zur startseite
zum archiv
zu den essays
Bad Boy Kummer
Erinnert sich noch jemand an Tom Kummer? An den Star-Reporter, der sie einst in Hollywood alle hatte: Pamela Anderson, Sean Penn, Mike Tyson und Brad Pitt. Der spektakulär Interviews lieferte, in denen die Stars plötzlich ihre Kommerz-Masken fallen ließen und philosophisch wurden. Hätte ja auch niemand gedacht, dass Sean Penn eine durchaus beschlagener Kierkegaard-Kenner ist, dass Mike Tyson mit Nietzsche-Zitaten um sich wirft, dass Courtney Love plötzlich über Lucky Luke spricht, den in den USA bekanntlich kaum ein Mensch kennt. Leider hatten wohl die meisten der Interviews, die Kummer zwischen 1993 und 2000 aus Los Angeles lieferte, einen entscheidenden Fehler: Sie waren schlicht von Kummer erfunden, waren also eher Literatur als Journalismus.
Damals resultierte aus dem Geschehen ein Medienskandal, der in Redaktionen Köpfe rollen ließ. Aus heutiger Perspektive würde man wohl eher über eine Strukturkrise des Journalismus diskutieren, über die Diskrepanz zwischen Verlautbarungsjournalismus, zehnminütigen Gruppeninterviews mit im Voraus abgenommenen Fragen und nachträglich überarbeiteten Antworten der Gesprächspartner. Und über die unterstellte Sehnsucht der Leser nach der ganzen Wahrheit über die Stars. Wenn man die höchst unterhaltsame Dokumentation von Miklos Gimes sieht, die sich allerdings in einigen Passagen wie eine Verfilmung von Kummers höchst lesenswertem Erinnerungsbuch „Blow up. Die Story meines Lebens“ ausnimmt, glaubt man jedenfalls nicht mehr, dass die zuständigen Redakteure nichts davon ahnten, wie es um die Authentizität der Stoffe bestellt war, die der Punk und Performance-Künstler Kummer ihnen verkaufte. Kummer wurde seinerzeit fallen gelassen wie eine heiße Kartoffel – und verdingte sich kurz darauf als professioneller Trainer für Paddle-Tennis, wodurch seine Verfehlungen immerhin nicht existenzbedrohend wurden.
Die Kritiker Kummers aus der Branche sprechen von Realitätsverlust beim Reporter, wenn sie freundlich sind. Sind sie es nicht, gerät Kummer schnell zu einem notorischen Lügner mit erheblicher Charakterschwäche, mit dem man nichts mehr zu tun haben möchte. Entsprechend fehlen in „Bad Boy Kummer“ einige wichtige Gesprächspartner wie Ulf Poschardt und Christian Kämmerling. Kummer selbst, der einen etwas angeschlagenen Eindruck macht, sieht sich als Opfer eines Marktes, der nach einem Stoff verlangt, den es gar nicht gibt. Er berichtet von den konventionellen Gruppeninterviews mit Stars, in denen sich Journalisten wie Schafe behandeln lassen müssen, weil sie genau so agieren. Es gibt über Stars wie Anderson, Pitt und Penn absolut nichts Berichtenswertes, wenn man sich auf die üblichen Regeln einlässt. Kummer spricht à la Baudrillard von einer „Implosion des Realen“; andere bezeichnen sein kreatives Spiel mit der Fiktion gerne als „Borderline“-Journalismus. Wiederholt öffnet Kummer, noch immer schwer begeistert von sich selbst, seine Werkstatt, zeigt bestimmte Bücher, nennt bestimmte Sätze, um die herum er seine Interviews konstruierte. Folgt man Kummer, hat man es in der Tat mit Kunst zu tun. „Borderline“-Journalismus ist kein Kavaliersdelikt, aber man erkennt deutlich, dass Kummer sich mit seiner Kunst einen „authentischen Traum“ von Hollywood erfüllte, den die Realität ihm verweigerte.
In gewisser Weise hat Kummer das Imaginäre Hollywoods beim Wort genommen und den interviewten Stars auch den intellektuellen Glamour verliehen, den man aus der Ferne so gerne dort vermutet. Es ist der Traum davon, dass hinter der Image-Maske etwas Substanzielles stecken möge: ein Mensch mit der Fähigkeit, über das Leben zu reflektieren. Letztlich zeugt jede Talkshow von nichts anderem als diesem Traum, dass der Star nicht darin aufgeht, nur Star zu sein. Fordert man in diesem Sektor (bei Parteispenden-Skandalen und Kriegsverbrechen gelten selbstverständlich andere Regeln) die „Wahrheit“, hat man das Spiel nicht verstanden: Wer möchte schon wissen, wie etwa Götz George „in Wahrheit“ ist? Ganz nebenher erzählt „Bad Boy Kummer“ auch die Geschichte des „New Journalism in Germany“, der es einigen Journalisten erlaubte, kurz davon zu träumen, durchs Schreiben über Stars selbst ein Pop-Star zu werden. Und es gibt in „Bad Boy Kummer“ auch Journalisten zu sehen, die sich im Glanze sonnen: Sie hätten durch ihre Gegenrecherche Tom Kummer abstürzen lassen. Auch sie sind in erster Linie: selbstgefällig.
Ulrich Kriest
Dieser Text ist zuerst erschienen in: film Dienst
Bad Boy Kummer
Schweiz / Deutschland 2010 – Regie: Miklós Gimes – Darsteller: (Mitwirkende)
Tom Kummer – Länge: 92 min. – Start: 5.5.2011
zur startseite
zum archiv
zu den essays