zur startseite

zum archiv

zu den essays

Bad Lieutenant – Cop ohne Gewissen

 

 

 

Im Sog des Verbrechens

 

Ein korrupter Polizist, der sich mit Gangstern einlässt: Werner Herzogs Version des Filmklassikers „Bad Lieutenant“ lässt Vorgänger Abel Ferrara alt aussehen

 

Der diesjährige Juryvorsitzende der Berlinale, Werner Herzog, meldet sich mit einem eigensinnigen Meisterwerk auf den deutschen Kinoleinwänden zurück. Für den wüst-existenzialistischen Gott- und Sinnsucher Abel Ferrara, der 1992 das Original „Bad Lieutenant“ ins Kino brachte, hat er dabei nur ein Lachen übrig. Nicht sonderlich klug gewählt ist der deutsche Untertitel des neuen Films: „Cop ohne Gewissen“; er gibt eine wertende Lesart vor, während der englische Titel lediglich eine konkrete Bestimmung des Handlungsortes ist: „Port of Call: New Orleans“. Das heruntergekommene Setting der von „Katrina“ gezeichneten Südstaatenmetropole ist wiederum präzise gewählt, denn die Welt ist bei Herzog wirklich aus den Fugen, während bei Abel Ferrara seinerzeit noch die „Seelenpein“ und die Erlösung des Individuums im Mittelpunkt seines Filmes standen. Ferrara näherte sich der selbstzerstörerischen Egozentrik seines von Harvey Keitel verkörperten Bad Lieutenant gewissermaßen mimetisch und produzierte eine tief katholische Intensität, die den Film für viele Zuschauer im Wortsinne schwer erträglich machte. Werner Herzog, der nach eigenen Angaben Ferraras Film nicht gesehen hat, legt nun eine Neuinterpretation des gleichen Stoffes vor, die fast schon als eine menschenfeindliche Parodie auf Ferraras düstere Vision erscheint. Herzog, der erklärte Verächter der Psychologie, interessiert sich überhaupt nicht für das Innenleben der Figur des Bad Lieutenant, weshalb auch die spirituellen Momente der Figur schlicht unter den Tisch fallen.

 

Am Anfang steht ein Sprung ins kalte Wasser des Mississippi, als der Cop Terence McDonagh (Nicholas Cage) einen jungen Mann rettet, der sonst wahrscheinlich ertrunken wäre. Für diese samariterhafte Tat wird McDonagh zum Lieutenant befördert, aber er hat sich beim Sprung in das doch nicht tiefe Gewässer schwere Rückenverletzungen zugezogen, sodass er permanent Schmerzmittel schlucken muss. Ein Jahr später ist McDonagh nicht nur schwerstens medikamenten-, sondern auch drogenabhängig; er läuft gewissermaßen auf Autopilot geschaltet durch sein eigenes Leben. Weil er über einen besonderen Instinkt verfügt, bekommt er trotz seines angeschlagenen körperlichen und psychischen Zustandes die Leitung in einem spektakulären Mordfall im Drogenmilieu übertragen, bei dem eine ganze Familie illegaler Immigranten von Gangstern hingerichtet wurde. Und tatsächlich ermittelt McDonagh im permanenten Drogenrausch erstaunlich effizient: Er durchschaut instinktiv die Zusammenhänge des Massakers, macht souverän die beiden Mittäter des mächtigen Drogendealers Big Fate dingfest und findet sogar einen Augenzeugen des Massakers.

 

Probleme erwachsen ihm allerdings daraus, dass er Berufliches und Privates nicht zu trennen versteht, insbesondere, wenn es um Drogenbeschaffung und Wettschulden geht. So ist er mit der Edelprostituierten Frankie (Eva Mendes) liiert und nutzt manchmal eine günstige Gelegenheit, um Frankies Kunden um ihre Drogen zu erleichtern. Wie ein Parzival, der reine Tor, bewegt sich der Bad Lieutenant durch den Film, zwar unter permanenten Schmerzen, aber nicht angefochten durch moralische Skrupel. Fast scheint es, als sei Terence vor Schmerzen außer sich. Andererseits funktioniert er als Cop vielleicht gerade deswegen so blendend, weil er dermaßen unbekümmert agieren kann und nur um sich selbst und seine elementaren Bedürfnisse kreist. Entsprechend glaubt der Zuschauer im Kino viel eher als der Protagonist zu bemerken, dass sich hinter seinem Rücken dunkle Wolken aufzutürmen beginnen: Terence verliert in einem Moment der Unachtsamkeit den Augenzeugen im Mordfall, seine Wettschulden nehmen riesige Dimensionen an, kleine Dienstleistungen in Sachen Korruption bereiten plötzlich Schwierigkeiten, weil Kollegen nicht mehr mitspielen. Als er sich dann auch noch mit einem höchst einflussreichen Kunden Frankies anlegt, bekommt er es mit bewaffneten Gangstern zu tun, die ihn erpressen und bedrohen. Jetzt braucht Terence dringend Bares – und deshalb bietet er ausgerechnet dem Gangsterboss, dem er auf den Fersen ist, die Zusammenarbeit an: Insider-Informationen gegen Cash. Die Aufklärung des Mordfalles, erzählt der Bad Lieutenant lachend, habe ihn nie wirklich interessiert. Ganz am Schluss, wird er in einem stillen Moment noch einmal loslachen. Über seine Situation, über die Geschichte, die ihm widerfahren ist, oder über sich selbst und sein unverschämtes Glück. Wer weiß das schon?

