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Big Game
Schwaches Finnisch mit Uncle Samuel unter
Samen (vormals "Lappen")
Welch wirre Konstellation! "Big Game", ein finnisch-deutsch-britisches
Wald-, Berg- und Kidnap-Abenteuer auf den Spuren von "Cliffhanger",
feiert das Finnentum – allerdings gerade als eine Low Tech-Kultur mythomaner
Bärenjäger, die in Klapperkästen als Autos, mit Cassetten-Walkmen
und Joghurtbecher-Schnurtelefonen (beides nicht von Nokia – wer´s noch
kennt) sowie mit Pfeil, Bogen und großem Respekt vor der waidmännischen
Ahnvätergalerie auf die Pirsch gehen. Finnischen Traditions- und Mythenbestand
ins Groteske zu ziehen, das gelang "Big Game"-Regisseur Jalmari Helander
2010 mit seiner Weihnachtsmann-Horrorsatire "Rare Exports" ganz passabel.
Nun aber soll an alten, nordisch-naturnahen Männerbildern offenbar doch
etwas genuin Heilsames festgemacht werden; dazu dient die Kontrastfolie einer
Maskulinität in der Identitätskrise – und die verkörpert Amerika.
Amerika wird gebasht. Aber nicht konsequent – hier kommt wieder das Wirre, sich selbst im Weg Stehende an der Konstruktion von "Big Game" zum Tragen -, sondern nur so lange, bis der US-Präsident am Ende wieder gelernt hat, seinen eigenen national-imperialen Machtmythos zu glauben und auszuleben. Besagter Präsident, mit der Air Force One im Anflug zum Staatsbesuch in Helsinki, wird über Lappland abgeschossen und, nunmehr allein mit nur einem Schuh zu Fuß in Schnee, Fels und Moos unterwegs, von entführungslüsternen Verschwörern in den eigenen Reihen und deren arabischen Hintermännern bedrängt. Ein zwecks Bärenjagd-Initiationsritus in den Wald ausgeschwärmter Bub (Onni Tomilla, als Kinderdarsteller schon in "Rare Exports" dabei) steht dem in der Natur aufgeschmissenen Ami bei, betrachtet ihn als seine "Großwild"-Beute (eine der in Filmtiteln oft genutzten Mehrfachbedeutungen von "Big Game") und lehrt ihn, das ganze Rumgetue mit Medienimage und politischem Rollenspiel sein und lieber das Alphatier in sich raus zu lassen. Diese verwirrte Form von Antiamerikanismus verspottet die USA ob ihrer soft power – und ist erst bereit, sie zu respektieren und zu zelebrieren, als die amerikanische Macht sich in bester imperialistischer Gewalttradition präsentiert und der Präsi mit seinem jungen Retter vor zu seiner Rückholung in finnisches Staatsgebiet eingeflogenen NAVY-Seals und digitaler Helicopter-Flotte posiert.
Das ist eine nachgerade masochistische Geste: Lerne im finnischen Ritus, wieder an dich zu glauben, Amerika, und zeig uns deine starken Rotorenblätter, damit wir wieder Grund haben, dich ehrfurchtsvoll zu lieben! Da wäre Gelegenheit gewesen für ein bisschen Perversiönchen mit dem Söhnchen nach Art des oft variierten B-Film-Menschenjagd- und Sadismus-Hobby-Parcours-Klassikers "The Most Dangerous Game" (USA 1932), auf den "Big Game" verquer anspielt. Aber nein, man hat sich entschlossen, doch eher als Kinder- und Jugendabenteuer anzutreten. Vielleicht ist diese Hinwendung an kindliche Gemüter mit dafür verantwortlich, dass hier nicht nur wiedergefundener Mannesmut als gut beschworen, sondern auch einem fast schon stilistisch suizidalen Todesmut zur unterbudgetierten Ausstattung: Gezeigt wird der War Room der US-Regierung oder das Wrack der Air Force One, aber jeweils so reduziert im baulichen Aufwand, dass es wie symbolische Dekorationen auf Theaterbühnen wirkt. Wobei die Actionszenen mit dem Eiskasten als Fluchtvehikel am Helicopter-Trageseil und in Stromschnellen eh okay, zumindest semi-bizarr, sind.
Konsequenter im Sinn der filmischen Selbsttorpedierung ist es, dass der US-Präsident, der eben zwecks Heruntermachung von bloßen Image-Formalien (und wohl auch in Anspielung auf die "Abgehobenheit" und Schwäche, die KritikerInnen Obama immer wieder attestieren) als Weichei hingestellt wird, dass also dieser Softie- und Fake-Präsident mit Samuel L. Jackson besetzt ist; der hat vergleichbare Rollen, eben den fish out of water im Action-Ambiente, Mitte der 1990er gespielt (in "Die Hard 3" und in "The Long Kiss Goodnight", neben "Cliffhanger" einem weiteren Film des einst großen Action-Finnen Renny Harlin) – aber heute ist Jackson doch eher über seine Tough Guy-Parts bei Tarantino oder von "Shaft" über "Star Wars" bis zum Avengers-Universum definiert und funktioniert als Präsident von Anfang an überhaupt nicht. Uncle Samuel L. im billig ausgestatteten Präsidentenjumbo – das erinnert unweigerlich an those mutherfucking Snakes on a Plane.
Mit dabei außerdem: Action-Allzweckler Ray Stevenson, in ein zu enges Secret Service-Sakko gezwängt; Mehmet Kurtulus, in ein nur wenig besser sitzendes Lederwams geknöpfelt, als terroristischer Islamist, der keiner ist, aber quasi die Stelle von Graf Zaroff aus "The Most Dangerous Game" einnimmt; und Jim Broadbent, der sich als kauzig-doppelbödiger Geheimdienstberater einen Drehnachmittag Zeit genommen hat. Er ist ebenfalls fehlbesetzt und isst ein Käsebrot, beides durchgängig.
Benotung des Films: (3/10)
Drehli Robnik
Dieser Text ist zuerst erschienen in:www.filmgazette.de
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Texte
Big Game
Finnland / Großbritannien / Deutschland / USA 2014 – 91 min. – Regie:
Jalmari Helander – Drehbuch: Jalmari Helander – Produktion: Christian Angermayer,
Will Clarke, Mohammed Hans Dastmaltchi, Alex Garland, Phil Hunt, Petri Jokiranta,
Frank Lehmann, Andy Mayson, Jens Meurer, Yasin Qureshi, Compton Ross, Judy Tossell,
Jari Tuovinen, Markus R. Vogelbacher – Kamera: Mika Orasmaa – Schnitt: Iikka
Hesse – Musik: Juri Seppä, Miska Seppä – Verleih: Ascot Elite – FSK:
ab 12 Jahren – Besetzung: Samuel L. Jackson, Ray Stevenson, Ted Levine, Felicity
Huffman, Jim Broadbent, Victor Garber, Onni Tommila, Jaymes Butler, Mehmet Kurtulus,
Adrian Can, Jorma Tommila, Erik Markus Schuetz, Ken Thomas, Lincoln Potwin,
Jean-Luc Julien – Kinostart (D): 18.06.2015
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