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Bierkampf

 

Herbert Achternbusch als Heimatfilmer

Man kann "Bierkampf" (1976) als einen jener kleinen "schmutzigen" Low-Budget-Filme beschreiben, bei denen alles irgendwie in der Familie bleibt: Herbert Achternbusch ist Drehbuchautor, Produzent und Regisseur des Films, zugleich spielt er die Hauptfigur, den Polizisten Herbert. Annamirl Bierbichler spielt seine Frau und heißt auch im Film Annamirl; ihr Bruder Josef ist Darsteller ihres Bruders Josef, Achternbuschs Ehefrau Gerda spielt eine der drei "begehrenswerten" Damen. So entwickelt sich die ganze Geschichte gleichsam unter einem Dach, was schon darum praktisch ist, weil sie zum größten Teil unter einem großen Zeltdach spielt, das auf der Wies’n steht, also dem Münchner Oktoberfest. Dort hat Achternbusch schon Anfang der 1960er-Jahre als Zigarettenverkäufer gejobbt – eine Rolle, die im Film der bereits genannte Josef Bierbichler übernimmt. Man ist in vertrautester Weise unter sich. Allerdings – man kann es nicht dabei bewenden lassen, dafür ist alles, was in diesem Film geschieht, zu aberwitzig-hintersinnig, zu doppelbödigschräggestrickt und einfach zu verquer. Der Polizist, den Achternbusch spielt, ist ein falscher Polizist; die Uniform hat er einem echten Polizisten geklaut, der aber möglicherweise auch nicht echt ist, sondern selbst nur einen Polizisten spielt. So bekommt man keine Ordnung in den Film, zumal der vorgeblich echte Polizist sich mit einem Kollegen auf die Jagd nach dem falschen macht und sich zu diesem Behuf als Neger schminkt. Das sieht nach Slapstick aus und ist es auch.

Schon gleich am Anfang, wenn der falsche Polizist Herbert – "Vorsicht, Polizei!" – sich halb gebückt, mit mal hüpfenden, mal watschelnden, mal raumgreifenden Schritten einen Weg durch das Menschengewühl im Bierzelt bahnt, glaubt man, es mit einer großartig verunglückten Kreuzung aus Groucho Marx und Donald Duck zu tun haben. Das kann aber gar nicht sein, denn dieser Polizist alias Herbert alias Achternbusch ist durchaus imstande, sich auch in Pirouetten à la Charlie Chaplin durch das schmerbäuchigbierselige Bayernvolk zu schlängeln – und wenn er sich von Fall zu Fall, selbst vom Bier umnebelt, gegen einen der Bäuche schmeißt und kokett seinen Oberschenkel hebt, scheint plötzlich Grouchos augenkullernder Bruder Harpo mit seinen märchenhaften Clownerien wiederauferstanden zu sein. Man versteht, dass dieser Ordnungshüter in einem besinnlichen Moment bekennt: "Ich habe über mein Los, ein Polizist zu sein, oft in den Starnberger See hineingeweint." An dieser Stelle können wir also schon präziser definieren: "Bierkampf" ist ein Heimatfilm mit turbulenten, explosiv ins Bild schießenden Slapstick-Einlagen, wobei ihn vom klassischen Heimatfilm unterscheidet, dass er nicht nur nichts von tumben Wilddieben, senilen Oberförstern und ihren albernen Töchtern oder von amourösen Verstrickungen auf irgendeiner Alm erzählt, sondern eigentlich gar keine Geschichte hat außer den vielen kleinen, nur angedeuteten Tragödien und Tragikomödien, die sich in seinen wie bunt bemalte Bierkrüge aufgereihten Episoden verbergen. "Bierkampf" ist nämlich, nicht zuletzt, eine auf dem Oktoberfest improvisierte Nummernrevue, die die damals noch nicht existente TV-Sitcom antizipiert und zugleich viel mit den Varieté-Filmen der vorletzten Jahrhundertwende zu tun hat. Großzügig lässt Achternbusch – wie in vielen seiner Filme – Genreexperten und Spezialisten der frühen Filmgeschichte auf ihre Kosten kommen. Auch die bürgerliche Hochkultur wird gewürdigt – etwa wenn ein ehemaliger Balletttänzer sturzbesoffen den Sterbenden Schwan aufs Parkett zu legen sucht. Und sie wird politisch subversiv unterwandert, wenn ein alter knarziger Wagner-Fan mit Hingabe den Hochzeitsmarsch aus "Lohengrin" dirigiert und am Ende bekümmert schnarrt: "Die Hand’ hat’s mir in Russland derfror’n, beim Aufmarsch nach Stalingrad."

