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Bella e perduta – Eine Reise durch Italien

 

 Pietro Marcellos hirtenromantischer Büffelfilm "Bella e perduta" hält den Kontakt zur Vormoderne.

"Bella e perduta" ist die Lebensgeschichte eines Büffels im italienischen Mezzogiorno, in der Region Campania, die als Leidensgeschichte sich ankündigt, wie Bresson sie am Esel Balthazar erzählt hat, dann aber relativ ereignislos verstreicht – bis zur unweigerlichen Schlachtung des wirklich unglaublich schönen Tiers am Ende des Films. Als landwirtschaftlich wertloses Männchen mit gefesselten Beinen am Wegrand ausgesetzt, wird der Büffel von einem Fremden aufgelesen, der sich später als "Engel von Carditello" entpuppt: Tommaso Cestrone, im Brotberuf Landwirt, der sein Leben der Instandsetzung und dem Erhalt des Bourbonenpalasts Reggia di Carditello in San Tammaro verschrieben hat – eine real existierende, sich selbst spielende und seither an einem Herzinfarkt verstorbene Person, der "Bella e perduta", Pietro Marcellos zweiter langer Spielfilm, gewidmet ist.

Tommaso ist die lifeline des Films zur sozialen Realität der Region: zu wirtschaftlicher Depression, alltäglicher Gewalt der Camorra, Bauernleben. Zwei weitere Stimmen: Pulcinella, der am Anfang des Films in unsere Wirklichkeit entlassen wird aus einer absurden, von ächzenden und stöhnenden Pulcinellas bevölkerten Parallelwelt; sowie der Büffel selbst, der wie der Esel Balthazar einen Namen hat – Sarchiapone – und außerdem noch spricht, aber nur von Pulcinella und dem Publikum gehört bzw. verstanden werden kann. Nach Tommasos Tod geht Sarchiapone in den Besitz von Pulcinella über, der ihn in Sicherheit bringen will vor dem sicheren Tod. Gen Süden zieht das ungleiche Paar, vorbei an (bisweilen arg fotogenen) Hinterlandvistas, einer Gruppe junger Büffel, die ebenfalls ihrem Schicksal überlassen worden sind (ihnen ist nicht zu helfen), und einem ledernen Bauernpaar, auf dessen ärmlichen Gehöft Pulcinella und Sarchiapone unterwegs Rast machen.

Dass im Süden Rettung ist, wird weder begründet noch erklärt. Vielleicht, weil es sich von selbst versteht. Die Vernunft der Menschen, die Sarchiapone ausschließt aus dem Gemeinwesen und als Nutztier fungibel macht, hat hier noch nicht den Sieg davongetragen. Ein kolossal dicker Hirte, vor dem Eingang seiner Wohnhöhle aufgebäumt, deklamiert ein hirtenromantisches Gedicht von Gabriele D’Annunzio, das die Landschaft wie einen begehrten Körper liebkost, geradezu abgrast. Pulcinella überlässt Sarchiapone diesem Hirten und verschwindet für einen Moment aus dem Film, um zum Menschen zu werden. Als Gegenfigur zu Tommaso, der "Bella e perduta" an die Gegenwart der Dreharbeiten bindet, hält Pulcinella, solange er seine Maske trägt, die Kommunikation mit der Vormoderne offen – eine Grundbedingung gelingender Hirtenromantik. Ohne Maske ist Pulcinella ein Mensch wie andere Menschen auch: Wenn Sarchiapone zu ihm spricht, vernimmt er nichts als Tierlaute.

Am Ende können also nur noch wir den Büffel verstehen, wenn er seinen Anteil einklagt. Eine komische, komplizierte Sprecherposition ist das, die er bezieht: Den Menschen einerseits ebenbürtig, schwadroniert er andererseits über seine Vorfahren, die noch glückliche Diener der Menschen gewesen seien. Armes, nutzloses Nutztier! Als Märchen vom südlichen Rand Europas, das sich zwischen Dokument und Fiktion, Politik und Fantastik bewegt, lässt "Bella e perduta" an Miguel Gomes’ "Arabian Nights" denken. Nicht nur die sprechenden Tiere und das wirtschaftlich abgehängte Terrain teilt "Bella a perduta" mit Gomes’ wucherndem Erzählkatalog, sogar Vogelfänger kommen bei Marcello vor, die ihren Fang allerdings umgehend verspeisen, anstatt ihn im Singbewerb gegen andere Vögel antreten zu lassen. Wo Gomes immer noch eins draufsetzt, in seiner promiskuös-modularen Bauweise, bleibt Marcello seinem Protagonisten treu bis zum bitteren, vollkommen absehbaren, darum aber um nichts weniger herzzerreißenden Ende, weshalb sich "Bella e perduta", noch da, wo er mir das Herz zerreißt, manchmal ein wenig flach anfühlt.

Nikolaus Perneczky

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in: www.perlentaucher.de

 

 

 


Bella e perduta – Eine Reise durch Italien
(Bella e perduta) – Italien 2015 – 87 Min. – Start(D): 14.07.2016 – Regie: Pietro Marcello – Drehbuch: Maurizio Braucci, Pietro Marcello – Produktion: Sara Fgaier, Pietro Marcello – Kamera: Salvatore Landi, Pietro Marcello – Schnitt: Sara Fgaier – Musik: Marco Messina, Sacha Ricci – Darsteller: Elio Germano, Tommaso Cestrone, Sergio Vitolo, Gesuino Pittalis – Verleih: Grandfilm

 

 

 

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