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Bajo California – El limite del tiempo

Ein Mann auf einer Reise in die Vergangenheit. In Los Angeles ist er geboren und auf der Suche nach den Ursprüngen seiner Familie in San Francisco de la Sierra im mexikanischen Baja California. Die Reise an den Ursprung als Zeitreise. Vorbei kommt Damían Ojeda, so heißt er, an Autowracks, die sich in der Wüste ausnehmen wir Überreste einer schon weit, weit entfernten Zivilisation. Aus der zeitgenössischen Straßenkarte wird eine weiße Karte, auf der sich die Schritte erster Siedler langsam ihren Weg die Küste entlang bahnen. Er selbst verbrennt sein Auto an einem Strand, um, in der Zivilisationsgeschichte des Menschen rückwärts gewendet, zu Fuß weiter zu reisen. Die Reise in die Steinzeit zu den Höhlenmalereien von San Francisco, wird auch zu einer Reise in die Zeit, als der Kontinent von Europäern erobert wurde, als die ersten Arces, so der Familienname von Damians Vorfahren, nach Baja California kamen.

 

Bleibt anzumerken, dass Damían nicht nur verlorene Spuren sucht, wie der Protagonist eines berühmten Romans von Alejo Carpentier, sondern dabei als Landschaftskünstler auch Spuren hinterlässt, was allerdings nicht ausschlaggebend für seine Reise ist. Der Grund, warum Damian seine hochschwangere Freundin in Oberkalifornien zurücklässt, deren Stimme ihn zunächst aus dem Autoradio später aus dem Off begleiten wird, um seine Vergangenheit zu bereisen, ist ein kürzlich erlittenes Trauma. Mit dem Auto hatte Damian eine Frau angefahren. Als er zurückeilte, um nach ihr zu sehen, war sie verschwunden. Damian ist nicht sicher, ob sie schwanger war, ob sie und – gegebenenfalls – ihr Kind den Unfall überlebt haben.

 

So weit, so klar. Die Reise in die Vergangenheit als autotherapeutische Konfrontation mit einem erlittenen Trauma. Die Reise nach Unterkalifornien als Reise ins Unterbewusstsein. Die Stimme der Freundin aus dem Autoradio als Stimme des Gewissens. Der Wal. Der Bauch der Schwangeren. Die (Wieder-)Geburt. Und warum das Kind nicht Jonas heißen wird. Alles an seinem Platz also, wie der Fötus im Mutterleib, alles ordentlich versymbolisiert, ohne dass die Entschlüsselung jemals größeres Kopfzerbrechen bereiten würde. So weit, so klar, so langweilig.

 

Fast überflüssig anzumerken, dass sich der Film an seiner Eindeutigkeit, an seinem Mangel an Subtilität, das Genick brechen muss. Schon nach einer Stunde scheint ihm die Luft auszugehen. Ganz einfach, weil man hier als Zuschauer das Gefühl bekommt, alles bereits verstanden zu haben, die Botschaft ist angekommen und der Rest verkommt dann bald zu zeitschindender Wüstenfilmerei. Und wenn es dann plötzlich wieder interessant wird, wenn die Zeitebenen auf einmal so geschickt verschränkt werden, dass wir, endgültig in der Vergangenheit angekommen, uns auf einmal in ein ländliches Mexiko der Gegenwart versetzt finden, in dem Kinder verhungern und sich viele Menschen eine Zukunft nur jenseits der großen Grenze vorstellen können, wo sie dann schlimmstenfalls eben als Freiwild auf den freeways enden und so Anlass zu viel schlechtem Gewissen und esoterischen Selbstfindungsvergangenheitsreisen geben – nun, da ist es dann einfach schon zu spät.

 

Immerhin ist der Eso-Kitsch, auf den das Ganze also zwangsläufig hinausläuft, so ehrlich mit uns und sich selbst, dass man ihn letztlich nicht wirklich verabscheuen muss. Ich wüsste aber auch nicht, warum man ihn sonderlich gerne haben sollte.

 

Nicolai Bühnemann

 

Bajo California – El limite del tiempo

Mexiko 1998; Drehbuch und Regie: Carlos Bolado; Darsteller: Damián Alcázar, Jesús Ochoa, Fernando Torre Laphame

 

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