihr Land. Es liegt an der Grenze des Gebietes des weißen Großgrundbesitzers und Rinderzüchters Moreira, der diese Annäherung zurückzudrängen versucht.

 

Zunächst mit einer eher hilflosen Geste: Er stellt einen Wohnwagen auf das Feld und platziert darin eine Aufsichtsperson. Die hat eine Waffe bei sich, macht den Indios aber wenig Angst. Der Film zeigt zugleich die Gegenwelt: Das Anwesen des Grundbesitzers, mit Swimming Pool und Indio-Dienstmädchen. Die Kinder liegen am Pool und einmal, als sie hinausgehen zum Fluss, begegnen sie Osvaldo (Abrisio da Silva Pedro) aus der Indio-Gruppe, der gerade eine Ausbildung zum Schamanen durchläuft. Moreiras Tochter nähert sich Osvaldo mit Neugier und Motorrad, zwischen den beiden kommt es für den Moment zu einem – nicht nur platonischen – Interesse am andern, das zwischen den Erwachsenen unmöglich bleibt.

 

Regisseur Marco Bechis ist in Brasilien und Argentinien aufgewachsen, dann aus der argentininischen Militärdiktatur, die er bekämpfte, geflohen und lebt und arbeitet heute in Italien. "Birdwatchers" ist das Produkt einer gezielten Interaktion der Kulturen. Bechis hat sich von der wahren Geschichte des Ambrosio Vilhava, der nun den Anführer Nadio spielt, inspirieren lassen. Auch der verließ sein Reservat, richtete sich am Straßenrand ein. Monatelang hat der Regisseur mit den Indios zur Vorbereitung des Films geprobt. Was man sieht, ist das Ergebnis eines ausgedehnten Workshops, in dessen Rahmen die Indios sich selbst im Film darzustellen lernten, ohne jeweils individuell sich selbst zu spielen. Schauspieltrainer waren im Spiel, Bechis hat die Guarani in Hitchcock- und Sergio-Leone-Vorführungen mit dem Medium Film und seinen Effekten vertraut gemacht.

 

Der fertige Film strebt, anders als man in Kenntnis dieser Vorgeschichte denken könnte, allerdings eher nach Erfüllung der Erzählkino-Konvention. (Sogar der etwas exzentrische Versuch, die schamanische Anwesenheit von Geistern durch subjektive Kamerabewegungen und Sounduntermalung darzustellen, fügt sich noch darein.) So genau Bechis ist in der Schilderung der Guarani-Lebensumstände und so wenig er dabei zur Idealisierung neigt, so sehr verlässt er sich in den Grundzügen der erzählten Geschichte dann doch auf übliche Schematismen. Er überführt die Komplexität der Entstehung des Films gerade nicht in Experimentalarrangements, sondern zielt auf einen eher dokumentarischen Gestus, bei gleichzeitiger metaphorischer Lesbarkeit der Konstellation. Man kann ihn für diese Sorgfalt und Zurückhaltung bewundern, man kann aber auch feststellen, dass es – abgesehen vom brillanten Auftakt – inhaltlich wie ästhetisch an Überraschungsmomenten fehlt.

 

Ekkehard Knörer

 

Dieser Text ist zuerst erschienen am 15.07.2009 in: www.perlentaucher.de

  

Birdwatchers – Das Land der roten Menschen

Brasilien 2009 – Originaltitel: Birdwatchers – La terra degli uomini rossi – Regie: Marco Bechis – Darsteller: Abrísio da Silva Pedro, Alicélia Batista Cabreira, Ademilson Concianza Verga, Ambrósio Vilhalva, Claudio Santamaria – Länge: 108 min. – Start: 16.7.2009

 

zur startseite

zum archiv