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Beziehungsweisen
Nach dem Ende des Berufslebens sucht der ältere Herr ein neues Betätigungsfeld
im Sozialen, wo er seine vielfältigen Erfahrungen fruchtbar machen kann.
Seine Ehefrau hatte gehofft, dass er jetzt etwas mehr Zeit für ihre Beziehung
hätte. Sie unternimmt einen Selbstmordversuch. Die Tochter meldet ihre
Eltern daraufhin zur Paartherapie an. Die Psychologin entdeckt rasch, dass da
noch einige sehr diffizile Leichen mehr im Beziehungskeller liegen. Ein junges
Paar bekommt ein Kind, die Frau will abtreiben, der Mann ist dagegen. Das Problem:
Die Beziehung war eigentlich schon an seiner Untreue gescheitert, doch eine
eher verzweifelt trauernde als hoffnungsvolle Versöhnung führte zur
Schwangerschaft. Noch etwas komplizierter stellen sich die Probleme von Hermann
und Dorothea dar: Hier erweist sich Dorotheas Wiedereinstieg ins Berufsleben
als Impuls einer Krise, die von eingefahrenem Rollenverhalten, Selbstgefälligkeit
und mangelndem Respekt zeugt.
Der Filmemacher Calle Overweg hat sich für seine gespielte Dokumentation
auf drei durchaus verallgemeinerbare Paar-Konstellationen und -Dynamiken beschränkt,
um die Arbeit von Paartherapeuten zu dokumentieren. Um einen bestimmten Grad
an Privatheit zu wahren und auch, um den geschilderten Einzelfall ins Verallgemeinerbare
zu heben, hat er sich für eine eigenwillige Verfahrensweise vor der Kamera
entschieden: Während die Paartherapeuten „echt“ sind, werden die drei Paare
von Schauspielern gespielt, die zuvor ihre Rollen geprobt haben, um nun gemeinsam
mit den Paartherapeuten improvisieren zu können. Dazu kommen einige gespielte
Szenen aus dem Beziehungsalltag, die nach Maßgaben des brechtschen Theaters
– und an Lars von Triers „Dogville“ (fd 36 175) erinnernd
– mit einem Minimum an Requisiten (und Geräuschen) auskommen.
Als zusätzliche Ebene der epischen Distanzierung tritt dann auch der Filmemacher selbst auf, kommuniziert mit den Paartherapeuten im Beisein der Schauspieler. Trotz solcher Strategien der Episierung und Distanzierung gelingt es dem Film, drei fesselnde Beziehungsgeschichten zu entwerfen. Was zu sehen ist, bringt der englische Verleihtitel des Films besser auf den Punkt als der deutsche: „Negotiating Love“. Hier wird „Liebe“ ausgehandelt. Üblicherweise, so eine Therapeutin, werden Beziehungen langfristig durch Kinder und Schulden stabilisiert – und nicht durch flüchtige Emotionen wie „Liebe“. Eine Paartherapie aufzusuchen, ist in festgefahrenen Konfliktsituationen oft der letzte Ausweg, um die jeweils eigenen Ansprüche an eine Beziehung in einer Art Schutzraum noch einmal zu artikulieren. „Therapien bieten unseren Träumen eine Bühne“, sagt Overweg – und genau diese Bühne führt sein Film vor Augen. Wobei zu bedenken ist, dass die Therapie in der Regel (und auch hier in drei konkreten Fällen) als Reparaturwerkstatt fungiert: Man wird in die Lage versetzt, als Paar in einer Beziehung weiterzumachen. Insofern geht es nicht so sehr um „Liebe“, sondern eher um Beziehungstopografien, bei denen der Alltag die Tektonik verschoben hat, die nun dringend einer Re-Vision bedarf.
„Beziehungsweisen“ dokumentiert fesselnd (und dank hervorragender
Darsteller auch mit Humor) diese kommunikativen Prozesse der Re-Vision. Dass
die drei Männer eher unsensibel, selbstgefällig oder larmoyant erscheinen
und die drei Frauen einen ungleich klareren Blick auf die Krisenkonstellationen
haben, ist dabei nur ein (allerdings bemerkenswerter) Nebeneffekt. Der Film
leistet es sich sogar, einer der Beziehungen einen Epilog „nach der Therapie“
zu gönnen, der unmissverständlich zeigt, dass „Beziehungsarbeit“ auch
nach der Therapie weitergeht und das mangelnde Eingeständnis der eigenen
Bedürfnisse auf Dauer keine Lösung, sondern eher ziemlich unreif ist.
Was eigentlich ja auch nicht weiter schlimm ist, sofern man diese Unreife nicht
in einer Beziehung auszuleben gedenkt.
Ulrich Kriest
Dieser Text ist zuerst erschienen in: film-Dienst
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Beziehungsweisen
Deutschland 2012 – Regie: Calle Overweg – Darsteller: Leopold Altenburg, Abak
Safaei-Rad, Axel Hartwig, Anja Haverland, Gerhold Selle, Franziska Kleinert,
(Therapeuten:) Heidemarie Zunken-Kreplien, Joachim Maier, Marion Braun – Länge:
85 min. – Start: 11.10.2012
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