 

Herzog gehörte einst zu den ganz Großen des „neuen deutschen Films“ und drehte mit Klaus Kinski als Hauptdarsteller einige geradezu kultisch verehrte Filme wie „Aguirre, der Zorn Gottes“ oder „Fitzcarraldo“. Mit dem Tod Kinskis, so eine Legende, verlor der Regisseur dann zugleich sein Händchen für die richtigen Stoffe, weshalb seine letzten Spielfilme wie „Schrei aus Stein“ und „Invincible“ hierzulande floppten und „Rescue Dawn“ gleich gar keinen Verleih mehr fand. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich allerdings, dass Herzog in den vergangenen drei Jahrzehnten kontinuierlich eigenwillige und meisterliche Dokumentationen wie „Lektionen in Finsternis“, „Little Dieter Needs to Fly“, „Grizzly Man“ oder „Encounters at the End of the World“ produziert und nebenher auch noch als Schauspieler in Filmen von Harmony Korine und Zak Penn reüssiert hat.

 

In dessen „Incident at Loch Ness“ wurde bereits ein erstaunlich humorvoller und ironischer Umgang des Filmemachers mit seinem eigenen Mythos sichtbar. War „Rescue Dawn“ noch die Transformation eines Herzog-Dokumentarfilms in einen Herzog-Spielfilm, ist „Bad Lieutenant“ nun eine echte Auftragsarbeit. Das Drehbuch stammt vom TV-Profi William M. Finkelstein. Tatsächlich aber verhält sich Herzog dazu wie sein Protagonist zu seiner Arbeit: Der Bad Lieutenant erledigt seinen Job, dabei gehorcht er einer ganz eigenen Logik und einem eigenen Timing. Und der Regisseur versieht den Stoff mit lauter persönlichen Signaturen, bis der fertige Film unverkennbar ein echter Herzog-Film geworden ist.

 

Das fängt mit einer musikalischen Erinnerung an seinen frühen USA-Ausflug mit „Stroszek“ an, führt über Bilder eines überfahrenen Alligators auf der Schnellstraße und hört mit „Release Me“ singenden Leguanen noch lange nicht auf. Und wenn nach einem Schusswechsel Terence seine Gangsterfreunde auffordert, einen Toten noch einmal zu erschießen, weil seine Seele noch tanze, ist man endgültig im Werner-Herzog-Kosmos der ekstatischen Wahrheit angekommen. Zu diesem Kosmos gehören auch jene Szenen, bei denen Herzog selbst die Kamera führte: Es sind Momente, die auf eine andere Realität jenseits des kriminellen menschlichen Treibens deuten. Die Tiere, Echsen und Fische, beobachten und ziehen ansonsten ihre Kreise. Dazu passt, dass der zwiespältige Held einmal im Altersheim ein flammendes Plädoyer für die Endlichkeit der menschlichen Existenz hält und damit seltsam aus seiner Rolle zu fallen scheint. Spricht hier etwa der Filmemacher selbst?

 

Ulrich Kriest

 

Dieser Text ist zuerst erschienen im: Rheinischen Merkur

Zu diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere Texte

 

Bad Lieutenant – Cop ohne Gewissen

Bad Lieutenant: Port of Call – New Orleans

USA 2009. R: Werner Herzog. B: William Finkelstein. P: Ed Pressman. K: Peter Zeitlinger. Sch: Joe Bini. M: Mark Isham. A: Toby Corbett. Pg: Millennium Films/Saturn/Polsky/Osiris. V: Fox. L: 122 Min. FSK: 16,ff. Da: Nicolas Cage, Eva Mendes, Val Kilmer, Alvin »Xzibit« Joiner, Fairuza Balk, Shawn Hatosy, Jennifer Coolidge, Denzel Whitaker.

Dt. Start: 25.2.2010

 

zur startseite

zum archiv

zu den essays