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BFG – Big Friendly Giant


 

In seinem Kinderfilm "BFG: Big Friendly Giant" erkundet Steven Spielberg ein für ihn ungewohntes Terrain: alteuropäische Apfelbutzenhaftigkeit.

Zwei zentrale Affektästhetiken gibt es im leichteren Werkstrang von Steven Spielbergs Schaffen: Den Moment des awe, des kindlichen Staunens, wenn sich der Bildraum öffnet und die Welt ein bisschen fantastischer, unglaublicher, fremder wird, als bislang angenommen. Und den Moment der Turbulenz, wenn die Dinge und Mechanismen dieser fantastischen Welt mit ordentlich Schmackes in Wallung geraten und der Mensch inmitten dieser Turbulenzen hektisch durchgeschüttelt wird. Ein kinetischer Ruhemoment – ein kinetischer Ekstasemoment.

In "BFG – Big Friendly Giant" findet sich eine sehr schöne Sequenz, in der beide Momente einmal zusammenkommen: Das naseweise Leseratten-Waisenkind Sophie (Ruby Barnhill) wurde gerade frisch vom großen freundlichen Riesen (Mark Rylance im Motion-Capture-Verfahren) entführt und ruht jetzt in dessen Handkuhle, sieht also durch die Schlitze zwischen seinen Fingern hindurch eine Welt, die das ihr bis dahin bekannte Bilderbuch-London schnell zurücklässt und zu einer Fabelwelt mittelalterlich-rustikaler Riesen mutiert. Überdies sorgt die gesteigerte Mobilität des Riesen dafür, dass die neuen Eindrücke rasant auf sie niederprasseln, sodass das gesamte Bild in Wallung gerät. Da Spielberg ein Regisseur ist, der stets die Zuschauerposition im Sinn hat, erleben wir dieses Aufreißen der Welt, die eben noch sortiert british war, jetzt aber aus einem Fabelbuch stammt, durch ihre Augen mit: Einmal Mäuschen sein, an den Rockzipfeln eines Riesen hängen, die Welt unter den Eindrücken erratischer Rasanz und Schubkräfte erleben – in Peter Jacksons "King Kong"-Remake vor rund zehn Jahren gab es schon so einen Moment, hier findet sich dessen tricktechnische Aktualisierung. Für solche Erfahrungen werden Blockbuster gemacht.

In dieser Passage turbulenten Kinostaunens ist Spielberg bei sich. Ansonsten mutet "BFG – Big Friendly Giant" fast wie ein Fremdkörper in Spielbergs Schaffen an. Nicht nur, weil er seinen drei Filme umfassenden Zyklus gediegener, historischer Dramen ("Gefährten", "Lincoln", "Bridge of Spies") beendet und zum reinen Kinderfilm zurückwechselt, ein Feld, in dem er schon lange nicht mehr tätig war. Auch die kruspelig-modrige Rustikalität der Erzählwelt, die viel mit der Materialität von altem Holz, fettig-strähnigen Haaren und speckig-abgewetzter Kleidung zu tun hat, ist Spielbergs Sache nicht so recht. Auch wenn "BFG" die erste Zusammenarbeit zwischen Spielberg und der 2015 gestorbenen Drehbuchautorin Melissa Mathison seit "E.T." darstellt und in dem Film, der von der sich allmählich entwickelnden Freundschaft zwischen einem fantastischen Wesen und einem staunenden Kind handelt, einiges an Spielbergs großen Jugendfilmklassiker erinnert, wirkt die altmodische Mützen- und Apfelbutzenhaftigkeit wenig Spielberg-artig.

Das mag mit der Vorlage zu tun haben – Spielberg verfilmt Roald Dahls Kinderbuch "Sophiechen und der Riese" – und mit dessen ausgesuchter Britishness, die Spielberg auskostet. Vielleicht aber auch mit den Interessen von Disney, für die Spielberg erstmals als Regisseur einen Film vorlegt. Tricktechnisch ist auch "BFG" wieder, typisch für Spielberg, ein großer Schritt weiter: Insbesondere faszinierend ist, wie Mark Rylance durch das digitale Kostüm hindurch spielt und sein ins Schlaksige überdehnter Computerkörper dennoch eine intakte Einheit mit diesem Spiel bildet. Aber in der Form des Kinderfilms an sich wirkt "BFG" bis zum gewissen Grad wie an Konventionen entlang inszeniert. Was im Werk eines Meisters wie Steven Spielberg wie ein Rückschritt anmutet.

Davon abgesehen macht "BFG" aber Spaß. Die Geschichte von Sophie, die den wendig durchs nächtliche London tänzelnden und Träume in die Köpfe der Leute pustenden Riesen stellt und deswegen von ihm – weil er Angst davor hat, entdeckt zu werden – kurzerhand ins Riesenreich entführt wird, ist mit Bedacht und Freude am Fabulieren erzählt. Im Riesenreich entpuppt sich der Kauderwelsch sprechende Riese als Zwerg unter viel größeren Riesen, seinen Brüdern, und als Vegetarier, der mit stinkenden Riesengurken vorlieb nimmt. Die großen Riesen halten sich unterdessen an proteinreichere Nahrung, an "Human Beans", so die Bezeichnung für Menschen in der verlotterten Riesensprache im englischsprachigen Originalton des Films. Das heißt nicht nur, dass der große, freundliche Riese – fortan BFG genannt – alle Hände voll zu tun hat, Sophie vor seinen Brüdern zu verstecken. Sondern auch, dass Sophie und BFG gemeinsam einen Plan aushecken, wie man die Brüder zum Vegetarismus zwingen kann. Dabei behilflich sein soll Queen Elizabeth II., die Sophie von der Existenz von Riesen überzeugen muss.

Als Kinderfilm mit sonderbar militaristischer Botschaft – am Ende ist es das königliche Heer, das der Menschenfresserei Einhalt gebietet – ist "BFG" zwar ein etwas merkwürdiger Film, was dem von allerlei Sadismen durchzogenen literarischen Kosmos Roald Dahls geschuldet sein dürfte. Spielberg, hat man den Eindruck, zieht sich für einmal als auteur zurück, erkundet ein für ihn eher ungewohntes Terrain – alteuropäische Fantasy, britisches Monarchentum – und erfreut sich an der exquisiten Fremdheit dieses Materials. Als Spielberg-Film taugt "BFG" nicht viel. Als Kinderfilm und hübscher Zeitvertreib erfüllt er seinen Zweck vorzüglich.

Thomas Groh

 

Dieser Text ist zuerst erschienen im: www.perlentaucher.de

Zu diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere Texte

 

  

BFG – Big Friendly Giant
(The BFG) –  USA, Großbritanien, Kanada 2016 – 115 Min. – FSK: ohne Altersbeschränkung – Kinostart(D): 21.07.2016 – Regie: Steven Spielberg – Drehbuch: Melissa Mathison, Roald Dahl – Produktion: Frank Marshall, Sam Mercer, Steven Spielberg – Kamera: Janusz Kaminski – Schnitt: Michael Kahn – Musik: John Williams – Darsteller: Rebecca Hall, Mark Rylance, Bill Hader, Jemaine Clement, Penelope Wilton, Adam Godley, Ólafur Darri Ólafsson, John Emmet Tracy, Ruby Barnhill, Michael Adamthwaite, Marilyn Norry, Callum Seagram Airlie, Andy Thompson, Haig Sutherland, Daniel Bacon – Verleih: Constantin Film Verleih

 

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