zur startseite
zum archiv
zu den essays
Bastille Day
"Bastille Day" von James Watkins ist ein überzeugender Actionfilm mit dezidiert linker Agenda und einem coolen Hauptdarsteller, Idris Elba.
Eine nackte junge Frau schreitet die Treppen vor Sacre-Coeur hinab. Die abgelenkte Aufmerksamkeit geifernder, applaudierender, eifrig fotografierender Männer macht sich Michael Mason (Richard Madden) zunutze, um ihnen mit flinken Füßen und noch viel flinkeren Fingern allerlei Wertgegenstände zu entwenden. Beinahe tänzelnd bewegt er sich von einem seiner Opfer zum nächsten. Ebenso flink wird er wenig später in der U-Bahn die junge Frau, die sich inzwischen angezogen hat, abservieren. Damit beendet der Film auch schon das Thema Paar-Beziehungen. Im weiteren Verlauf geht alles so schnell und ist dabei derart aufs Wesentlichste reduziert, dass für Liebesdinge schlichtweg keine Zeit bleibt.
Michael ist Amerikaner, der in Paris sein Geld damit verdient, die Dinge zu verhökern, die er mit größtem Geschick klaut. Jedoch nimmt sein Schicksal eine unerwartete Wendung, als er eines Nachts der jungen Zoe (Charlotte Le Bon) eine Tasche stiehlt, die er, weil sie nichts Brauchbares enthält, auf einem Platz achtlos hinter sich schmeißt – und es plötzlich gewaltig rumst und vier Menschen ihr Leben verlieren. In der Tasche befand sich eine Bombe, die Zoe in der vermeintlich leeren Zentrale einer nationalistischen Partei platzieren sollte. Michael wird zum Terrorverdächtigen und gerät ins Visier des in Paris operierenden, knallharten CIA-Agenten Sean Briar (Idris Elba), den er jedoch bald von seiner Unschuld überzeugen kann. Gemeinsam mit Zoe suchen die beiden nach den wahren Terroristen und kommen dabei einer Verschwörung auf die Spur, die sich in bis in höchste Regierungskreise erstreckt.
Die Figur des hart gekochten, kräftig zupackenden Agenten, der es mit seinen Vorgesetzten und ihren Befehlen eher nicht so hat, sieht Regisseur James Watkins, der sich mit seinem Debüt, dem noch in seiner britischen Heimat entstandenen Backwood-Splatterfilm "Eden Lake" (2008), selbst als Mann fürs Grobe vorstellte, in der Tradition von Filmen wie "Dirty Harry", "The French Connection" oder "48 Hours". Nun sind solche Vergleiche zur klassischen Moderne des Action-Kinos leicht gezogen, besonders wenn es darum geht, einen Film zu vermarkten. Idris Elba, der sich mit seiner Rolle als Dealer Stringer Bell in der visionären HBO-Serie "The Wire" für Hollywood empfahl, legt allerdings tatsächlich eine Ausstrahlung und eine rein psychische Präsenz an den Tag, wie sie Clint Eastwood, Gene Hackman oder Nick Nolte in ihren besten Tagen hatten.
Georg Seeßlen schrieb über "Dirty Harry" einmal, dass der Film mitnichten so rechts sei wie sein Protagonist. Das Update dieser Figur ist in der sich stetig verkomplizierenden politischen Realität des Jahres 2016 längst aus allen ideologischen Zusammenhängen gefallen. Die Motivation seines Handelns hat nichts mehr mit irgendwelchen Weltbildern zu tun. Einmal behauptet Briar, er tue, was er tut, weil sein Widersacher eine von ihm sehr geschätzte CIA-Kollegin auf dem Gewissen habe, aber das bleibt wenig glaubhaft. Vielmehr scheint es ihm um die pure Lust am Prügeln und Schießen und Befehle missachten zu gehen. Man kann Elba kaum genug dafür loben, dass dieser Brutalo-Anarchist, dem der Filme konsequent eine Back- oder Lovestory, sowie jegliches andere Attribut verweigert, das ihn menschlicher machen könnte, nicht nur charmant, sondern sogar sympathisch wirkt.
Noch toller ist, dass diese Figur in einen Film hineingestellt wird, der entgegen seinem sonstigen Tempo ganz langsam eine dezidiert linke Agenda entwickelt. Der Super-Agent erhält Hilfe von einem Dieb und einer Frau unter Terrorverdacht, im Finale sogar von linken Demonstranten, die eine Bank stürmen und damit in Anlehnung an den Titel eine neue Französische Revolution ausrufen, die für Momente geradezu physisch greifbar wird. Nationalistische Politiker benutzen den Terror, um in den Nachrichten gegen muslimische Zuwanderer zu hetzen, von denen einer, wie wir ebenfalls aus den Nachrichten erfahren, von der Polizei auf einer Demo krankenhausreif geschlagen wird. Der Terrorismus wird zum Deckmantel, unter dem Leute aus den höchsten politischen Kreisen agieren, denen es letztlich nicht um Politik, sondern um sehr viel Geld geht.
Was die Inszenierung der Action anbelangt, erfindet Watkins das Rad nicht neu. Er verzichtet auf CGI und setzt stattdessen auf die Unmittelbarkeit von Handkameras, die oft in subjektiven Einstellungen eingesetzt und immer direkt im Geschehen sind. Einen frühen Höhepunkt (und genau das richtige für Menschen mit Höhenangst wie mich) stellt eine Verfolgungsjagd über die Spitzdächer von Pariser Altbauten dar. Später geht es unter anderem im Laderaum eines zeitweise fahrerlos dahin schlingernden Transporters rund. Das World Building ist in "Bastille Day" nichts, was unabhängig von der Action geschieht, sondern es entsteht quasi nebenbei, während der Film mit atemberaubender Geschwindigkeit von einem set piece zum nächsten hetzt. Am Ende steht ein spektakulärer, brillant gespielter thinking man’s action movie ohne falsche intellektuelle Allüren. Hut ab!
Nicolai Bühnemann
Dieser Text ist zuerst erschienen im: www.perlentaucher.de
Bastille Day
Frankreich, USA 2016 – 90 Min. – FSK: ab 16 Jahre – Kinostart(D): 23.06.2016
– Regie: James Watkins, Jill Gagé – Drehbuch: Andrew Baldwin – Produktion:
Bard Dorros, Fabrice Gianfermi, Steve Golin, David Kanter, Philippe Rousselet
– Kamera: Tim Maurice-Jones – Schnitt: Jon Harris – Musik: Alex Heffes – Darsteller:
Idris Elba, Charlotte Le Bon, Richard Madden, Kelly Reilly, Anatol Yusef, Daniel
Westwood, Jorge Leon Martinez, Jose Garcia, Gjevat Kelmendi, Eriq Ebouaney,
Tony Paul West, Stephen Parker, Laura Hydari, Tassadit Mandi, Alex Martin –
Verleih: StudioCanal Deutschland
zur startseite
zum archiv
zu den essays