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Beware of Mr. Baker
Die schönste Szene des Films von Jay Bulger gibt es zweimal zu
sehen: als Ginger Baker erfährt, dass seine Ich-Erzählungen durch
andere Zeitzeugen abgerundet werden sollen, gerät er derart außer
sich, dass er den Dokumentaristen mit seinem eleganten Gehstock blutig schlägt.
Dass mit dem legendären Schlagzeuger der Rockband Cream nicht gut Kirschen
essen ist, zieht sich wie ein roter Faden durch diese materialreiche und untergründig
durchaus auch mit dem Protagonisten sympathisierende Dokumentation. Zum Glück
hat sich die Inszenierung von Bakers Wutausbruch nicht sonderlich beeindrucken
lassen und Musikerkollegen wie Jack Bruce, Eric Clapton, Carlos Santana, Charlie
Watts und diverse Mitglieder der Baker-Familien vor die Kamera geholt. Chronologisch
und anekdotenreich wird Bakers ziemlich abenteuerliches Leben sowie sein souveräner
Hang zum Abseits rekonstruiert. Eine Biografie, die reich an mutwillig herbeigeführten
radikalen Brüchen und gewalttätigen Zerwürfnissen ist. Dabei scheint
der Schlagzeuger weniger starrsinnig oder egozentrisch als vielmehr asozial
im emphatischen Sinne des Wortes zu sein.
Unbestritten ist die Bedeutung des Musikers Ginger Baker, der – geboren
unmittelbar vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges – sich Zeit seines Lebens als
Jazz-Schlagzeuger verstanden hat. Für die Jugend des Musikers, über
die es anscheinend kein oder kaum Archivmaterial gibt, behilft sich der Film
mit ein paar einfallsreichen Animationen. Nachdem Baker sich in der britischen
Jazz-Szene einen Namen gemacht hat und erstmals mit harten Drogen in Kontakt
gekommen ist, mischt er Anfang der 1960er-Jahre in der Graham Bond Organisation
die Pop-Szene auf. Schon hier kommt es zu heftigen Auseinandersetzungen mit
dem ebenso begabten Bassisten Jack Bruce, die derart eskalieren, dass Bruce
die Band verlässt. Umso überraschender ist es, dass man sich beim
Allstar-Trio Cream wiedertrifft, um gemeinsam mit Eric Clapton Bluesrock durch
Improvisation zu revolutionieren – und damit künstlerisch und finanziell
zu reüssieren.
Weitere Stationen Bakers heißen, teilweise durchaus zum Leidwesen
Claptons, Blind Faith und Airforce, bevor der Musiker für einige Zeit nach
Lagos, Nigeria, zog, um mit Fela Kuti zu spielen und dort ein Tonstudio zu betreiben.
Längst genoss Baker den Ruf eines „Trouble Man“, dem man besser weiträumig
aus dem Weg geht. Auch die Freundschaft mit Fela Kuti geht in die Brüche,
weil Baker es sich nicht nehmen lässt, seine neu erwachte Leidenschaft
für den Polo-Sport mit der nigerianischen Haute-Volée zu pflegen,
die Kuti politisch bekämpft. Weitere Stationen, mal erfolgreich, mal weniger
erfolgreich, mal erfolglos, kommen hinzu. Schließlich muss Baker seinem
Eigensinn und seiner Drogensucht Tribut zollen.
Der Film erzählt sehr ausführlich von der außerordentlich
wechselhaften Karriere, von den privaten Krisen und Neuanfängen, wobei
immer wieder deutlich wird, dass man gut daran tut, Baker sehr behutsam zu bestimmten Dingen
zu befragen und nach Möglichkeit nicht auf Antworten zu bauen. Mit der
üblichen Frage-Antwort-Routine des Musikgeschäftes braucht man ihm
nicht zu kommen. Es ist dann ausgerechnet der ehemalige Sex Pistols-Frontmann
Johnny Rotten (ein Mann von gleichem Schlag), der in den 1980er-Jahren mit Baker
arbeitete, der klarstellt, dass die Musik, für die der Schlagzeuger respektiert
wird, eben ohne die dazu gehörende Person nicht zu haben sei.
Mittlerweile lebt Baker, gesundheitlich und finanziell schwer angeschlagen,
in Südafrika. Die Einnahmen aus dem Cream-Reunion-Konzert von 2005 hat
er in Polo-Pferde investiert. Manchmal, wenn das Geld knapp wird, tourt er nochmal
durch kleinere Clubs. An der Einfahrt zu seiner Farm, wo er mit seiner vierten
Frau lebt, steht ein Schild: „Beware of Mr. Baker“.
Offen bleibt allerdings, ob man sich Baker, der nicht zum Sympathieträger
bestimmt scheint, als glücklichen Menschen vorstellen muss. Und auch, ob
seine Karriere, die sicherlich unter ihren Möglichkeiten geblieben ist,
von Baker selbst als Unglück oder Scheitern empfunden wird. Fast hat man
den Eindruck, dass es ihm genüge, von seinen großen (Jazz-)Vorbildern
Max Roach, Elvin Jones, Art Blakey oder Phil Seamen respektiert worden zu sein.
Unterm Strich gelingt ein höchst eindrucksvolles Porträt, das um seine
vielen blinden Stellen weiß und dennoch neugierig macht. Zugleich ist
man dankbar, dass Jay Bulger bereit war, sich mit Ginger Baker in einen Raum
zu setzen und das Gespräch zu suchen. Darum würde sich kaum jemand
reißen.
Ulrich Kriest
Dieser Text ist zuerst erschienen in: film-Dienst 26/2013
Beware of Mr. Baker
USA 2012 – Regie: Jay Bulger – Buch: Jay Bulger – Produktionsfirma: Insurgent
Media/Pugilist at Rest – Produktion: Andrew S. Karsch, Fisher Stevens, Erik
H. Gordon, Jay Bulger – Kamera: Eric Robbins – Musik: Susan Jacobs – 92 Minuten
– Verleih: nfp – Start(D): 19.12.2013 – (O.m.d.U.) – Ab 14.
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