Es sind diese und andere Episoden, die dem Film so etwas ähnliches wie eine Struktur verleihen, zumal jede der Hauptfiguren ihren Auftritt hat und – sei’s melancholisch brütend, sei’s kreuzfidel – ihre Maximen und Reflexionen, ihren Lebenskummer oder ihre seelischen Abgründe zur Sprache bringt. Josef Bierbichler sinniert, während er seinen Bauchladen durch die Menge schiebt: "Die Welt kann noch gar nicht erlöst sein, weil es sie noch gar nicht gibt." Dem Polizisten Herbert traut er nicht über den Weg: "Der ist nicht von der Polizei, der ist bloß von der Bevölkerung." Die Dialoge zwischen Herbert und seiner Frau Annamirl reihen sich zu düsteren Szenen einer Ehe, in der die Luft zum Atmen fehlt und den Partnern das Wort in der Kehle stecken bleibt. "Die Schlinge um meinen Hals wird immer enger", sagt Annamirl, "aber ich schreie immer lauter." Sie reißt den Mund weit auf, doch ihr Schrei bleibt stumm. "Einen Kopf hab’ ich selber", erwidert Herbert. "Was mir fehlt, ist ein leiblicher Weib, ein weiblicher Leib." Rastlos, erfolglos sucht er bei drei "begehrlichen", etwas rätselhaften Frauen sein Glück, doch mehr als Sehnsüchte und unerfüllte Wünsche kommt dabei nicht zur Sprache. "Aus deinen Augen würd’ ich manchmal ganz gern herausschauen", sagt er zu der einen. Sie entgegnet: "Ein jeder ist froh, wenn er einen anderen im eigenen Gesicht hat." So kommt, bei allem bajuwarischen Tumult und Klaumauk, ein Brevier philosophischer Fragmente zustande, die zögernd und mehrdeutig in der Luft schweben und ihre kleinen Botschaften von der Verlorenheit und Einsamkeit der Menschen in den Bierdunst schreiben. Ionesco und Beckett, so will es scheinen, sind Achternbuschs geheime Co-Autoren, freilich erst nachdem beide tief ins Paulaner-Glas geschaut haben. Drumherum tobt das Oktoberfest, der Alkoholpegel steigt und steigt, und wenn der falsche Polizist sich buchstäblich ins Gedränge wirft, sich mit den gespreizten Schritten Grouchos durch die Gänge quetscht, dem einen Gast den Bierseidel entreißt, dem anderen Brezel oder Brille klaut, einem dritten in die Haare, einem vierten an die Ohren greift, wenn er aus einer abrupten Körperwendung heraus ein Mädchen küsst, ein gestandenes vierschrötiges Mannsbild anspringt und beinahe eine deftige Prügelei provoziert – dann scheint auch die Kamera an der Realität vor ihrer Linse irre zu werden und, Steadycam hin oder her, sich zu fragen: Ist das nun dokumentarisch oder fiktional? Es ist ein Heimatfilm von Herbert Achternbusch, der seinen Polizisten am Ende in Nacht und Trauer sinken lässt: "Das kann ich mir nicht verzeihen, dass ich ein Polizist bin. Ich habe mir immer verziehen, dass ich kein Mensch bin." In den letzten Bildern tanzt ein Clown. Ein Schuss ertönt, der Clown bricht zusammen, in einer Bierlache liegt Herberts Leiche.

Klaus Kreimeier

Dieser Text ist zuerst erschienen in: film Dienst 19/2011

Bierkampf
Deutschland 1977 – Länge: 85 Minuten – Altersfreigabe FSK 16 – Regie: Herbert Achternbusch – Produktion: Herbert Achternbusch – Kamera: Jörg Schmidt-Reitwein – Schnit:t Christl Leyrer

Besetzung:

Herbert Achternbusch: Polizist Herbert
Annamirl Bierbichler: seine Frau
Josef Bierbichler: Ihr Bruder
Heinz Braun: schwarzer Mann
Alois Hitzenbichler: schwarzer Mann
Gerda Achternbusch: Begehrenswerte
Barbara Gass:: Begehrenswerte
Gusti Mell: Begehrenswerte
Karolina Herbig: Begehrenswerte
Margarethe von Trotta: Frau mit Kind
 

 

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